Crowley
Crowley war nicht auf direktem Weg in seine Wohnung gefahren, sondern hatte den Bentley halb blind und in üblich überhöhter Geschwindigkeit durch die Straßen Londons gesteuert. Dabei war er so in seine Gedanken und die Klänge von Queen versunken gewesen, dass er nicht bemerkte hatte, dass sein Fahrzeug kurzzeitlich zumindest teilweise eine gelbliche Färbung angenommen hatte. Als er sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte und den Wagen direkt vor der Wohnung parkte, wo just in diesem Augenblick auf wundersame Art ein Parkplatz frei geworden war, hatte jener aber auch schon wieder den üblichen Schwarzton angenommen.
Der Dämon schnappte sich die Flaschen vom Beifahrersitz und marschierte zur Eingangstür. Auf dem Weg zum Fahrstuhl musste er überrascht feststellen, dass sich dieser gerade auf seiner Etage befand. Also nicht auf der, auf der er aktuell stand, sondern auf der, in der sich seine Wohnung befand. Und in genau diesem Moment der Erkenntnis machte der Fahrstuhl sich auf den Weg nach unten. „Wer in Satans Namen", fluchte der Dämon. Eigentlich gab es nicht viele Möglichkeiten. Hatte die Hölle etwa wieder einen Lakaien geschickt, um ihn doch endgültig zu beseitigen. Oder, um ihm einen Arbeitsplatz anzubieten? Nun, eigentlich hatte er ja nichts Besseres zu tun. Bevor es sich nur weiter in die Besinnungslosigkeit trank konnte er ja eventuell ...
Mit einem leisen Piepton öffneten sich die Türen und Crowley starrte in ein Gesicht, dass er hier garantiert nicht erwartet hätte. „Mr. Crowley?", sagte der Mann hörbar erstaunt, als er den Fahrstuhl verließ. Der Typ aus dem Café. Hier. Warum ... Aus dem Augenwinkel erblickte der Dämon die Hausmatte und plötzlich machte es in seinem Kopf fast schon hörbar klick. „Sie ... Sie sind der neue Mieter?", fragte er daher. „Ja genau. Yoshua Smith", antwortete dieser und reichte Crowley eine Hand, die jener jedoch ignorierte. „Und", sagte er stattdessen, „Mr. ... Yoshua Smith ... haben Sie vor mir zu erklären, was sie an meiner Wohnung gesucht haben?" Die letzten Worte kamen fast schon mit einem Zischen über Crowleys Lippen und er hatte nicht übel Lust seine Sonnenbrille abzusetzen und dieser Witzfigur eine Heidenangst einzujagen.
Jener blieb jedoch ungebührlich ruhig und erwiderte nur: „Die Dame, die vor Ihnen dort oben gewohnt hat, hatte mich darum gebeten Ihre Pflanzen zu versorgen und ihr ab und an zu helfen. Dafür hatte sie mir sogar einen Schlüssel anvertraut." Bei jenen Worten zog er tatsächlich einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und drückte diesen einem verdatterten Crowley in die Hand. „Als ich mitbekommen habe, dass es einen Eigentümerwechsel gab, wollte ich ihnen diesen eigentlich schon längst gegeben haben, aber es hat nie jemand auf mein Klopfen reagiert und in den Briefkasten wollte ich ihn auch nicht einfach werden. Apropos, da hat sich einiges an Post bei Ihnen angesammelt. Ich habe mir erlaubt Ihnen diese in den Flur zu legen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch zu tun."
Und ohne ein weiteres Wort lies er den sprachlosen Crowley stehen, der den Schlüssel fest umklammert hielt. „Lucifer ... Satan ... Mephistopheles ... Belial ... was bei den neun Kreisen der Hölle war hier los?", dachte sich Crowley. Er würde sich um diese ... irritierende Person kümmern müssen. Aber erstmal betrat er den Fahrstuhl. Beim Schließen der Türen kam ihm erneut der Gedanke, dass dieser Mann ihm irgendwie bekannt vorkam. Er hatte ein schlechtes Gedächtnis, wenn es um menschliche Gesichter ging, aber irgendwas an diesem Kerl war ... anders. Das Öffnen der Türen holte ihn in die Gegenwart zurück und er ging auf seine Wohnung zu.
Wie angekündigt fand er im Flur einen ganzen Stapel an Flyern und Briefen vor. Zunächst einmal brachte er allerdings sein Diebesgut in Sicherheit, bevor er sich den Papierhaufen schnappte und auf den Küchentresen fallen ließ. Dabei segelte ein eher unscheinbarer Brief auf den Boden. Crowley hob ihn auf und öffnete ihn. Er hatte eh nichts besseres zu tun, da konnte er sich auch seiner Post widmen.
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Die Grautöne unserer Seite
Hayran Kurgu„Wir nennen es ... die zweite Wiederkunft." Man hätte es passenderweise auch den erneuten Versuch die Welt untergehen lassen nennen können, doch dies würde keinen himmlischen Standard erfüllen. Und so werden der Dämon Crowley und der nun oberste Erz...