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Ich finde Deine Geschichte ganz wunderbar. Sie ist anrührend, sprachlich excellent gestaltet, wohl durchdacht und hat ein absolut überraschendes Ende - wobei ich es hätte ahnen können, aber da standen mir Edith und ihre inneren Kämpfe im Weg. :D

Besonders ist Deine Liebe zum Detail wirklich bemerkenswert. Das beginnt schon mit dem Titel "Pflicht und Federn". Wenn ich mir das laut vorlese (was ich mehrmals getan habe) und auf den Klang in meinen Kopf achte und das alles dann auf die Geschehnisse in der Geschichte beziehe matcht das einfach nur wunderbar. Das gleiche gilt für die Namesgebung. "Audiley" als Familienname finde ich absolut hinreißend! Ganz herausragend. Du hast ein wahnsinniges gutes Händchen für Pacing und Andeutungen. In den einzelnen Kapiteln enthüllst Du nach und nach und auch anhand von scheinbar Unscheinbarem die Figuren und deine Welt. Alles fügt sich harmonisch zusammen, vor allem die Kapitelenden laden zum weiterlesen ein.

Inhaltlich möchte ich gar nicht viel spoilern. Für mich hat diese Geschichte alles, was eine zauberhafte Geschichte braucht: eine Protagonistin, die sich nach Freiheit und Liebe sehnt, eine unabwendbare Zukunft, die diesen Wunsch zu sabotieren droht und eine märchenhafte charakterliche Besonderheit, die mit Federn zu tun hat. Es kommen eine Eule und eine Fee vor und am Ende ist alles, wie es kommen sollte, aber eben ganz anders. Sowas liebe ich.

Besonders hervorheben möchte ich, wie Du die Protagonistin gestaltet hast. Sie ist einfach nur menschlich (*hust*), sehnt sich und leidet und findet für sich doch einen Weg. Ich habe sie gerne begleitet, habe mit ihr gelitten und mich gewundert. Edith ist einfach nur sympathisch, weil sie sehr nahbar und direkt wirkt - ein kluger Kontrast zum kühlen Umfeld, in dem sie leben muss Ihr Drang nach Freiheit wird deutlich - obwohl sie da ambivalent ist.

Ihre Geschichte ist Fluch und Segen zugleich - die Moral könnte sein, dass sie das, was zunächst gefangen zu nehmen scheint, als Freiheitsoption nutzt und dann genau diese Freiheit dort nicht findet - aber woanders, und sogar doppelt. Sie versöhnt sich mit ihrer Herkunft und auch mit ihrer (zunächst befürchteten) Zukunft - sehr genau beobachtet und herrlich umgesetzt.

Wenn es etwas gäbe, das ich kritisch anmerken dürfte, dann wären das nur absolute Kleinigkeiten. Sprachlich hast Du alles fest im Griff, da ist mir nichts aufgefallen. Vor allem dieser Satz hat es mir echt angetan (er ergibt aber seinen vollen Sinn nur im Kontext - er hat mich wirklich ziemlich mitgenommen): "Er hatte die Feder mit dem Schnabel aus seinem Gefieder gezogen und ihr auffordernd hingehalten. Sie hatte sie mit der Kralle genommen und es ihm mit einer ihrer Federn gleichgetan." Die Wortwiederholung verliert hier gegen die wunderbare Symbolik, grundsätzlich kommen an ein paar Stellen ähnliche Worte vor, aber das ist marginal störend.

An manchen Stellen empfinde ich die Beschreibungen etwas knapp, stellenweise passen sie zwar zum gesamten Feel der Geschichte, aber ich hätte mich über mehr gefreut. Das hätte dem Welteindruck für mein Empfinden gut getan. Klar, die Handlungen und Entscheidungen der Protas spielen die Hauptrolle, aber die Geschichte ist für mich eine Art Fantasy-Liebes-Märchen ... ein bisschen mehr Schmuck geht da schon (ja, die Wortgrenze ist tight... i know).

Was Dir bei Edith sehr gut gelingt, bleibt bei den anderen Figuren etwas knapp ausgebaut. Sie blieben mir als Charaktere nicht so im Gedächtnis, waren nicht gleichermaßen präsent. Das müssen Sie nicht, aber etwas weniger allgemein hätte ich mir z.B. Alfie schon gewünscht. Die Dialoge sind souverän gestaltet und von der Länge her sehr passend. An manchen Stellen waren sie mir etwas "spröde" oder erwartbar ... mir fehlt hier das richtige Wort.

Alles in allem ist das aber Meckern auf allerhöchstem Niveau. Ich kann nur jedem dringend raten, diese Geschichte zu lesen. Ich hatte sie noch eine sehr lange Zeit im Kopf und habe sie auch nach den ersten Durchgängen öfter gelesen. Weil sie einfach Spaß macht und das Mensch- und Anderssein feiert.
Und uns sensibel macht für die wunderbaren Zufälle im Leben.

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