Kapitel 37

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H A R R Y

„Was soll das heißen, du hast ihm gesagt, dass er nicht mitkommen kann?" Cam zieht verwirrt die Augenbrauen zusammen und seine Stimme ist schrill.

Ich lehne mich auf die Theke und neige meinen Kopf zur Seite. Warum tut er so überrascht und schockiert? „Er muss nicht alles mit mir machen. Wir sind immer noch zwei einzelne Individuen.", widerlege ich seinen Schock pausibel.

Er seufzt und nimmt einen Schluck seines alkoholischen Getränks, ehe er den Kopf schüttelt. „Ich wäre damit einverstanden, wenn es sich um eine andere Beziehung handeln würde, aber Louis und du? Ihr seid aneinandergebunden, nicht auf die toxische Art und Weise, ihr genießt es einfach, Dinge zusammen zu tun, weil ihr das wegen eurer Arbeit nicht oft tun konntet. Du hast nie einen Moment ausgeschlagen, um nicht mit Louis zu sein."

Ich zupfe mir gedankenverloren an der Lippe.

Ich weiß, wie harsch und abweisend ich mich gegenüber Louis verhalten habe, als ich heute Morgen abgedüst bin. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass in unserer Beziehung etwas passiert ist, das er mir verschweigt.

Jedes Mal, wenn ich Cameron nach unserer Beziehung frage, sagt er mir das Gleiche... wir waren perfekt füreinander, aber es war wohl eher die richtige Person zur falschen Zeit. Wir waren füreinander bestimmt, nur nicht zu diesem Zeitpunkt. Und vielleicht ist das der Grund, warum wir wieder zueinander gefunden haben. Aber es gibt Momente, in denen es sich anfühlt, als wären wir dazu bestimmt, zu kollidieren, aber nicht bestimmt, zu sein.

Ich seufze lange und tief. „Habt ihr mir wirklich alles erzählt? Ich fühle mich so verdammt hilflos, weil mir jeder Mensch etwas über mein Leben erzählen könnte und ich würde es ihnen glauben, weil ich es nicht besser weiß. Ich kenne einen Teil meines Lebens nicht."

Er schluckt sichtbar, überschattet seine unsichere Miene aber mit einem Lächeln. „Louis und du... ihr habt ab einem gewissen Zeitpunkt einfach nicht mehr funktioniert. Nicht, weil ihr euch nicht geliebt habt, sondern vermutlich einfach, weil ihr euch zu sehr geliebt habt. Ihr wolltet so viel voneinander, und ihr brauchtet Zeit und Worte, um die Liebe füreinander auszudrücken, die ihr nicht hattet. Glaub mir, die Zeit getrennt war für das Beste, aber jetzt, wo ihr gewachsen seid und Zeit zum Nachdenken hattet, seid ihr bereit für diese Menge an Liebe."

„Mehr ist an dieser Geschichte also nicht dran? Wir waren einfach nur zwei Menschen, die zu sehr ineinander verliebt waren, zu einer Zeit, in der wir damit nicht umgehen konnten? Es war nicht so, als wäre jemand fremdgegangen oder so?", hinterfrage ich misstrauisch und lege die Stirn in Falten.

Lange herrscht dickes Schweigen zwischen uns, das ich nicht ganz zuordnen kann.

Dann spricht Cameron endlich, nachdem er an seinem Getränk genippt hat. „Sagen wir es mal so: Du hast Dinge getan, die Louis vielleicht verletzt haben - vielleicht auch nicht. Aber du hast es nicht direkt mit Absicht getan, du wolltest ihn nur in Sicherheit haben." Seine Beschreibungen sind vage, nicht eindeutig und das lässt etwas in mir wütend brodeln.

Ich schnaube und werde noch wütender. „Also ist doch mehr an dieser Geschichte dran. Ich glaube es nicht. Die ganze Zeit über habe ich gewusst, dass ihr mir etwas verschweigt. Wisst ihr, wie erbärmlich ihr seid?" Ich nehme Geld aus meiner Tasche, klatsche es auf die Theke und stehe auf. „Ich wollte einfach nur Ehrlichkeit. Ich möchte Menschen um mich haben, die mich unterstützen und die mir die Wahrheit sagen. Ich weiß, dass ich nie perfekt war und dass ich Fehler gemacht habe, aber ich habe keine Angst vor diesen Fehlern, weil sie ein Teil von mir sind."

Meine Wut ist unüberhörbar.

„Ich will mein Leben zurück. Ich will meine Erinnerungen zurück. Aber weißt du, was ich wirklich vermisse und zurückmöchte? Freunde, auf die ich mich verlassen kann. Einen Partner, der mich ohne Zweifel liebt. Eine Familie, die eine Einheit ist. Aber ich habe nichts von alledem." Ich werfe die Arme in die Luft, nur um sie im nächsten Moment wieder fallen zu lassen. „Mein Leben ist ein fucking Scherbenhaufen."

Es ist, als würde plötzlich alles um mich herum zusammenbrechen. Als würde mein Leben aus einem Hauch von Nichts, lediglich Staub und dicke Luft bestehen.

Ich habe keine Freunde.

Keine standhafte Beziehung.

Keine Familie.

Mein Leben ist in New York und trotzdem lebe ich in Nashville.

Verkorkster Mist.

Nicht einmal Erinnerungen an die letzten Jahre habe ich.

Mit einem Schnauben verlasse ich die Bar und steuere meine Villa an. Ich muss Louis zur Rede stellen und ihm die Chance geben, sich zu erklären, ehe ich eine Entscheidung fälle. Und ich weiß wirklich nicht, ob sie für oder gegen ihn fällt.

Die Nacht ist kalt und die Regentropfen auf meiner Haut nass. Die Straßen von Nashville sind kaum zu erkennen, der fahle Lichteinfall der Laternen sorgt lediglich dafür, das ich meine Umgebung in einem Meter Radius erkennen kann. Das trübe Wetter passt zu meinem Gemütszustand und wenn ich ehrlich bin, würde ich mich viel lieber in eine Decke einkuscheln, statt mich einer Konfrontation zu stellen.

Als ich an der Villa ankomme, ist das Licht völlig erlischt. Ich stehe einen Moment lang vor der Haustür und versuche, meine Gedanken zu ordnen. Der Regen hat meine Kleidung durchnässt, aber ich nehme es kaum wahr. Es ist, als würde der emotionale Sturm in mir die äußeren Einflüsse übertrumpfen.

Als ich die Tür öffne, trete ich in die Stille des Hauses. Der Flur liegt im Dunkeln, und ich frage mich, ob Louis bereits schlafen gegangen ist. Ein zögerlicher Schritt führt mich ins Innere der Villa. Ich lege meinen Mantel ab, schlüpfe aus den Schuhen und steuere die Treppe an.

So sehr ich auch die Wahrheit brauche, ich möchte Louis nicht aufwecken, wenn er schläft. Er sieht so friedlich und ruhig aus, genau wie der junge Mann, in den ich mich so sehr verliebt habe.

Gerade als ich die erste Treppenstufe erklimme, klingelt es. Ich zucke zusammen. Meine Augen schweifen zu der riesigen Wanduhr. 22:34 Uhr. Welcher Normalsterbliche klingelt um diese Uhrzeit unangekündigt?

Ich marschiere zurück an die Tür, um ein weiteres Klingeln zu verhindern. Louis muss um diese Uhrzeit nicht noch einmal aufwachen. Mit einem Schwung öffne ich die Tür und ehe ich mich versehe, werde ich mit fröstelnder Dunkelheit übermannt. Dieses Mal stammt die Dunkelheit nicht von der Nacht, sondern von meiner Vergangenheit.

Meine Kinnlade klappt hinunter und bei dem Anblick, der sich vor mir erstreckt, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter.

Das. Ist. Unmöglich.

„Skylar"


When It Is All Over - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt