1|blue heart

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Saphira

Wie konnte ich nur so blöd sein? Warum muss mir das alles passieren? Warum ich? Warum hasst mich das Universum so sehr?

Der Wind peitscht mir ins Gesicht, während ich mich durch die dichten Straßen kämpfe. Autos rauschen an mir vorbei, obwohl die Welt aufgehört hat, sich zu drehen. Oder hat nur meine Welt aufgehört sich zu drehen? Mein Puls rast in meinen Ohren und ich atme viel zu schnell. In Rondale regnet es so gut wie nie. Doch ausgerechnet jetzt schüttet es wie aus Eimern. Der Himmel hat ein Loch bekommen und lässt die Flüssigkeiten nur so fließen.

Genauso wie mein Herz ein Loch bekommen hat.

Ich merke erst, dass ich weine, als sich ein Schluchzer meiner Kehle entringt. Angesichts meines leichten Outfits, das aus Caydens Hemd und einer Leggings besteht, sollte ich frieren. Doch ich spüre gar nichts mehr. Nur noch das klaffende Loch, welches Cayden einmal gefüllt hat.

Als ich an einem Hotel ankomme, betrete ich die Lobby. Der Rezeptionist nimmt mich erst wahr, als ich direkt vor ihm zum Stehen komme.

„Ein Zimmer für mich." Auch wenn mir momentan nicht der Sinn nach Höflichkeiten steht, vor allem weil der Gedanken an die ganzen Floskeln und Worte viel zu anstrengend ist, würge ich ein „Bitte" hinterher.

Der Mann hebt seinen Kopf und bleibt mit seinen Augen auf Brusthöhe hängen. Ich lasse es zu, da mir die Kraft für zusätzliche Worte fehlt. Ich will einfach nur in ein Zimmer, mich duschen und ins Bett legen. Mr Kenning, wie mir sein Namensschild verrät, räuspert sich. „Guten Tag, Miss. Willkommen im-"

„Ein Zimmer. Jetzt." So langsam reißt mir der Geduldsfaden. Als ich nach meiner Kreditkarte suchen möchte, merke ich, wie stark meine Finger zittern. Ich brauche ganze drei Versuche, um die dünne Karte aus meinem Geldbeutel zu fischen.

Mr Kenning klickt mit seiner Maus ein wenig herum, dann fragt er mich: „Für wie lange? Man kann den Aufenthalt auch verlängern, sollte es nötig werden."

„Erstmal eine Nacht", entgegne ich, diesmal ein wenig freundlicher. Schließlich kann er nichts für meine Lage. Im Gegenteil. Der Mann versucht mir zu helfen. Er gibt mit eine Dusche, einen warmen Platz und wahrscheinlich auch Essen, wenn ich denn Appetit hätte – der mir allerdings vergangen ist.

„Sehr gerne." Er nimmt sich die Karte, die ich bereits auf den Tresen gelegt habe und tippt alles Nötige ein. „Erledigt. Ich hole Ihnen den Schlüssel, Miss Nelson." Er rollt mit seinem Stuhl an die Wand hinter ihm, steht auf und fährt mit der Hand über verschiedene Schlüssel, bis er an einem mit einem lila Anhänger stehen bleibt. Diesen nimmt er vom Hacken und überreicht ihn mir. „Bitte sehr. Schönen Aufenthalt." Er schenkt mir ein freundliches Lächeln, wobei er ein bisschen rot um die Nase wird. Ein weiteres Mal landet sein Blick auf meiner Brust, diesmal jedoch nur für eine Sekunde. Fortschritt.

Ich nehme den Schlüssel entgegen, nachdem ich meinen Geldbeutel in meine kleine Tasche gepackt habe.

„Soll ich Ihnen zeigen, wo es liegt, Miss?" Mr Kenning räuspert sich erneut.

„Nein. Sagen Sie mir einfach nur die Nummer und das Stockwerk", fordere ich.

Nachdem ich beides erfahren habe, bin ich schon zur Häfte beim Aufzug angekommen und drücke den Knopf. Sobald sich die Türen öffnen, seufze ich erleichtert auf, als ich sehe, dass dieser leer ist. Ich verschränke meine Arme vor der Brust, da mir jetzt doch ein wenig kalt ist. Wahrscheinlich ist das weiße Hemd durchsichtig geworden und lässt somit nicht nur erahnen, dass ich drunter nichts trage. Ich habe ja auch nicht erwartet, nach wundervollen Tagen von meinem Freund aus seinem Haus geworfen zu werden, nachdem seine schwangere Ex aufgetaucht ist. Sonst hätte ich mir wahrscheinlich eine Jacke mitgenommen und einen Regenschirm. Eventuell hätte ich mir auch anderes Schuhwerk angezogen. Meine Ballerinas sind komplett durchweicht und ich stehe in einer Pfütze.

Aber, ein freudloses Lachen entringt sich mir, wer rechnet schon damit? Ich lege den Kopf in den Nacken, stemme meine Hände in die Hüfte und lache. Mit beiden Händen fahre ich mir einmal übers Gesicht und durch meine Haare. Ich lache.

Mit immer noch zittrigen Fingern fische ich nach meinem Handy und wähle Elaines Nummer, sobald ich aus dem Fahrstuhl im dritten Stockwerk ausgestiegen bin.

Sie nimmt sofort ab. „Wieso rufst du mich an, wenn du eigentlich mit deinem Freund zusammen in seinem Bett sein und ihn auffressen solltest?" Elaine tut zwar auf streng, aber ich kann ihr Grinsen raushören. „Also, was gib-"

„Sie ist zurück", platzt es aus mir heraus. Erneut lache ich auf. „Sie ist wieder da. Ist einfach vor der Türe aufgetaucht", fahre ich fort, während ich den Flur nach meinem Zimmer absuche. Mit dem Handy zwischen Schulter und Ohr öffne ich die Türe und trete hinein. Augenblicklich streife ich die Schuhe ab. „Wir haben... wir waren erst... wollten gerade..." Ich kann nicht mehr aufhören zu lachen, weil es einfach so absurd ist.

Bis ich von einem Schluchzer erfasst werde. Und ich erneut beginne zu weinen. „Dann... dann..." Ich schlucke, kann jedoch nach wie vor keinen Satz herausbringen. Ich schluchze auf. „Sie war... und er hat..."

„Saph!" Elaines Stimme wird laut und klingt so, als würde sie meinen Namen nicht zum ersten Mal sagen. „Atmen. Mach mir nach." Sie hat recht. Ich hyperventiliere. Als ich merke, wie sie atmet, passe ich mich ihrer Atmung an. „Sehr gut. Und jetzt nochmal in Ruhe. Wer ist aufgetaucht?"

Ich schließe die Augen und atme ein letztes Mal tief durch. „Caroline."

„Scheiße!", murmelt Elaine. „Wann? Warum? Was ist passiert? Saphira!"

„Cayden und ich wollten gerade frühstücken, da hat es an der Tür geklingelt. Dann stand sie davor." Dann warte ich auf ihre Antwort.

„Ok." Ich höre Elaine etwas umschmeißen, dann gehen Türen auf und zu. „Ok. Wo bist du? Ich komme zu dir. Bist du zu Hause? Bist du noch bei ihm? Brauchst du etwas? Kann ich etwas holen für-"

„Elaine?" Endlich gibt sie Ruhe. Tief atme ich ein, wüste mich für die nächsten Worte. „Sie ist schwanger", flüstere ich.

Die Stille, die folgt, ist lauter als jedes Heavy-Metal-Konzert. Keiner atmet, niemand wagt es sich auch nur zu bewegen. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, bevor einer von uns etwas sagt.

Letztendlich ist es Elaine, die das Schweigen bricht: „Wo bist du?"

„Im Hotel. Ich kenne den Namen nicht. Er hat mich rausgeworfen." Also streng genommen hat er mich nicht rausgeworfen. Ich hätte auch einfach in seinem Zimmer oben warten können, bis sie fertig gesprochen haben. Aber ich wollte nicht bleiben. Ich wollte nicht auf die Worte warten, die unweigerlich gekommen wären, sobald sie fertig wären. Es ist aus. Bitte geh. Ich kenne Cayden. Er versucht, immer das Richtige zu tun. Und er würde Caroline zurücknehmen. Erst recht, wenn es sein Kind ist. Ich meine, jeder kennt die Legende von Caroline und Cayden. Die Tragödie, die eine Liebesgeschichte, die alle anderen in den Schatten stellt. Ich hätte doch nie und nimmer eine Chance dagegen. Deswegen bin ich gegangen. Aber er hätte mich genauso gut rauswerfen können.

„Er hat was?" Elaine klingt richtig empört. „Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist."

Ich seufze. „Naja. So richtig rausgeworfen hat er mich nicht. Er hat nur gesagt, dass er jetzt mit ihr alleine reden möchte. Was auch vollkommen verständlich ist. Also bin ich gegangen."

Nun seufzt Elaine. „Ok. Ich komme zu dir. Schickst du mir schnell deinen Standort bitte?"

Sofort tippe ich auf meinem Handy rum. Kurz darauf verabschieden wir uns und ich schreibe meiner Tante eine schnelle Nachricht, dass ich bei Elaine bin. Sie reagiert mit einem Daumen hoch und einem Küsschen.

Ich weiß es besser, doch ich kann mich nicht davon abhalten nachzuschauen, ob Cayden sich gemeldet hat. Irgendetwas. Denn ich weiß genau, dass es nicht so ist. Doch anscheinend liebe ich es, mich selbst zu foltern. Denn ich schaue dennoch nach. Ich klicke auf unseren Chat. Als mir die letzten Worte unserer Konversation entgegen leuchten, bekomme ich erneut einen Kloß im Hals. Bis gleich. Ich liebe dich. Darunter finden sich noch drei blaue Herzchen von Cayden.

Schnell blinzele ich die aufsteigenden Tränen weg und sperre mein Handy.

Dann klopft es auch schon an meiner Türe.

Desire-Deep as WaterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt