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Die Geschichte ist um ein klassisches Grusel- bzw. Horrorkonzept herum aufgebaut. Auf den Einzug ins neue (eigentlich sehr alte und unter mysteriösen Umständen verkaufte) Haus folgt eine Nacht mit merkwürdigen Vorkommnissen.

Rechtschreibung und Zeichensetzung sind in Ordnung; die Grammatik weist ein paar wenige Auffälligkeiten auf. Zum Beispiel gerät manchmal das grammatikalische Geschlecht durcheinander – der Protagonist hat nicht „den Mondlicht im Rücken“ sondern „das Mondlicht“. Insbesondere in einem ersten Satz würde ich versuchen, solche Ausrutscher zu vermeiden. Der erste Eindruck zählt eben doch!

Schlüssel einer wirkungsvollen Geschichte in diesem Genre ist die Atmosphäre, die sich unter anderem aus den Beschreibungen entwickelt. Die Beschreibungen könnten an einigen Stellen ausführlicher sein, z. B. wird die eigentliche Geisterjagd am Ende mit wenigen Sätzen abgehandelt. Eine weitere Schwierigkeit sehe ich jedoch in der Sprache. Um den Leser nicht aus seiner Gruselstimmung zu reißen, sollten Ausdrucksweise, Satzbau und Wortwahl so sauber und präzise wie möglich sein. Dazu einige Beispiele:

„Eine Luftströmung hatte sich über den schweren Stoff der altmodischen Vorhänge hinweggezogen“ – das reflexive Verb macht den Satz komplizierter, als er sein müsste. Zudem handelt der Luftstrom nicht aktiv, sondern „zieht [passiv] darüber hinweg“.

„[…] doch etwa nicht Wahnvorstellungen!“ – die gängige Satzstellung wäre „nicht etwa Wahnvorstellungen“ oder auch „doch etwa keine Wahnvorstellungen“. Im Zweifel empfiehlt es sich, solche Passagen beim Schreiben bzw. Überarbeiten laut zu lesen. Dann hört man oft selbst, wenn etwas seltsam klingt.

„Fieberhaft und in großen Schritten verließ er den Raum, schritt den finsteren Flur entlang, wechselte gelegentlich zum Laufen“ – „schreiten“ passt nicht wirklich mit der Art und Weise zusammen, wie sein Gangbild sonst beschrieben wird, nämlich eher hastig, eilig, vielleicht unsicher, definitiv angespannt. Ein Synonym des Verbs ist zwar „mit großen Schritten gehen“, aber andere sind „flanieren“, „stolzieren“, „langsamen/gemessenen Schrittes gesehen“ und auch das sind (Neben)Bedeutungen von „schreiten“.

„Er wusste, dass […] seine Einbildungen mit seiner Müdigkeit oder auch was anderem zusammenhingen“ – solche Stellen lassen sich leicht präzisieren, die Worte effektiver nutzen. Was ist denn „auch was anderem“?

Ich hoffe sehr, dass diese Hinweise nicht zu einschüchternd klingen, es sind nämlich tolle, bildhafte Ansätze da – sie könnten bloß noch sprachliche Feinabstimmung gebrauchen.

Die Geschichte ist nicht zu einhundert Prozent stringent aufgebaut, teilweise hatte ich das Gefühl, es wäre ein bisschen ins Blaue hinein geschrieben worden. Da ist die erste Nacht mit dem ersten Schrecken und die zweite Nacht mit der Jagd/Suche nach dem möglichen Geist – doch es wird noch ein Telefongespräch mit dem Bruder des Protagonisten dazwischen geschaltet. Dieses dreht sich zwar thematisch ebenfalls um den Geist und dient außerdem der Charakterentwicklung des Protagonisten, aber im Hinblick auf den weiteren Verlauf und das Ende der Geschichte erscheint es ein wenig zufällig und nicht notwendig. Man könnte also überlegen, die relevanten Informationen aus diesem Gespräch in die restliche Erzählung einzubetten – zum Beispiel unterhält sich Mister Roberts ohnehin mit Mister Hartley, warum nicht auch über den Umzug und sein Leben davor? Oder vielleicht sogar über ein Telefongespräch, das er zuvor mit seinem Bruder geführt und der ihn ausgelacht hat? Dann wären alle Informationen da, der Leser könnte sich aber auf die Haupthandlung konzentrieren und würde von dieser nicht durch eine weitere Figur abgelenkt.

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