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Am nächsten Tag schleppt sich Noah müde zum Unterricht. In der ersten Stunde hat er Geschichte. Zum Glück müssen sie nicht an der Hausarbeit arbeiten. Mit Joel hatte weder Philip noch er etwas geklärt. Das steht auch noch offen. Doch erst muss das mit Colin geklärt werden. 

Als Noah in den Raum tritt, sieht er Colin noch nicht bei Joel, Julia und Ava stehen. Er ist noch nicht da. Ohne groß Aufsehen zu erregen setzt er sich auf seinen Platz und holt seinen Block und das Geschichtsbuch hervor. Noah und Philip sind keine Fans von Heftern, sie setzten alles auf ihre lose Blattsammlung in einem Block. Daran halten sie schon seit der 7. Klasse fest. 

3 Minuten vor Unterrichtsbeginn ist Colin immernoch nicht da und schon fast sehnsüchtig schaut Noah auf den Platz neben sich. ‚Ob er vielleicht wieder zu spät kommt, wie am ersten Schultag?' Noah weiß, dass es sinnlos ist, sich eine Ausrede zu überlegen, Philip ist in seinem Namen Schuld daran. Und er fühlt sich dafür verdammt schlecht. 

Pünktlich zum Gong tritt Colin abgehetzt in den Raum, kurz hinter ihm Herr Zech. Ohne Noah auch nur Anzuschauen setzt er sich hin. Den einzigen Blick, den Noah auf Colins Gesicht erhaschen konnte, zeigt ihm, dass er verkackt hat. Seine Augen waren rot unterlaufen und seine Nasenspitze ist ebenfalls so rot wie eine Tomate. Seine Haare sehen ungewaschen und lieblos aus und sein Funkeln in den Augen ist weg. 

Zitternd atmet Colin aus, sodass es Noah eine Gänsehaut bereitet. Doch Colin nun anzusprechen würde das Problem wahrscheinlich vergrößern. Der Unterricht beginnt und Herr Zech beginnt etwas über Schützengraben zu erzählen. Noah schreibt penibel alles mit und gibt sich die größte Mühe ordentlich zu schreiben. Colin neben ihm schreibt nur das nötigste auf und das in sehr unordentlicher Schrift. Noah bezweifelt, dass ihm diese Notizen etwas bringen werden. Er wird ihm seine Notizen geben. Es ist keine Entschuldigung, aber er kann es ja versuchen.

So läuft es auch in all den anderen Fächern. Colin sitzt schweigend und lustlos neben Noah, welcher sich extra anstrengt. 

„Wir sollten nach dem Unterricht nochmal reden", bittet Colin plötzlich mit tonloser Stimme. Noah denkt kurz, dass er sich das bloß eingebildet hat, allerdings ist es wirklich passiert. Colin will noch einmal mit ihm reden. Er kann vielleicht alles, was Philip verkackt hat, wieder gut machen. „Klar".

Nach dem Unterricht bleiben Colin und Noah noch im leeren Klassenzimmer und sitzen nun schweigend auf verschiedenen Tischen. „Das was gestern passiert ist, ich kann es nicht wirklich erklären. Am Freitag hat alles zusammengepasst, ich wollte dich küssen und ich dachte, du willst das auch. Aber dieser Kuss gestern, der hat sich irgendwie falsch angefühlt, ich kann es einfach nicht erklären. Manchmal fühle ich mich in deiner Nähe so als würde alles in mir explodieren und manchmal ist da gar nichts. Wie Feuer und Wasser. Ich versteh es einfach nicht" erklärt Colin Noah. 

Noah weiß woran diese Gefühlswechsel liegen. Er liebt nur einen Zwilling. Ihn. Und wenn ihm Philip gegenüber steht, ist es klar, dass er das nicht fühlen kann. Aber er kann es ihm nicht sagen, nicht schon nach einer Woche. Er und Philip haben den perfekten Plan ausgearbeitet. Niemand durfte wissen, dass es sie zweimal gibt.

„Ich weiß, was du meinst. Ich hab auch Gefühle für dich, Colin. Aber wir kennen uns gerade mal eine Woche und du hast mich gestern wirklich überrumpelt. Ich denke, es wäre wirklich dumm, jetzt etwas miteinander anzufangen, ich meine... wir kennen uns fast gar nicht. Ich will nicht, dass wir uns da in etwas verrennen, nur weil wir zu naiv sind. Und ich bin zu kompliziert". Den letzten Satz flüstert Noah sich selber zu. 

Colin nickt verstehend. „Wir könnten es langsam angehen lassen?". Noah überlegt. Er will es. Er will es umbedingt. Aber er muss auch an Philip denken. Er will nicht, dass Philip als Noah in Colin verliebt ist. Langsam schüttelt Noah den Kopf. 

„Ich hab nicht wirklich gute Erfahrungen in meinem Leben gemacht. Und ich brauch eine Weile bis ich mich auf jemanden einlassen kann. Ich will nicht verletzt werden. Es tut mir Leid". Dann steht Noah vom Tisch auf. Er geht einen Schritt auf Colin zu und rückt ihm einen federleichten Kuss auf die Wange. 

„Wenn du warten willst, wirst du alles irgendwann verstehen", murmelt er Colin zu und verschwindet dann aus dem Zimmer und der Schule. Colin soll nicht sehen, dass er kurz davor ist, zu weinen. Seine Entscheidung fühlt sich so falsch an, aber es muss doch die Richtige sein, oder? 

Es ist das Richtige, oder? 

Gleichgewicht || NolinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt