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"Mach mal bitte die Augen auf.", sagte die Ärztin besorgt. Leichte Schläge auf meine Wange folgten ihrer Bitte und ich kam ihr schließlich nach. Die vergangene Situation traf wieder in meine Gedanken und ich schaute panisch im Raum umher. "Die Polizisten sind nicht mehr hier. Alles ist gut, Maus.", sagte meine Lehrerin neben mir und nahm meine Hand. Der plötzliche Körperkontakt überraschte mich und ich zog meine Hand ruckartig weg.

"Ich fürchte die Befragung muss trotzdem heute durchgeführt werden. Ist es besser für dich, wenn nur die weibliche Polizistin hier ist?", fragte die Ärztin und ich nickte unsicher.

"Wie geht's dir? Fühlst du dich bereit mit der netten Polizistin zu sprechen?", erkundigte sich Frau Wańka. Bereit war ich nicht, aber ich wusste, dass ich es hinter mich bringen musste. Also nickte ich zögerlich.

Die Ärztin verließ den Raum und kurz darauf klopfte es an der Tür und Frau Becker trat in den Raum. "Hallo, Becker mein Name. Wir haben uns vorhin schon kurz gesehen falls du dich erinnern kannst. Ich würde dir gerne kurz ein paar Fragen zu dem gestrigen Tag stellen.", sprach sie und schaute mich prüfend an. Ich nickte und sie legte ein Diktiergerät neben sich auf den Nachttisch. "Also, als erstes würde ich gerne mit deinen Personalien beginnen.", befahl sie und ich nannte sie ihr.

Meine Sätze waren so kurz wie möglich und meine Stimme nur so laut wie nötig.

Nach einer Weile kamen wir dann zu den spezifischeren Fragen: "Ist dein Stiefvater dir gegenüber schonmal handgreiflich geworden oder ist das das erste Mal?"
Ein Schauer lief mir über den Rücken bei dem Ausdruck 'Stiefvater'. Mein Puls erhöhte sich und meine Wangen erröteten. Das Ganze war einfach nur herabwürdigend. Nach einem kurzen Blick zu meiner Lehrerin, die mir einen besorgten dennoch wissenden Blick zu warf, nickte ich. "Ich brauche eine verbale Antwort von dir, Kleine.", forderte die Polizistin entschuldigend.

"Es ist nicht das erste Mal.", flüsterte ich. Leider war das nicht die letzte Frage dieser Art. Schließlich sind wir bei dem Thema Erziehungsberechtigte angekommen. "War deine Mutter jemals an der Gewalt beteiligt?", fragte die Polizistin vorsichtig. Das war eine schwierige Frage. Sie war es eigentlich nicht direkt. Klar hat sie mich hin und wieder mit einer Ohrfeige oder sonstigem zurechtgewiesen, aber das war doch Teil der normalen Erziehung, oder? Trotz ihrer bösen Worte und Liebe zu Ronny will ich sie nicht verlieren.
Sie ist immerhin meine Mama.
Wo sollte ich nach meiner Entlassung denn sonst hin?

"Nein, sie war nie beteiligt.", sagte ich. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich wie meine Lehrerin ihre Körperhaltung aufrichtete, doch Blickkontakt stellte ich bewusst nicht her. Auch Frau Becker zog eine Augenbraue hoch. "Bist du dir da ganz sicher?", hakte sie nach und ich bejahte.

"Und wusste sie von dem Missbrauch?", fragte sie schließlich. Ja. "Ich weiß es nicht. Ich denke nicht.", antwortete ich leise.

Nach weiteren dreißig Minuten war die Befragung schließlich beendet. Die Polizistin packte ihre Sachen und trat aus der Tür. "Wir melden uns nochmal, wenn es soweit ist mit der Gerichtsverhandlung. Gute Besserung.", sagte sie abschließend und verließ den Raum. Endlich konnte ich wieder halbwegs durchatmen. Diese Stunde war echt anstrengend, sowohl psychisch als auch physisch.

"Das hast du ganz toll gemacht, Kate. Ich bin stolz auf dich.", lobte Frau Wańka und lächelte mir aufmunternd zu. Niedergeschlagen und ausgelaugt nickte ich. "Ich hole mir kurz einen Kaffee. Ruh dich ein wenig aus.", sagte sie mit einem sanften Ausdruck in ihren Augen und verließ, wie die Polizistin einige Minuten zuvor, den Raum.

Julia Wańka
Auf dem Weg in die Cafeteria traf ich auf die Ärztin und die Polizei. "Hallo, entschuldigen Sie die Fragerei, aber gibt es schon Neuigkeiten?", fragte ich vorsichtig. "Der Herr sitzt auf jeden Fall in Gewahrsam und kann dem Mädchen nichts mehr tun.", sagte der Polizist. "Und die Mutter?", hakte ich nach. Der Polizist warf seiner Kollegin einen unsicheren Blick zu. Nach kurzen Räuspern antwortete sie: "Sie ist nicht auffindbar."

"Wie bitte?", sprach ich ungläubig. Wie konnte das sein? "Wir sind uns noch unsicher ob die Dame überhaupt an der Gewalttat beteiligt war oder ob sie vielleicht selber Opfer häuslicher Gewalt ist.", sagte Herr Richter. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab. "Sie haben gestern mit Kate telefoniert, richtig? Haben Sie da die Stimme der Mutter gehört?", fragte die Polizeikommissarin. Nach kurzem Überlegen schüttelte den Kopf: "Nein, habe ich nicht." Die Polizisten warfen mir einen Blick zu der ihre Aussage bestätigen sollte.

"Wir müssen schauen was die Ermittlungen zeigen. Erstmal ist es wichtig, dass Kate sich gut erholt und dann schauen wir weiter.", sagte Frau Becker. Etwas verunsichert bedankte ich mich kurz und machte mich dann auf den Weg mir einen Kaffee zu holen.

Mutter von Kate
Meine Glieder schmerzten vom ewigen Rennen. Schweiß tropfte mir von der Stirn. Ausnüchtern ist tatsächlich schwieriger als ich es in Erinnerung hatte. Schon eine Nacht war ich auf der Flucht. Ich musste nachdenken. Was mach ich denn jetzt? Ronny wird jetzt wahrscheinlich eine längere Zeit im Gefängnis verbringen. Ich wusste ganz genau, dass mir dasselbe drohen würde, wenn ich erstens von Rauschmittel beeinflusst auf der Wache auftauche oder zweitens die Polizisten nicht von meiner Unschuld überzeugen kann.

Ich lehnte mich an einen nahegelegenen Baum und machte eine kleine Pause um meine Gedanken zu sortieren. Nüchtern bin ich schon, ich könnte also in den nächsten Stunden mal bei der Wache vorbeischauen. Die selbsthinzugefügten blauen Flecken und Schürfwunden sehen auch relativ authentisch aus. Die farbigen Handabdrücke auf Handgelenk und Hals lassen sich auch langsam blicken.
Meine Geschichte habe ich mir schon zurechtgelegt.

Das Problem was von Kate ausgeht wird sich von selbst regeln. Ihr schlechtes Gewissen war schon immer ihre größte Schwäche. Ronny wird sowieso niemand glauben. Wer glaubt schon einem Drogensüchtigen? Außerdem ist er früher sicherlich auch schon wegen Gewaltdelikten oder Rauschmittelbesitz bei der Polizei bekannt geworden. Eine Zeit lang verbrachte ich noch damit mich in meine Rolle einzufinden. So schwer sollte es jedoch nicht sein, immerhin bin ich die Tochter meiner Mutter. Sie hat mir damals beigebracht wie es sich anfühlt hilflos zu sein. Sie war das perfekte Beispiel. Geschlagen vom eigenen Ehemann und zu feige abzuhauen.

Mit einem festen Plan im Hinterkopf, einer brillanten Geschichte und perfekt inszenierten Wunden machte ich mich auf den Weg zur Wache.

Es wird Zeit das Opfer zu sein.

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Das Kapitel ist ein bisschen kurz, aber ich wollte einen dramatischen Abgang haben.
Außerdem wollte ich mich nochmal bei euch bedanken, danke für die vielen Reads, Kommentare und Votes ♡♡:)

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 24 ⏰

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