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Julia Wańka

Um ihr Auge zeichnete sich ein riesiges Hämatom ab, welches ich erst wahrnahm als sie durch die Umkleide nach draußen stürmte. Sofort überwog die Sorge die Wut und ich bat sie hier zu bleiben und mit mir zu reden. Sie machte keine Anstalten zu bleiben also musste ich sie gezwungenermaßen warnen, dass es meine Pflicht wäre ihre Mutter anzurufen.

Ich sah wie sie in ihrer Bewegung stoppte und konnte ihre lauten Gedanken fast schon hören.
Anscheinend hat sie sich entschieden, denn sie schnaubte einmal kurz und setzte den Schritt vor die Tür. Ich wollte nicht, dass Kate Zuhause in Schwierigkeiten gerät, weswegen ich nach ihrem Handgelenk griff um sie aufzuhalten.

Sie zuckte heftig zusammen, zischte schmerzhaft auf und ich konnte puren Schrecken in ihren Augen erkennen. Sofort ließ ich ihre Hand wieder los und entschuldigte mich. Sie nickte nur, zog ihre Ärmel rasch wieder über ihre Handgelenke und warf ihren Blick auf den Boden.

Sanft nahm ich ihr Kinn mit zwei Fingern und lenkte ihren Blick so, dass sie gezwungen war mir in die Augen zu schauen. Es tat schon fast weh als sich unsere Blicke trafen. Ich wollte sie nicht verletzt sehen, wer für dieses Hämatom verantwortlich ist, bekommt hoffentlich eine gerechte Strafe.

Doch so durfte ich die Situation nicht angehen, ich musste sensibler handeln. "Möchtest du drin mal mit mir reden, Kleine?", fragte ich mit einem einladenden Lächeln und sie zuckte mit den Schultern. "Na komm, hier draußen wird es langsam kühl.", sagte ich, da ich immer noch meine kurzen Sportsachen trug. Langsam trat ich neben sie und legte einfühlsam meine Hand auf ihren unteren Rücken - wohl darauf bedacht sie nicht zu erschrecken - und führte sie in ein leeres Klassenzimmer.

Kate

"Setz dich ruhig, ich gehe mal ganz kurz Herr Schmidt fragen, ob er die Klasse übernehmen kann. Ich bin gleich wieder da. Und ja nicht wegrennen.", sagte sie mit einem freundlichen Zwinkern und verließ den Raum.

Was mach ich nur hier.

Mein Instinkt zu flüchten war größer denn je, ich wollte einfach nur weg von hier. Weg von der Schule. Weg von meiner Mutter. Mich einfach mal vor der Welt verstecken. Aber auf der anderen Seite wollte ich ihr alles erzählen: von den Schlägen die mich jeden Tag treffen, von dem Geschmack von Blut auf der Zunge, von der kurzen ruhigen Dunkelheit, die mich überkommt, wenn mein Körper all dem nicht mehr standhalten kann, von den unendlichen Tränen, den Albträumen und von der riesigen Angst nach Hause zu gehen.

Ich wollte ihr von all dem erzählen. Doch was passiert dann? Meine Mutter und ihr Freund wandern in den Knast und ich muss ins Heim. Nein, danke. Ich hab niemanden mehr, der mich nehmen könnte. Ich bin allein, wenn meine Mutter verschwindet. Außerdem ist es nicht allzu schlecht an dem Ort, ich habe ein Dach über dem Kopf und eine warme Dusche.

Durch ein Tür öffnen wurde ich aus meinen Gedanken gezogen. Meine Lehrerin trat ein und nahm sich einen Stuhl, den sie dann mit ein wenig Abstand vor meinen Tisch stellte.
Als sie mir in die Augen sah, schaute ich schnell in meinen Schoß in dem ich nervös mit meinen Händen spielte.

"Darf ich fragen was mit deinem Gesicht passiert ist, Süße?", fragte sie und mein Puls stieg in die Höhe. Ich war noch nie gut im lügen. "Ich bin die Treppe runtergefallen.", murmelte ich. Ein sanftes liebevolles Seufzen überkam ihre Lippen und ich spürte ihren Blick auf mir. "Kann ich mir deine Handgelenke einmal ansehen? Du hast sichtlich Schmerzen.", fragte sie erneut als ich nichts mehr zu meinem Gesagten hinzufügte.

Sollte ich ihr vertrauen? Sollte ich es ihr zeigen? Sie meine Emotionen sehen lassen?

Während meinem Gedankengang stand sie auf und hockte sich neben meinen Stuhl. Meine Lehrerin nahm meine Hände in ihre und begann erneut zu sprechen: "Ich weiß du hast Angst, Süße. Aber ich kann dir helfen. Du musst nur mit mir reden. Bitte."

Ich nickte zögerlich und schob meine Ärmel nur ein kleines Stück hoch. Sie musste ja nicht gleich den ganzen Schaden zu sehen bekommen. Auf meinen Handgelenken zeichneten sich tiefe blaue, rote, aber auch grüne Flecken ab. Wenn man wusste wie sie entstanden sind, konnte man bei genauem Hinsehen auch das Muster erkennen: Es waren Griffmale.

Ich sah wie sich ihre Augen weiteten und sie langsam mit ihren Fingern über meine Hämatome fuhr. Es war beruhigend. "Ach, Süße.", sagte sie und  zog mich in eine Umarmung. Ich liebte dieses Gefühl von Sicherheit, welches sie mir mit diesen Umarmungen schenkte. "Das kommt, aber nicht von einem Treppensturz oder, Kleine?", sagte sie in der Umarmung und diese Frage war der eine Tropfen der gefehlt hat um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Der Kloß in meinem Hals, der mich seit einigen Minuten quälte verschwand und ich brach in Tränen aus.

"Shhh, alles wird gut. Alles ist gut.", flüsterte Frau Wańka mir zu während sie mir durch die Haare strich. Nichts ist gut. Ich habe es ihr gesagt. Ich hätte meinen Mund halten sollen. Niemals hätte es jemand erfahren dürfen. Das wird großen Ärger geben zu Hause. Er wird nicht gnädig sein. Oh Gott er wird mich tot prügeln. 

"Hey, alles gut. Ganz ruhig atmen.", sagte meine Lehrerin als sie merkte, wie mein Herzschlag und meine Atemfrequenz rasant anstiegen. Das war auch der Moment als sie sich aus der Umarmung löste. "Kate. Schau mich an. Du bist hier sicher, nichts schlimmes wird passieren, meine Kleine.", versicherte sie mit ruhiger Stimme. Vielleicht würde jetzt nichts passieren, doch wenn das meine Mutter erfährt,  werde ich heute Nachmittag nicht mehr auf dieser Welt sein.

Vielleicht gar nicht mal so schlecht.

"Komm schon, Süße. Konzentrier dich auf meine Atmung. Langsam ein und wieder aus.", sagte Frau Wańka und half mir wieder die Kontrolle über meinen Körper zu erlangen. Nun liefen mir die Tränen nur noch stumm über die Wangen.

"Willst du mir sagen was wirklich passiert ist?", fragte sie nun und ich schüttelte schnell meinen Kopf. "Ist denn Zuhause alles gut, Kleine?", fügte sie mit einem besorgten Blick hinzu. Ich nickte, jedoch wurden die Tränen immer mehr. "Wer tut dir das an? Ich will dir nur helfen. Du verdienst das nicht, das musst du verstehen, Süße.", sprach sie auf mich ein und ich nickte in Gedanken. Vielleicht würde der tägliche Schmerz enden? Vielleicht würde ich in eine Familie kommen die mich wirklich liebt?

Einen Versuch ist es wert.

"Meine Mutter...", flüsterte ich und starrte mit glasigen Augen auf den Boden, während meine Hände nervös miteinander spielten. Frau Wańka hockte mittlerweile wieder vor mir und sah mir mit einem zusprechenden Blick in die Augen. "Sie wird manchmal sauer und dann- eh. Ich weiß nicht. Ist egal. Entschuldigung.", sagte ich schnell als ich bemerkte, dass dieser Versuch wahrscheinlich nach hinten losgehen würde. Ich wollte gerade aufstehen und die Schule verlassen, als Frau Wańka mich unerwartet am Handgelenk zurückzog.

Erneut zuckte ich zusammen und erwartete den Schlag, doch es kam nichts. "Hey, ich bin's nur.", flüsterte meine Lehrerin und strich eine Strähne aus meinem Gesicht, während ich mich leise entschuldigte. "Was passiert, wenn deine Mutter wütend wird?", fragte sie mit ernstem Blick und bat mich fortzufahren.

Mit einem Räuspern begann ich: "Ihr Freund er- er tut mir weh." Meine Tränen rollten nun wieder und ich gab ein leises Schluchzen von mir.

In Frau Wańkas Blick erkannte ich Wut und steigende Besorgnis, während sie mich erneut in eine Umarmung zog. "Shhh. Danke, dass du mir das anvertraust, Kleine. Ich werde dir da raus helfen, versprochen.", flüsterte sie in mein Ohr und ich nickte leicht.

"Hast du sonst noch irgendwo Verletzungen?", fragte sie und sah mich eindringlich an. Es war mir unangenehm also verneinte ich die Aussage. "Sicher?", sprach sie erneut und ich nickte wieder. "Okay, dann muss ich jetzt dem Jugendamt bescheid geben. Es wird besser, versprochen.", sagte sie und stand auf. Das Jugendamt? Das wird nichts bringen. Die wurden damals in der Grundschule schonmal verständigt, als ich einige Tage ohne Entschuldigung fehlte, es passierte aber nichts.

Meine Mutter kann sehr überzeugend sein.

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