Kapitel 30 ~ Wunde

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Mit zittrigen Finger umwickelte Kakashi ihre offenen und blutenden Wunden. Seine Hände, besprenkelt mit dem roten Lebenssaft, huschten über ihre Haut, versuchten die Blutungen zu stillen, doch es floss immer mehr aus ihrem Körper. Irgendwann musste das Ende doch erreicht sein!

Hoffentlich nicht bald...

Er geriet in Panik und rüttelte stärker als die Male davor an ihrer Schulter. Verwaschen öffnete sie ihre Augen, doch verdrehte sie sogleich wieder und sank zurück in die Kissen der Couch. ,,Hiko", rief er ihren Namen und drückte weiter auf die Wunde an ihrer Seite. Sie würde ihm verbluten, wenn er dies nicht gestillt bekam! Nicht schon wieder. Nicht schon wieder eine Person, die ihm nahe stand...

Er war in seine Wohnung gestürzt, hatte mit letzter Kraft die Tür hinter sich geschlossen. Gerade rechtzeitig, denn die Wirkung der Tabletten hatten nachgegeben. Er hatte deutlich gespürt, wie sie aus seinem Körper geschlüpft kam und schwer atmend vor ihm gelegen hatte. Sie hatte keine Kraft mehr gehabt, um allein aufzustehen, sodass er sie schwerfällig auf sein Sofa getragen hatte. Erst dort hatte er die große Lache an Blut wahrgenommen, die eine fleckige Spur hinter ihm herzog.

Sie hatte die gesamte Zeit geblutet. Während des Kampfes, während ihrer Gespräche, während des Rückwegs - die gesamte Zeit... und er hatte sie nicht eher verbunden. Er hätte darauf bestehen sollen. Er hätte sie gegen ihren Willen zwingen müssen, dass er ihre Versorgung übernahm. Die Wunden waren immer wieder aufs Neue aufgerissen und kamen nicht zum Stillstand. Nun rutschte sie immer weiter in den kritischen Bereich, dämmerte immer wieder in die schwarze, gähnende Leere.

Sie durfte nicht sterben.

Dieses Ziel setzte er sich, als er ein weiteres Mal an ihrer Schulter rüttelte und sie zurück in die Realität holte. Erleichterung flutete seinen Körper, als sie reagierte, ihn ansah und schwach ihre Mundwinkel anhob. Ihre Hand - zerbrechlich wie Glas, zitternd wie Espenlaub, schlaff wie ein Blatt Papier - legte sich vorsichtig auf seine, die weiterhin auf ihre Wunde drückte. Sie streichelte mit ihrem Daumen sanft über seinen Handrücken, ließ ihn wissen, dass sie noch immer da war.

,,Ich schaffe es nicht", hauchte er tonlos, hielt den Druck aufrecht und musterte die bereits durchgeblutete Binde um ihren Bauch. Was sollte er noch tun? Weiter drücken? Auf jeden Fall, doch ihm gingen allmählich die Ideen aus. Sollte er Pakkun ins Krankenhaus schicken und einen Medi-Nin holen lassen?

,,Du hast es bereits geschafft", murmelte Takehiko nicht viel lauter, als er gewesen war und umschloss seine Hand, um sie von ihrer Seite zu entfernen. ,,Beruhig dich, Kakashi", drückte sie liebevoll seine Finger und blickte in sein rabenschwarzes Auge. Seine Haare klebten ihm vor Panik und Blut an der Stirn, doch er erwiderte den Blick. ,,Ich sterbe dir schon nicht weg."

Er wollte ihr glauben - so gern glauben. Er brauchte sie doch und wollte sie nicht mehr missen in seinem Leben. Es stimmte, was man sagte: Man merkt erst, was einem wichtig war, wenn man es verloren hat.

Er hatte sie nicht verloren, doch seine labile Psyche spielte ihm Streiche - fiese Streiche, dass er sie verlieren würde. Selbst kraftlos von der anstrengenden Reise, setzte der Junge sich geschafft vor die Couch auf den Boden, lehnte seinen Kopf an die Sitzfläche und betrachtete ihr Profil. Auch Hiko pappten die Haare an ihrer Stirn.

Wie von Geisterhand gesteuert, hob er seine Hand zu ihren Gesicht, strich ihr die blau-grünen Strähnen hinter die Ohren. Zu seiner Überraschung schmiegte sie sich an seine Hand, welche er deshalb auf ihrer Wange liegen ließ, diese streichelte und den Schmutz davon leicht säuberte. Er spürte ihr sanftes Lächeln, was ihm selbst eines auf die Lippen zauberte.

Es wuchs weiter an, als sich ihre Finger in seinem grauen Schopf wiederfanden. Sie tat es ihm gleich, fuhr durch seine Haare und schenkte ihm das Gefühl, was er dringend brauchte. Geborgenheit. Keine Einsamkeit. Tief atmete er durch, schloss kurz die Augen, um diese Zweisamkeit vollständig aufnehmen zu können. Ihre Finger kraulten seinen Kopf, streiften durch seine Strähnen, beruhigten ihn.

,,Ich habe Angst davor, Hiko", gestand er und öffnete sein rechtes Auge, um zu ihr hochzublicken. Sie starrte gedankenverloren an die Decke, doch sie schien seinen Blick bemerkt zu haben und erwiderte den Augenkontakt nach kurzem Zögern. Ihre sonst intensiv himmelblauen Augen wirkten matt und leblos. ,,Ich bin nicht so stark wie du." Kakashi schluckte. Er wusste, dass sie keine Kämpferin war, nicht aus Stein gebaut war, doch sie war schlau, was im Kampf leider nicht vollends ausreichte. ,,Mir machen solche Verletzungen mehr zu schaffen als dir", sprach sie weiter, vergrößerte seine Angst zunehmend.

Sie fuhr weiter durch seine Haare und schmiegte sich näher an seine Hand, die weiterhin auf ihrer Wange ruhte. Der Hatake sah, wie sie nur noch mit allerletzter Energie die Augen offenhalten konnte, wie sie gegen die Müdigkeit ihres Körpers ankämpfte, um ihm seine Antwort zu geben. ,,Du kannst dir aber sicher sein, dass ich dich nicht allein lassen werde." Sein Herz machte einen Sprung und aus Instinkt wollte er sich bereits an seine stark schlagende Brust greifen. Er befürchtete, ihre guten Ohren könnten es hören, wie es wild schlug und schlug und schlug.

,,Das heißt, du bleibst bei mir?", hoffnungsvoll schwang seine Stimme, während sie nickte. ,,Ich bleibe an deiner Seite", wiederholte sie und schloss langsam ihre Augen. Ihre Kraft war verbraucht. Kakashi griff nach ihrer Decke neben der Lehne, zog sie über ihren Körper, damit sie nicht fror. ,,Ruh dich ordentlich aus", sprach er zu ihr, haderte mit sich, doch drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. Mit einem seeligen Lächeln auf den Lippen regelmäßigte sich ihre Atmung, wurde flach, aber gleichmäßig. Sie war friedlich eingeschlafen.

Kakashi machte es sich vor dem Sofa bequem, horchte ihrem leisen Atem. Er würde ihre Seite ebenfalls nicht verlassen. Er würde da sein, wenn sie erwachte. Seine schweren und schmerzenden Glieder ignorierte er. Seine geprellte Rippe stach, ließ seine Brust pulsieren, doch er würde nicht daran sterben, wenn er es nicht direkt behandeln würde. Die Tsunagari war ihm wichtiger. Hiko war seine Priorität.

Sein Herz legte erneut an Tempo zu und er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Er wurde rot. Seine Ohren glühten und sein Herz hämmerte gegen seine Brust. Seine Gedanken drehten sich um sie - nur um sie.

Dieses Gefühl... Dieses Gefühl...

Es fühlte sich großartig an. Er versuchte mit aller Macht, diese Emotionen zuzuordnen. Er kannte es nicht. Er suchte und suchte. Er fand es nicht. Dieses Wort, was es am besten beschrieb. Nur ein Wort.

Es brauchte die halbe Nacht, bis er verstand: Er hatte sich in sie verliebt.

Liebe.

Liebe war sein gesuchte Wort.

1126 Wörter

Coyote Secret (Kakashi FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt