Insgesamt hat mir dein Text gut gefallen. Ich sage bewusst Text, weil mein großer Kritikpunkt daran ist, dass es nicht wirklich eine Geschichte ist. Es…passiert nichts. Du eröffnest im ersten Kapitel ein Szenario, dann springst du in der Zeit zurück, erzählst die Vorgeschichte und am Ende kehrt deine Hauptfigur nach Hause zurück. Keine Ziele, keine Konflikte, nichts.
Versteh mich nicht falsch, mir hat deine Welt sehr gut gefallen, die Idee mit den Städten, mit den Geflügelten, die Traditionen und alles drum herum sind sehr coole Ideen. Du schmückst das ganze mit wunderbaren Details aus, zum Beispiel den Oberteilen, die extra an Flügel angepasst sind. Aber du gehst überhaupt nicht auf irgendeinen Konflikt ein. Die Spannungen zwischen Geflügelten und nicht Geflügelten sprichst du kurz an, aber sie werden nie thematisiert, das gleiche mit den Flüchtlingen und Suizidgefährdeten aus dem ersten Kapitel – wovor würden sie flüchten? Warum gibt es spezielle Wachen dafür? Auch die ganze Hintergrundgeschichte, woher plötzlich die Geflügelten kommen und warum Städte auf einmal in den Himmel aufsteigen, all das erwähnst du mit keinem Wort.
Dein Text erschafft eine tolle Welt, was sich auch in den Atmosphäre-Punkten widerspiegelt, die ich dir gegeben habe. Aber es ist eher eine Skizze für eine Welt, in der man dann eine Geschichte ansetzt, als dass es so wie es ist wirklich eine Geschichte mit einem Konflikt und einem Spannungsbogen gibt.
Zu etwas allgemeineren Sachen ist noch zu sagen, dass deine Rechtschreibung und Grammatik praktisch einwandfrei ist. Mit ein paar Satzzeichen hast du noch Schwierigkeiten, da ist zum einen das Problem von Anführungszeichen innerhalb der wörtlichen Rede, da benutzt man dann üblicherweise nur noch ein Zeichen, statt zwei. („Sollte es nicht heißen: ‚Hände hoch‘?“) Außerdem gibt es einen Unterschied zwischen Binde- und Gedankenstrichen. Wenn du ein Wort in einen Satz einschiebst, benutzt du Gedankenstriche, die haben davor und danach ein Leerzeichen: „Sie können wieder gehen – fliegen – und guten Flug noch.“
Generell ist es normalerweise auch üblich, einen Absatz zu machen, wenn ein neuer Charakter zu sprechen beginnt. Meines Wissens ist das nicht verpflichtend, aber es hilft dem Leser sehr, im Blick zu behalten, wer gerade handelt, wenn das in einem Absatz konstant bleibt.
Manchmal stolpert man beim Lesen auch, weil du im Text zwischen Gedankensprüngen keine Pausen lässt. Ein Beispiel dafür ist „Was wenn meine Flügel doch nicht stark genug sind und ich abstürzte? Ich werde das schon schaffen!, sprach ich mir selbst Mut zu.“ Der Wechsel von Angst zu Ermutigung passiert hier wahnsinnig schnell. Vielleicht wäre es besser, den inneren Monolog an der Stelle kurz zu unterbrechen mit einem „Ich holte tief Luft“ oder etwas ähnlichem, damit der Umschwung nicht ganz so plötzlich kommt.
Ein ganz simpler Punkt ist auch noch, dass es am Ende zweimal das 6. Kapitel gibt.
Wie gesagt, ich möchte noch einmal betonen, dass ich deine Ideen sehr, sehr cool finde und mega gespannt wäre, einen tatsächlichen Konflikt in diesem Setting zu lesen, vielleicht in einer längeren Geschichte, in der man auch noch mehr über die Hintergründe erfährt.
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Rechtschreibung
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Grammatik
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