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Deine Geschichte mutet zunächst einen Hauch klassisch an, vom Grundthema her. Es geht um Hexen und Flüche und was es mit einer betroffenen Person macht. Was Deine Geschichte so besonders macht ist, wie liebevoll, detailreich und klug Du sie gestaltet hast.

Vor allem gefallen hat mit die Entwicklung der Protagonistin - man kann sich gut in sie einfühlen, weil von vornherein klar ist, wie dieser doch ungewöhnlich Fluch funktioniert und kann ihre Handlungsoptionen und Entscheidungen davon ausgehend für sich bewerten - und mitfiebern. Wie entscheidet sie sich? Macht sie es sich leicht? Welches Schicksal wählt sie für sich? Das spannende dabei ist, dass es keine guten Schicksale geben kann, aber gehoffte habe ich das für sie. Ein gutes Zeichen, dass die Geschichte funktioniert.

Ich muss zugeben, dass viele Details beim ersten lesen etwas verborgen bleiben. Das Pacing ist ordentlich schnell, auch bedingt durch die Promptwahl, aber dem Spannungsbogen und der Unterteilung hat das sichtlich gut getan. Zum Ende hin habe ich immer schneller gelesen, weil ich wissen wollte, wie es mit ihr "endet". Der Twist ist schön, ein wenig erwartbar vielleicht, aber dennoch sehr versöhnlich. Zumindest für mich.

Sprachlich löst Du das souverän, Fehler sind mir nur wenige aufgefallen. Die Kürze der Sätze macht Beschreibungen etwas kompliziert, so dass hier stellenweise Darstellungen gerafft wirken. Du hast die Wörter (generell!) mit Bedacht gewählt, manche Sätze hätten eigentlich länger sein müssen. Aber das war ja auch das fiese an dem Prompt.

Die einzelnen Elemente der Geschichte fügst Du organisch ineinander - das ist sehr geschickt gemacht. Auch die Interaktionen der Figuren sind spannend, weil die Figuren ein Eigenleben haben - zu Beginn der Geschichte jedoch beginnt alles sehr stereotypisch, auch in der Betitelung - mir fiel es sehr schwer einzuordnen, wie ich diese erste Szene bewerten soll. Dramaturgisch ist sie hochverdichtet und atemberaubend. Sie ist aber auch sehr plastisch, roh, grob, auch sprachlich. Das kontrastiert schon zum Rest - war es der Länge insgesamt geschuldet, dass Du es hier "eilig" hattest? Immerhin bereitet das erste Kapitel dem Rest das Fundament - der "Hexe" hätte ich vielleicht einen Namen gegeben bzw. etwas, was über ihre Rolle als Fluchgeberin hinausgeht. Ich empfand sie eher als Mittel zum Zweck, obwohl sie selbst Leidtragende ist.

Ab und an sind mir Wortwiederholungen aufgefallen, das hat mich aber nur stellenweise etwas "gestört". Etwas irrittiert hat mich auch, warum die erste Hexe "Emre" heißt. Äh... finde ich für die Namenswahl etwas irreführend.

Sehr gut sind auch die Dialoge. Sie sind liebevoll gemacht, verraten nie zuviel und nie zuwenig und leuchten die Figuren sehr gut aus. Die Menge passt perfekt - das kannst Du wirklich gut. Generell hast Du ein Detail für Sätze, die knapp sind, aber unendlich viel sagen. Der zum Beispiel: "Das Mädchen wird unsichtbar in der Stadt." -  oder: "Wo ist ein böses Gesicht, zwischen all den Leidenden?" -oder:  "Was Du nicht weißt, bringt Dich trotzdem dem Tod näher."

Du variierst auch die Schauplätze wirklich wunderbar. Sie sind kleine Welten für sich, jede mit einer anderen Grundstimmung, die von den Wünschen und Begegnungen der Protagonistin abhängen. Mit wenigen Worten schaffst Du das - wie gesagt, die Beschreibungsebene kommt etwas kurz, aber da die Handlungsebene prächtig ausgebaut ist, fällt das nicht sooo stark ins Gewicht.

In meinen Augen eine wunderbare Geschichte, die ich nur jedem ans Herz legen kann - gekonnt konstruiert, absolut menschlich und sprachlich mitreißend.

Gesamtpunktzahl:  520 von 555

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Rechtschreibung

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