"Das ist seltsam!"
Mit krausgezogener Stirn musterte Ronald die Kittel mit den Phönix-Ansteckern. Ich hatte ihm erzählt, was ich die letzten beiden Tage erlebt und herausgefunden hatte.
"Nicht wahr? Und dazu dieser Brief. Von irgendeiner seltsamen Aurora, die möchte, dass ich morgen Abend-"
"Aurora?"
Ronald ließ den Kittel zurück aufs Bett fallen und drehte sich zu mir um. Ich nickte und holte den Brief aus meiner Hosentasche, welchen ich dem jüngeren Shinigami hinhielt.
Aufmerksam las er sich die wenigen Zeilen durch, bevor er ihn mir zurückgab.
"Aurora ist keine Person. Es ist eine Organisation unter Leitung von diesem... wie heißt er noch gleich... warte-"
Ronald griff in die Innentasche seines Jacketts und holte seine Todesliste heraus, welche er anschließend öffnete und durch sie blätterte. Als er gefunden hatte, wen er gesucht hatte, hielt er mir die offene Seite hin. Neugierig nahm ich sie entgegen.
Rian Stoker. Ein, wie es schien, junger Doktor mit hellen vermutlich braunen Haaren.
"Noch nie gehört. Weißt du, wer der Mann ist?", fragte ich, als ich Ronald die Liste zurückgab.
"Er ist der Anführer dieser Se-... Organisation. Er ist Arzt und Direktor des Karnstein Hospitals. Davon haben Sie aber gehört, oder?"
Ich nickte stumm. Karnstein war bekannt dafür, dass dort illegale Experimente an Menschen und auch an Toten durchgeführt werden.
Ich rief mir das Bild von Rian Stoker zurück in Erinnerung. Was hatte er vor? War die Campania ein Schauplatz für eines seiner Experimente? Würden deshalb so viele Menschen sterben? An was für einem Experiment arbeitete er? Mit Lebenden? Mit Toten?Ein eiskalter Schauer durchfuhr mich. Er war auch so verrückt nach den Toten gewesen. Er war fasziniert gewesen von ihnen und den Menschen allgemein. Er wollte wissen, welche Möglichkeiten es für sie noch gab. Warum nur manche von ihnen, wenn Sie sich dazu durchbrachten, zu Shinigami wurden und andere, die auf gleiche Weise schieden, nicht. Zuerst hatte ich seine Experimente noch gedeckt, geblendet von den süßen Lügen, die er mir erzählt hatte, um meine Schuldgefühle im Keim zu ersticken. Zu spät erst hatte ich realisiert, dass der Shinigami an meiner Seite nicht mehr der war, den ich einst kannte. Er hatte sich gewandelt in einen Shinigami, den ich nicht mehr wiedererkennen konnte.
"-Novalee?"
Ich zuckte zusammen und hob den Kopf, sah direkt in Ronald's stechend grüne Augen, die mich besorgt musterten. Er stand direkt vor mir, seine Hände ruhten auf meinen Schultern.
"E-entschuldige bitte, Ronald. Ich war in Gedanken!", wollte ich sagen, doch heraus kam nur ein heiseres Flüstern. Ronald, der mich trotzdem verstanden hatte, nickte nur.
"Ist okay. Geht's jetzt? Oder brauchst du einen Moment?"
Ich schüttelte den Kopf.
Ronald nickte ein weiteres Mal und strich mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand über meine beiden Wangen und erst da realisierte ich, dass er mir Tränen wegwischte.
Ich spürte, wie die Röte in mein Gesicht stieg und beschämt schloss ich für einen Moment die Augen. Das konnte doch nicht wahr sein, dass er mich selbst jetzt noch so emotional machte.
"Wie gehen wir morgen Abend vor?", brachte ich schließlich mit etwas festerer Stimme heraus und trat einen Schritt weg, um mich zu sammeln.
"Ich bin mir unsicher. Aber am Besten ist es, wenn du dahin gehst. Trag einen Kittel mit diesem Phönix-Teil. Ich werde mich unter das Volk mischen. Ich glaube, dass ist der einzige Weg, wie wir vorgehen können!"
Ich nickte und sah zum Kittel.
"Was ist mit dem Dämon?"
"Dämon?"
Fragend sah der blondhaarige Shinigami zu mir, Verwirrung, aber auch Spannung schwang in seiner Stimme mit.
Ich wandte mich zu ihm um, die Augenbrauen zusammengezogen."Der Dämon. Ziemlich groß, typisch schwarze Haare und rote Augen. Butler. Bei so einem unhöflichen Kind ohne Manieren!"
Verwirrt beobachtete ich, wie Ronald die Augen schloss und begann, sich die Schläfen zu massieren.
"Bitte nicht!", nuschelte er, sah dann wieder zu mir.
"Kennst du diesen Dämon?"
Gequält verzog Ronald das Gesicht.
"Indirekt. Aber er wird zum Problem."
"Warum?"
Ich zog mir einen der beiden Stühle heran und ließ mich auf ihm nieder. Woher kannte Ronald diesen Dämon?
Es war kein Geheimnis, dass wir Shinigami und die Dämon sich gegenseitig hassten. Die Dämonen waren Schuld daran, dass wir die Seelen derer, die sich auf einen Handel mit den Dämonen eingelassen und ihnen ihre Seele verschrieben hatten, nicht einsammeln konnten, obwohl sie bei uns auf den Todeslisten standen. Was einen beachtlichen Betrag an Papierkram mit sich brachte, worauf keiner Lust hatte.
"Weil Grell verrückt nach ihm ist."
"Wie bitte WAS?"
Ronald zuckte mit den Schultern.
"Sie erzählt ununterbrochen von ihm. Sobald er sich einmischt, wird sich Grell auf ihn und nicht auf den Auftrag konzentrieren."
Ich verdrehte die Augen. Da war also doch eine Ablenkung, wie ich es angenommen hatte. Doch warum musste diese Ablenkung ein Dämon sein? Warum?!
"Wir können nur hoffen, dass dieser Dämon nichts mit den Ereignissen morgen zu tun hat und Grell nicht auf ihn trifft."
Ronald nickte zustimmend.
"Warte, meintest du mit dem Kind Ciel Phantomhive?"
"Wen?"
Ein belustigtes Schmunzeln legte sich auf Ronalds Lippen.
"Vielleicht ist es doch ganz gut, dass du- Sie mal rauskommen!"
"Hey!", rief ich empört und warf das nächste, was ich in die Finger bekam, auf ihn, was in diesem Fall leider meine Keksdose war. Breit grinsend fing Ronald jene auf und öffnete sie, bevor er einen Keks herausholte und genüsslich reinbiss.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
"Also? Wer ist dieses unmögliche Kind?"
Ronald schluckte seinen Bissen hinunter.
"Ciel Phantomhive. Ist der Herr von dem Dämon, Sebastian Michaelis. Beziehungsweise ist er ein Wachhund der Königin, was bedeutet-"
"- dass er auch hinter Aurora hinterher sein muss."
Ronald nickte und steckte sich den Rest des Kekses in den Mund.
Ich stand auf und begann, unruhig im Kreis zu laufen.
"Das ist nicht gut, Ronald. Wenn er morgen dabei ist, bricht Chaos aus. Dieser Dämon, ich glaube, er ahnt, was ich bin. Und wenn Grell auch noch auftaucht, wird es noch einmal schwerer. Aber genau das sagt mir, dass wir auf der richtigen Fährte sind!"
Ich blieb stehen und drehte mich zurück zu Ronald um. Dieser nickte langsam, während er mir die Keksdose hinhielt. Dankend nahm ich einen der Kekse und biss hinein.
"Wir bekommen das hin, Ma'am!"
Ich lächelte.
"Daran zweifle ich nicht eine Sekunde, mein lieber Ronald!"
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✔︎|𝐤𝐨𝐬𝐚𝐦𝐞
Fanfiction"𝐃𝐚𝐬 𝐰𝐞𝐜𝐤𝐭 𝐄𝐫𝐢𝐧𝐧𝐞𝐫𝐮𝐧𝐠𝐞𝐧... 𝐍𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐰𝐚𝐡𝐫, 𝐦𝐞𝐢𝐧𝐞 𝐥𝐢𝐞𝐛𝐞 𝐍𝐨𝐯𝐚?" Alles, was Novalee wollte, war in Ruhe ihren Ruhestand genießen, weit abgeschieden von der Shinigami Gesellschaft. Doch als eine gute Freundin ihr v...