Ich bin mir insgesamt nicht ganz sicher, was ich über deine Geschichte denken soll. Hauptsächlich liegt das daran, dass ich nicht wirklich verstanden habe, worum es geht. Ich fand das Konzept im Grunde sehr interessant, die vielen kurzen Kapitel und die vielen Zeitsprünge, eine Schnitzeljadg durch die Zeit, all das hat mir als Grundlage wirklich gut gefallen.
Das Problem war leider nur, dass es mit den ganzen Sprüngen so verwirrend war, dass ich einfach nicht herausbekommen habe, was die Handlung ist. Du hast Vera, die irgendetwas gemacht hat und jetzt…was genau machen will? Sie ist auf jeden Fall auf der Flucht vor irgendwem. Gleichzeitig verteilt sie über die Zeit Hinweise für ihren Mann, damit er sie wiederfinden kann. Welches Ziel das hat (ob es ein Ziel hat, außer ihn wieder zu sehen) habe ich nicht ganz begriffen. Dann gibt es Matteo, den Mann, der zwar in das eigentliche Projekt nicht involviert ist, aber trotzdem Ahnung von Zeitreisen hat und ohne zu zögern auf ihre Hinweise reagiert. Und Oliver, der…eventuell der Enkel der beiden ist? Vielleicht auch nicht, ich bin mir nicht sicher. Und dann gibt es noch die namenlose Figur von der Person, die Vera verfolgt. Wer es ist, findet man nicht heraus. Was sie getan hat auch nicht. Wer von beiden jetzt gut und wer böse ist auch nicht.
Besonders verwirrend wurde das ganze dadurch, dass alles aus der Ich-Perspektive geschrieben ist, aber ganz offensichtlich nicht durchgehend aus Sicht der gleichen Person. Da man absolut keine Chance hat, herauszufinden, wer gerade am Zug ist. In Kombinationen mit den Zeitsprüngen war es wirklich schwer, den Überblick zu behalten. Ich persönlich kann nicht ganz nachvollziehen, warum du dich in diesem Konzept für die Ich-Perspektive entschieden hast, meiner Meinung nach hätte das ganze mit der 3. Person deutlich besser funktioniert. Ist aber natürlich Geschmackssache – wenn du allerdings Ich verwendest, musst du die einzelnen Figuren irgendwie stärker differenzieren.
Ich will noch einmal betonen, dass die Idee wirklich nicht schlecht ist, die Idee fürs Zeitreisen ist sehr süß, die kurzen Kapitel setzen ein schnelles Tempo und die Geschichte wird sehr kurzweilig und interessant. Leider hat die Umsetzung nicht so ganz funktioniert.
Eine Sache, die mich sehr irritiert hat, war dass das Kapitel im Buchladen zweimal vorkam, Wort für Wort. Ich sehe durchaus den Deja-vu-Effekt, den du damit erreichen wolltest (und es ist auch gelungen), muss allerdings insgesamt grundsätzlich stark von Copy-and-Paste als Methode beim Schreiben abraten. Das hat nämlich den Effekt, dass ein Leser zu 100% einfach scrollt, bis wieder was kommt, was man noch nicht kennt. Du kannst das Déjà vu genauso gut auslösen, indem du prägnante Sätze wiederholst, aber das Drumherum änderst oder das ganze stark kürzt. Eins zu eins übernehmen würde ich maximal eine Handvoll Sätze, bei dir ist es definitiv zu viel.
Deine Rechtschreibung und Zeichensetzung war in Ordnung. Ein paar Fehler haben sich eingeschlichen, z. B. „hinter her“ statt „hinterher“, „Holzdiehlen“ statt „Holzdielen“ und „vier viertel Takt“ statt „Vier-Viertel-Takt“. Bei der Zeichensetzung war konkret nur „sah mich an wie ein Vater seinen Sohn“ (nach dem wie muss ein Komma), aber allgemeiner gehört zum Beispiel ein Leerzeichen auf beide Seiten vom Gedankenstrich (also so – und nicht so- oder -so oder-so). Du hast auch immer wieder doppelte Leerzeichen im Text, von denen ich nicht wirklich weiß, wie sie entstehen, aber für ein schöneres Leseerlebnis würde ich sie entfernen.
Deine Achillesferse ist die Grammatik, die war irgendwie doch recht holperig. Einige Sachen irritieren ein wenig, weil sie das Gefühl vermitteln, dass du nicht noch einmal über deinen Text drüber gelesen hast, bevor du ihn eingereicht hast. Mein Rechtschreib-Programm (ganz normal Word) hat die meisten auch direkt unterstrichen. Würde ich dir also sehr ans Herz legen, das beim nächsten Mal eventuell zu nutzen, um Fehler zu vermeiden wie „der Ass“ statt „das Ass“, „in die Weg“ statt „in die Wege“, „wie die Zeitmaschinen funktionierte“, „meiner bester Freund“, um meinem lieben Matteo zu umarmen“, „dank einem Jungen mit dunklen, kurzen Haaren“. Andere kleine Sachen, die aufgefallen sind, waren: „hatte anfangs mich damit aufgezogen“ statt „hatte mich anfangs damit aufgezogen“ und „würde mein Ich in die Vergangenheit“…was? Da fehlt definitiv ein Verb.

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Ideenzauber 2023 - Kritikbüchlein
Short StoryIn diesem zauberhaften Büchlein finden die Teilnehmer*innen des Ideenzaubers ihre Bewertungen. Übersichtlich und anonym.