Die Geschichte beginnt mysteriös und prologartig mit einem namenlosen Mann. Die Idee mit dem Kristall, der mit Tränen gefüllt ist und gleichzeitig Wärme und Kälte ausströmt, finde ich super. Das wird auch durch die Geschichte hindurch immer wieder aufgegriffen und hat mich jedes Mal innerlich jubeln lassen, ich mag diesen Gegensatz sehr (besonders der Ausdruck “eisige Wärme”) 😊 Auch die Beschreibung, wie das Licht immer intensiver wird, finde ich gelungen.
Naya ist als Protagonistin sympathisch mit ihren Schwächen und ihren Stärken. Sie ist entschlossen, ihren Vater zu finden und dabei ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Du beschreibst schön, wie ihr die Reise zu schaffen macht und wie sie sich ein ums andere Mal richtig durchbeißen muss, man spürt auch die Sehnsucht nach ihrem Vater.
Formal habe ich einige kleinere Fehler gefunden, die für sich allein absolut nicht tragisch sind, trotzdem aber hin und wieder vorkommen. Man kann definitiv sagen, dass du einen ausgeprägten Wortschatz hast, allerdings wird dir dieser Wortschatz manchmal zum Verhängnis. Gegen ein wenig altertümliche Sprache ist nichts einzuwenden, es scheint auch gut in dein Setting zu passen, allerdings werden dadurch manche Formulierungen komplizierter, als sie sein müssen, oder passen schlichtweg nicht.
Ein Beispiel: Sie war bereits zu weit fortgeschritten und würde erst anhalten, wenn ihr Ziel nahe war.
Dieses “Fortgeschritten” passt hier nicht, denn sie haut gerade ab und rennt davon. Ein simples “gerannt” hätte hier wunderbar ausgereicht.
Dazu passt auch die Benutzung von “welches” oder “dieses”, an deren Stellen ein “was” oder “das” wesentlich unauffälliger zu lesen gewesen wäre. Auch hier wieder, die Sprache kann gerne etwas altertümlich sein, aber so unbedeutende Wörtchen wie „das“ oder „was“ sollte man unscheinbar lassen, das gefährdet sonst den Lesefluss.
So mancher Satz ist sehr kompliziert aufgebaut, ein paar Mammutsätze gibt es ebenfalls. Auch das hemmt den Lesefluss. Generell lässt sich sagen, kurze Sätze sorgen für Spannung, lange Sätze ziehen auch die Handlung in die Länge. Beides kann man bewusst in passenden Szenen einsetzen. Bei dir lässt sich sagen, dass du einen Tick zu sehr zu langen Sätzen tendierst, was die Handlung unnötig in die Länge zieht.
Bei manchen Erwähnungen von wichtigen Infos für die Geschichte fehlt der Bezugspunkt.
Beispiel: „Es war dieselbe Stimme, die sie schon in der Höhle gehört hatte.”
Es wird vorher aber gar keine Stimme erwähnt.
Oder: “Sie mochte das Licht zurückgebracht haben, …”
Dass sie das Licht zurückgebracht hat, nachdem sie die ganze Geschichte lang im Dunklen herumgewandert ist, wird ebenfalls nicht vorher erwähnt. Diese Infos sind auf einmal wie selbstverständlich da.
Ein letzter Punkt: An deiner Verwendung von wörtlicher Rede könntest du noch arbeiten. Manch ein Dialog wirkt noch etwas holprig (zum Beispiel der Dialog zwischen ihr und den Ältesten).
An einer anderen Stelle hätte ich mir einen Dialog gewünscht: Dennoch sagte niemand wirklich etwas, bis sie sich leise räusperte und selber nachfragte, wie es nun weiterging. Wie erwartet waren sie sich sicher, dass ein erstmaliger Rückzug das Beste wäre und sie es morgen noch einmal probieren würden. Noch immer etwas der Idee widersprechend, nickte sie nur gezwungen und wandte ihren Blick ab.
Das Ganze in einen Dialog gepackt, hätte die Szene wesentlich lebendiger gemacht. Denn genau das tun Dialoge: Sie machen eine Geschichte lebendig, hauchen ihr Leben ein. Anstatt einfach nur nachzuerzählen, kann der Leser direkt in das Geschehen eintauchen.
Jetzt habe ich viel erklärt und gemäkelt. Dabei ist deine Geschichte aber keinesfalls schlecht. Das siehst du auch an den Punkten, die ich dir gegeben habe. Ich würde anhand deines Schreibstils vermuten, dass du noch nicht extrem viele Erfahrungen im Schreiben gesammelt hast. Meine oben genannten Kritikpunkte sind alles Sachen, an denen du wunderbar arbeiten kannst.

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Ideenzauber 2023 - Kritikbüchlein
Short StoryIn diesem zauberhaften Büchlein finden die Teilnehmer*innen des Ideenzaubers ihre Bewertungen. Übersichtlich und anonym.