G944qo (1)

41 9 0
                                    

Ein kleiner Hinweis: Die zu bewertende Geschichte handelt von Suizid und Suizidgedanken. Diese Themen werden stellenweise auch in der Kritik aufgegriffen.

Lieber Autor, liebe Autorin,

Großes Lob erstmal für diese emotionale und eindrückliche Geschichte! Das Thema ist kein leichtes und Geschichten, die es als Story nutzen, geraten in meinen Augen schnell schmalzig, die Figuren sehr klischeehaft – was bei dir nicht passiert ist.

Aber der Reihe nach.

Deine Rechtschreibung und Kommasetzung ist nahezu einwandfrei, nur würde ich Dir den Tipp geben, den Genitiv immer dem Dativ vorzuziehen, es sei denn, es ist eine bewusste stilistische Entscheidung. Mir ist da ein konkretes Beispiel ins Auge gestochen:

"Trotz dem harten Griff der Hoffnung."

Das liest sich so nicht besonders schön, der Genitiv ist da wesentlich sauberer:

"Trotz des harten Griffs der Hoffnung."

Ein weiteres Beispiel, wo ich es allerdings nicht ganz so dramatisch finde:

"Nicht wegen dem Wind."

Trotzdem bleibt mein Tipp: Genitiv vor Dativ; liest sich meist einfach schöner :)

Aber das ist auch schon alles, was ich zu dem Thema sagen kann, der Rest wirkt auf mich wie Flüchtigkeitsfehler und lässt sich an einer Hand abzählen :)

Deine Wortwahl finde ich sehr interessant; Du benutzt häufig Wiederholungen als stilistisches Mittel, nebst anderen, mir sind auch einige Klimaxe aufgefallen. Die passen sehr gut zu der Hauptfigur und ihren kreisenden Gedanken, gerade in Bezug auf die Wiederholungen rate ich Dir aber, etwas mehr Abwechslung einzubauen, beziehungsweise einige Wörter zu streichen, die Du sehr oft benutzt. Ein Beispiel wäre "fliegen". Da gibt es sehr viele Synonyme für, ich würde Dir hier raten, hin und wieder darauf zurückzugreifen.

Woran es ebenfalls mangelt, sind Details zum Setting. Man erfährt, dass die Hauptfigur auf einem Dach steht, aber nicht, wo genau. Ich vermisse es zwar nicht unbedingt, finde aber, dass Du hier die Möglichkeit verschmäht hast, die Atmosphäre der Geschichte noch eindrücklicher zu gestalten. Der kalte Wind leistet gute Dienste, aber da geht noch mehr! Wie hoch ist zum Beispiel das Dach, auf dem die Hauptfigur steht? Was spielt sich unter ihr ab? Scheint die Sonne oder ist der Himmel bedeckt? Nieselt es vielleicht? Natürlich kann man das auch dem Leser überlassen, aber in der Hinsicht würde ich immer zumindest einen kleinen Wegweiser aufstellen.

Eine weitere Sache, die hier nicht unbedingt fehlt, die ich aber trotzdem ansprechen möchte: Man erfährt kaum etwas über die Hauptfigur. Nicht einmal das Geschlecht, weshalb ich hier auch nicht Protagonist bzw. Protagonistin sage, sondern Hauptfigur. Du beschreibst sehr sehr schön und eindrücklich die Gedankengänge und Gefühle der Hauptfigur, aber alles drumherum bleibt ziemlich auf der Strecke. Als würde man in einen Roboter gucken, dessen Innenleben detailliert ausgearbeitet ist, aber die Außenverkleidung fehlt. Wie gesagt: Dass es fehlt, stört den Lesefluss und das Leseerlebnis nicht, es hätte aber dazu beitragen können, dass die Hauptfigur noch näher an mich als Leser herankommt, weil sie für mich dann greifbarer ist.

Aber natürlich möchte ich Dich auch für das gut ausgearbeitete Innenleben loben :)

Der verschwundene Lebenswille; die Frage, welchen Sinn es für die Hauptfigur hat, noch hier zu sein, aber zugleich die Frage, was nach dem Tod kommt und ob er wirklich die erhoffte Freiheit bringt, und die daraus resultierenden Zweifel an dem Vorhaben. Dies schafft auch eine sehr schöne Charakterentwicklung und damit ein sehr schönes Ende für die Hauptfigur, gerade weil es nicht ihr Ende ist.

Ideenzauber 2023 - KritikbüchleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt