Kapitel 4 - Teil 6

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Mein Startpunkt war ein absolut realistischer Wald, der mir direkt all seine Reize entgegensendete. Ich hörte das Zwitschern der Vögel, spürte den leichten Wind über meinen Haaren und im Nu war ich in den Bann der Natur gezogen. Bei jedem Schritt spürte ich den unebenen, aber recht weichen Waldboden. In den ersten Minuten musste ich mich noch ein wenig an diese Situation gewöhnen, tauchte aber immer schneller in diese virtuelle Welt ein, die ich kaum noch von der Realität unterscheiden konnte.

Es war ein sonniger Tag, als ich mich aufmachte, diesen fremden Wald genauer zu erkunden. Die Bäume ragten hoch in den Himmel, und ein sanfter Wind ließ die Blätter leise rascheln. Die Waldluft war erfüllt von einem angenehmen Duft nach Moos und frischer Erde.

Während ich meinen Weg fortsetzte, tanzten plötzlich farbenfrohe Schmetterlinge um mich herum. Ihre Flügel schimmerten in den verschiedensten Nuancen von Blau, Orange und Gelb. Es war, als würden sie einen fröhlichen Tanz in der Luft aufführen. Ihre zarten Bewegungen ließen den Wald lebendig erscheinen. Einer der Schmetterlinge umkreiste dabei meinen Kopf und kam mir immer näher. Ich hielt den Atem an, versuchte mich nicht zu bewegen, um das kleine Tier nur mit meinen Pupillen zu verfolgen, als es ohne Scheu auf meine rechte Schulter landete. Welch eindrucksvoller Moment, den ich in der natürlichen Atmosphäre des Waldes genoss. Es war ein leuchtend gelb-rotes Exemplar, das ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut erzeugte.

Ich ging vorsichtig ein paar Schritte weiter, um das kleine Insekt nicht zu verscheuchen. Allerdings hörte ich relativ schnell das leise Flattern seiner Flügel, dass seinen Startversuch ankündigte. Als es sich von mir entfernte schaute ich ihm noch einen Augenblick nach und sah zwischen den Bäumen ein scheues Reh, das mich mit großen, neugierigen Augen ansah. Sein Fell schimmerte im goldenen Licht der Sonne, und die Anmut seiner Bewegungen verlieh dem Wald eine bezaubernde Atmosphäre. Ich blieb ein weiteres Mal sofort stehen und schaute mir diesen Waldbewohner aus sicherer Entfernung an. Ich fühlte mich trotz meiner Nacktheit oder vielleicht sogar deshalb der Natur immer mehr verbunden. Ich nahm leise ein paar Atemzüge und erfreute mich der klaren Luft und dem Anblick des grazilen Tieres.

Plötzlich hörte ich das Rascheln von Blättern über mir, und als ich aufblickte, sah ich ein flinkes Eichhörnchen, das über die Äste huschte. Die Geräusche der Blätter, verursacht durch das Eichhörnchen, erschreckte das scheue Reh. Mit einem schnellen Satz verschwand es in den Tiefen des Waldes, sein weißer Schweif flatterte dabei im Wind.

Gleichzeitig tauchte unerwartet ein Fuchs aus dem Unterholz auf und schaute mich direkt mit seinen grünlichen Augen an. Mit seinem glänzenden roten Fell hob er sich deutlich vom Hintergrund des Waldes ab. Er war anscheinend auf der Jagd nach dem Eichhörnchen gewesen. Er blickte überrascht auf und beobachtete, wie das Reh davonsprang. Sein Blick kehrte dann aber zu mir zurück, und er schien die Situation analysiert zu haben, bevor er sich entschied, dem Reh nicht zu folgen. So langsam tauchte ich immer tiefer in das Waldleben ein. Diese Vielfalt an Begegnungen hatte ich vor dem Aufsetzen der Brille nicht erwartet. In der freien Natur hatte ich bisher nie direkten Kontakt zu wildlebenden Füchsen gehabt, sodass ich mich nun fragte, ob ich in Gefahr war oder nicht. Durch meine Nacktheit hatte ich keine Lust auf die Bekanntschaft mit seinen Krallen oder seinen Zähnen zu machen. Also verhielt ich mich zurückhaltend und schaute ihn neutral an.

Der Fuchs beobachtete mich einen Moment lang, fixierte mich, kam aber zu dem Entschluss, dass ich kein Bedrohungsfaktor für ihn war. Daher wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Eichhörnchen zu, das immer noch über die Äste hüpfte. Mit geschmeidigen Bewegungen schlich der Fuchs näher, leise wie der Wind. Seine schlanke Gestalt und der buschige Schwanz verliehen ihm eine elegante Anmut. Als der Fuchs das Eichhörnchen erreichte, änderte sich sein Verhalten. Statt aggressiv vorzugehen, schien er das Spiel zu verstehen. Er starrte es eine Weile an, bevor er sich in eine spielerische Haltung begab und versuchte, das Eichhörnchen zu überlisten. Die beiden Tiere tobten miteinander, als würden sie eine Choreografie aufführen.

Ich konnte nun die Details des Vierbeiners genau betrachten: Sein Fell war dicht und schimmerte rötlich in den Sonnenstrahlen. Seine Augen hatten eine durchdringende Intensität, die von seiner wilden Natur zeugte. Der Fuchs war ein Meister der Tarnung und Anpassung an seine Umgebung. Hier aber zeigte er sich mir in seiner vollen Pracht. Mit einem letzten Blick auf das Eichhörnchen und einem flüchtigen Grinsen verschwand er leise im Dickicht. Vielleicht verfolgte er jetzt doch noch das Reh, welches allerdings schon einen großen Vorsprung haben musste. Ich wünschte mir, dass auch dieses tierische Tête-à-tête friedlich verlaufen würde.

Ein blauer Paradiesvogel erschien in meinem Blickfeld, flog über mich und landete spielerisch auf einen Ast. Mit seinen eher summenden Lauten machte er auf sich aufmerksam. Er schaute in meine Richtung. Wollte er mich im Namen aller Waldbewohner willkommen heißen? Nach den aufregenden Begegnungen mit den anderen wilden Tieren, empfand ich seine Anwesenheit als sehr entspannend. Spätestens jetzt hatte ich mein Wohnzimmer fast vergessen. Ich blieb kurz stehen. Unsere Blicke trafen sich für einige Momente, dann hob er ab und flog in die Richtung eines Pfades, den ich erkennen konnte. Sollte ich ihm folgen? Warum nicht - schließlich wollte ich neue Orte entdecken.

Der Vogel flog vor, machte immer wieder Pausen und wartete, bis ich wieder aufgeholt hatte. Unser gemeinsamer Weg führte uns schließlich zu einem idyllischen Teich, auf dem Enten majestätisch dahinglitten. Das Wasser spiegelte die Baumkronen wider, und die Vögel führten ihre natürlichen Rituale aus. Sie fetteten immer wieder ihr buntes Gefieder, das in der Sonne glänzte, während sie sich sanft im Wasser wiegten. Ihre lauten, aber beruhigenden Rufe füllten die Luft. Schade, dass ich kein virtuelles Brot zur Hand hatte, da ich sie gerne gefüttert hätte. Ich liebte und bewunderte diese Tiere, da sie Alleskönner der Fortbewegung waren. Sie konnten sich sowohl an Land, im Wasser als auch in der Luft bewegen.

Hier konnte man Energie auftanken, die einem im Alltag gnadenlos durch Stress entzogen wurde. Nach ein paar Minuten summte der Paradiesvogel wieder und erhob sich. Ich folgte ihm erneut mit großer Neugierde. Allmählich lichtete sich der Wald und ich erkannte in der Ferne das Meer. Das Rauschen des Wassers, das deutlich zu hören war, löste das des Waldes übergangslos ab. Führte das Tier mich zu einem Strand? Meine Frage wurde schnell beantwortet, als der Waldboden sandiger wurde. Meine Füße sanken immer mehr ein. Ich spürte, wie der Sand durch die Zwischenräume meiner Zehen hindurchfloss. Was für ein realistisches Gefühl, als wäre ich in einer anderen Welt und stünde nicht in meinem Wohnzimmer. Am letzten Baum des Waldes wartete der Vogel noch auf mich und verabschiedete sich mit einem lauten Pfeifen. Ich hatte die Grenze erreicht. Waren die Sonnenstrahlen noch durch die Bäume des Waldes aufgehalten worden, konnten sie mich nun ungehindert treffen. Die warmen Strahlen streichelten meine nackte Haut. Gleichzeitig traf mich ein kühler Windzug der Meeresbrise, der einen wohligen Schauer bei mir auslöste.

Der Strand war sehr viel heller als der Wald, sodass ich die Augen anfangs zusammenkneifen musste. Das Meer konnte ich aber trotzdem erkennen, da es nur ca. einhundert Meter von mir entfernt war. Ein Rundumblick zeigte mir, dass ich nicht alleine am Strand war. In der Ferne sah ich Spaziergängerinnen und einzelne Handtücher, die auf dem warmen Sand ausgebreitet waren und Sonnenanbeterinnen sandfreien Platz darboten. Männer konnte ich nicht entdecken. War das hier nur ein Frauenbadestrand? Durfte ich ihn überhaupt betreten? Warum hatte mich der Vogel hierher geführt? Ein Verbotsschild hatte ich nicht gesehen, also entschied ich mich, ihn zu erkunden.

Fortsetzung mit Kapitel 4 - Teil 7...

Anais - meine Muse (FSK18)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt