Kapitel 1

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Ich habe oft das Gefühl, dass das Leben auf mich einstürzt.
Dass gleich alles zerstört ist und ich nichts daran ändern kann.
Das Gefühl drängt mich einerseits in die Ecke und befreit mich auf der anderen Seite von dem Gefühl Ersticken zu müssen, von dem Gefühl die Kontrolle über alles haben zu müssen.
Es ist widersprüchlich und doch gehört es genau so zusammen, wir Tag und Nacht, Himmel und Erde, Wasser und Feuer und Liebe und Hass.

Es gibt Momente, in denen das Positive in einem Menschen überwiegt und Momente, in denen das Negative seine Handlungen bestimmt. Es muss alles im Gleichgewicht sein, um ein erfülltes Leben zulassen zu können. Wenn jedoch eine Seite die Andere übertrifft, in den Schatten drängt, ändert sich alles in dem Leben dieser Person. Zum Guten oder zum Schlechten...

Mein Leben läuft gerade mehr bergab als bergauf. Bleibt stehen und dreht sich um, anstatt nach vorne schauend weiterzugehen, lebt mehr in Erinnerungen und Gedanken, als in der Gegenwart.

Der Grund dafür sind die Briefe, die doch keine Briefe sind.
In Briefen schreibt man jemandem, den man kennt oder kennenlernen will. Man schreibt Buchstaben, schreibt Worte, schreibt Sätze.
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Und auch jetzt zittern meine Finger, als ich zum Briefkasten gehe.
Ich balle die Hände zu Fäusten und versuche die Hoffnung zu verdrängen, den Funken zum Erlöschen zu bringen.

Seit drei Tagen habe ich nun keinen Brief mehr bekommen.
Vielleicht kommt keiner mehr, nie wieder , flüstert die kleine Stimme in meinem Kopf.
Der Gedanke ist tröstlich, beruhigend.
Trotzdem bin ich nervös.
Der Schlüssel für mein Postfach rutscht mir beinahe aus den Händen.
Ich atme tief durch.
Einmal.
Zweimal.
Ein weiteres Mal.
Mein Herz wird nicht ruhiger.
Es pocht schnell gegen meine Brust. Zu schnell.
Ich stecke den Schlüssel ins Schloss.
Das Namensschild darunter lautet Raven Winchester.
Noch einmal atme ich tief durch. Schließe die Augen.
Dann drehe ich den Schlüssel nach rechts.
Der schwarze Umschlag ist das erste, was ich sehe und alles stürzt erneut auf mich ein.

Ich sinke auf den Boden. Versuche keuchend Luft in meine Lungen zu saugen.
Ganz langsam segelt der Briefumschlag herab.
Der Name darauf, mein Name, verschwimmt vor meinen Augen.
Ich strecke die zitternden Finger nach dem Papier aus.
Reiße es auf.
Eine einfache Fotografie rutscht heraus.
Zitternd atme ich ein und schließe die Augenlider.
Die Abbildung zeigt eine junge Frau, Anfang zwanzig, die dunkeln, langen, leicht welligen Haare haben einen rötlichen Unterton. Sie sitzt zusammengesunken auf einer Bank im Wald. Die Hände um die nackten Arme geschlungen, die von den Schulterfreien Kleid nicht bedeckt werden.
Die Augen sind geschlossen, das Foto frontal aufgenommen. Sonst ist niemand zu sehen.
Kein Mensch und doch ist klar, dass jemand dort gewesen sein muss.
Im Wald.
Denn irgendjemand muss schließlich das Bild geschossen haben.
Das Bild auf dem die junge Frau sichtlich entspannt wirkt, weil sie sich sicher fühlt, allein fühlt, unbeobachtet fühlt.
Weil ich mich unbeobachtet gefühlt habe.

Ich knülle das Bild zusammen, da fällt mir ein Zettel auf ,der zusammen mit dem Umschlag auf meinem Briefkasten gesegelt ist. Es ist eine Stellenanzeige.
Ich überfliege sie. Hauptsächlich um mich auf andere Gedanken zu bringen.
Gesucht ist eine Assistentin, die das Grundstück in der Abwesenheit des Hausherrn versorgt.
Ich will den Zettel gerade wieder weglegen da fällt mein Blick auf die vorletzte Zeile. Kostenlose Unterkunft.

DEADLY OBSESSIONWo Geschichten leben. Entdecke jetzt