ろく

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"Wusstest du, dass ich dir gefolgt bin?"

Dankend nahm Ronald das Glas Wasser an, welches ich ihm hinhielt, während ich mich neben ihm auf meinem Bett niederließ. Zwischen uns stand meine Keksdose, aus welcher wir gelegentlich einen Keks nahmen und ihn aßen. 

"Ich hatte das Gefühl, dass jemand mich verfolgt, aber ich wusste nicht, dass Sie es sind Ma'am!", antwortete Ronald auf meine Frage und trank einen Schluck seines Wassers, bevor er sich den nächsten Keks in den Mund schob und genießend auf ihm herumkaute. Ich schmunzelte; manche Dinge würden sich wahrlich nie ändern. 

"Was machen Sie hier?", fragte er nach einer kurzen Pause und drehte den Kopf zu mir. Anschließend wanderte sein Blick zu meiner Sense, welche an den Tisch gelehnt auf der anderen Seite der Kajüte stand. 

"Grell.", war meine simple Antwort. Ein genervtes Stöhnen entfloh Ronalds Lippen und theatralisch ließ er sich nach hinten auf die Bettdecke fallen. 

"Hätte ich mir doch denken können. Dieser Chaotin kann man auch echt nichts anvertrauen!", meckerte er rum, was mich zum Schmunzeln brachte. Vor ein paar Tagen erst hatte sich Grell in ähnlicher Weise beschwert, jetzt tat es Ronald. Fehlte eigentlich nur noch William. 

Ronald sah wieder zu mir, blieb jedoch liegen.

"Wann war sie bei Ihnen?"

"Vor ein paar Tagen. Sie hat mir von der Campania erzählt und mir die Todesliste gezeigt-"

"- und wollte, dass Sie mitkommen?", unterbrach mich Ronald. Ich schmunzelte und nickte. 

"Warum sind Sie hier? Soweit ich weiß, wollte Sie nicht mehr in den Außendienst zurück..?"

Ich ließ mich neben Ronald nach hinten fallen und sah hinauf zur Kajütendecke. 

"Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht, Ronald. Der Vorwand herzukommen für mich war erst der, dass ich besorgt war. Wir beide wissen ja, wie aufgeregt Grell bei solchen Ereignissen wird..." 

Ein zustimmendes, leicht gepresstes Schnauben, aus welchem man entnehmen konnte, dass er genau wusste wovon ich sprach, kam von Seiten Ronalds. 

"Jedoch weiß ich auch, dass ihr verantwortungsbewusste Shinigami seid. Ich habe euch alles beigebracht, was ihr wisst und auch so gut es ging auf eben solche Ereignisse vorbereitet. 
Ich weiß nicht, ob es der Wunsch war, dich und Grell wiederzusehen und mit euch zusammen zu arbeiten, der mich dazu bewegt hat zu kommen, oder das innere Verlangen, endlich wieder Seelen einzusammeln. Verstehst du, was ich meine?"

Ich sah hinüber zu Ronald, welcher zur Kajütendecke hinaufblickte. Langsam nickte er, sagte jedoch nichts dazu. 

Vorsichtig griff ich nach seiner Hand und drückte sie vorsichtig, woraufhin er zu mir sah. Ich erkannte, dass Tränen in seinen Augen glitzerten, weshalb ich mich aufsetzte und die Arme öffnete.

Fast sofort setzte auch Ronald sich auf und ließ sich bereitwillig in meine Arme fallen. Kurz darauf spürte ich, wie sein Körper zu zittern begann und wie einzelne Tränen den Stoff meiner schwarzen Bluse durchnässten. 

"Ich hab Sie vermisst, Ma'am!", nuschelte er und beruhigend strich ich ihm über den Rücken.

"Aber es macht mich so wütend. Warum sind Sie hier? Sie wissen genauso gut wie ich, wie aufgeschmissen Sie sind! Sie konnten nicht einmal meinem Griff entkommen und befinden sich nun an einem Ort, an welchem morgen Nacht sehr viele Menschen ums Leben kommen werden und es für Sie keinen Ausweg gibt! Ich will nicht, dass Ihnen etwas passiert!  Es-"

Die restlichen Worte gingen in unverständlichen Lauten und Schluchzern unter, vermischt mit leichten Hicksern und Schniefern. 

Ich verkniff mir ein Seufzen und hielt Ronald in meinen Armen. Ich wusste, dass er mir gegenüber einen starken Beschützerinstinkt entwickelt hatte und ich eine seiner Bezugspersonen war. Und es rührte mich, dass er sich so sorgte, jedoch wusste ich auch, dass er Recht hatte bei dem, was er gesagt hatte. 

Meine Fähigkeiten als Shinigami waren eingerostet. Das leuchtende Grün, was typisch für uns Shinigami war, ging in meinen Augen zurück, sodass ich inzwischen fast als normaler Mensch durchgehen konnte. Sollte wirklich jemand wie dieser Sebastian hinter dem morgigen Massensterben stehen, war ich geliefert.
Ronald, im Dienst, hatte die Pflicht, sich erst um die Seelen zu kümmern. Ich würde auf der Strecke bleiben.
Doch das war das Risiko, welches ich auf mich genommen hatte, als ich dieses Schiff betreten hatte. 

"Ronald, es ist okay!", murmelte ich leise und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. Ich spürte, wie Ronald seinen Kopf schüttelte und wie sich sein Griff um mich verstärkte, als könnte er so verhindern, dass mir irgendetwas widerfahren würde. Ich lächelte wehmütig. 

"Ich kann Sie nicht davon überzeugen, morgen den ganzen Abend und die ganze Nacht in dieser Kajüte zu bleiben, oder?", fragte Ronald mit gequälter Stimme und löste sich vorsichtig von mir. 

Als er sah, dass ich den Kopf schüttelte, seufzte er einmal tief und nahm sich die Brille von der Nase, um sie zu putzen.

"Können Sie mir wenigstens versprechen, sich dicht bei mir zu halten?"

Ich lächelte und wuschelte ihm einmal durch die Haare.

"Nur, wenn du aufhörst, mich dauernd Ma'am zu nennen. Ich habe dir vor Jahren schon gesagt, dass du mich Novalee nennen darfst!"

Ronald schmunzelte und setzte sich seine Brille wieder auf. 

"Sie werden immer Ma'am für mich bleiben, Novalee!"

Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. Nach all den Jahren zog er es immer noch vor, mich mit Ma'am anzusprechen, anstatt meinen Vornamen zu nutzen. Jedoch zeigte mir das erneut, dass er nicht bei mir war, weil ich ein Teil des 'Legendären Duos' war, sondern weil er mich wie ich war schätzte. Ähnlich waren Grell und William. William sprach mich immer mit 'Miss Mabelle' an, bloß war es beim ihm so, dass er allgemein jeden mit Nachnamen ansprach. Und Grell. Grell nannte mich in den meisten Fällen Novalee oder Mum. 

Apropos Grell.

"Weißt du, wo Grell ist?"

Ronald schüttelte den Kopf.

"Nein. Aber sie meinte, dass sie noch pünktlich dazu stoßen würde." 

Ich konnte mir nur schwer ein Schmunzeln verkneifen, als ich Ronalds genervte Stimmfarbe wahrnahm. Ich wusste, wie sehr er es hasste, wenn Grell das machte, was sie wollte. Aber auch wenn er, wenn sie sich wiedersahen, immer meckerte, dass er wegen ihr Überstunden machen müsse, wusste ich, dass er jedes Mal erleichtert war, seine ungestüme Kollegin wiederzusehen und zu wissen, dass sie sich nicht in allzu große Schwierigkeiten gebracht hatte. 
Obwohl sich die Beiden bei jeder Gelegenheit darüber beklagten, wie sehr sie den jeweils Anderen hassten, waren sie trotz allem ein Herz und eine Seele. Wie Bruder und Schwester. 

Ich lächelte. Ich wusste, dass ich alles tun würde, um meine kleine chaotische Familie so gut es ging während der morgigen Ereignisse zu schützen. 

✔︎|𝐤𝐨𝐬𝐚𝐦𝐞Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt