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Colin drückt die Tür in den Eingangsbereich des Heimes auf und sieht das gewohnte Chaos. Sie haben am Anfang des Monats 5 neue Kinder in die Wohngruppe bekommen, deren Eltern Alkoholiker waren und nun vom Jugendamt aus dem Haushalt geholt wurden. 2 passen sich ziemlich gut an und sind eher ruhig, allerdings bringen die anderen viel Chaos in das Heim. Sie haben keine gute Erziehung genossen und wissen nicht genau, wie sie sich benehmen sollen. 

Im Moment spielen die 3 mit noch ein paar anderen Gleichaltrigen Fangen, obwohl das streng verboten ist, im Haus zu spielen. Die beiden Betreuer Jan und Timon haben alle Hände voll zu tun, sie davon abzuhalten und nebenbei das Gemeinschaftszimmer in Ordnung zu halten. Das Colin angekommen ist, hat niemand bemerkt. 

Er schleicht sich durch den großen Raum, den vorallem die Jüngeren nutzen, und geht in den Flügel für die Großen. Die ‚Großen' sind alle Bewohner ab 16 Jahren. Hier ist er seit Juli untergebracht und es ist ein Segen für ihn. Er hat ein Einzelzimmer, ein eigenes Bad darin und der Gemeinschaftsraum und die Küche sind nicht immer voll und laut. 

Es sind nicht viele hier, die sonderlich älter sind als er. Die meisten ziehen schon mit 17 aus, wenige bleiben bis zur Volljährigkeit. Bisher dachte Colin, dass er bleiben würde, bis er rausgeworfen wird, allerdings klingt der Gedanke, hier raus zu kommen, wirklich verlockend. Er muss nur irgendwo genug Geld herbekommen. 

Er geht den Gang weiter zu seinem Zimmer entlang und tritt in den Raum, bereit ein Chaos zu sehen. Allerdings sieht alles aus wie vorher. Seine Bi-Flagge hängt wieder an der Wand-die Worte, die mit Edding darauf stehen, sind auf der Rückseite-und auch seine Klamotten hängen noch im Schrank. 

‚Irgendwas muss Richard doch angestellt haben', denkt er sich im Stillen und sucht sein Zimmer ab. Nichts ist verändert, sogar das Bild mit Joel steht wieder auf dem Nachtisch. Colin fährt sich durch die Locken und versucht irgendetwas zu finden, dass Richard getan haben könnte. Sogar im Bad hat er schon gesucht, aber dort ist er auch nicht fündig geworden. 

Colin ärgert sich etwas über sich selbst. Warum ist er direkt hergesprintet, nur um dann nichts zu finden? Er hatte so eine schöne Zeit mit Noah. 

Noah. 

Colins Gedanken gehen zurück an den Fast-Kuss, den zweiten inzwischen. Warum schaffen sie es nicht? Wollte ihnen das Universum mitteilen, dass sie doch nicht zusammen gehören und lieber getrennte Wegen gehen sollten? Wahrscheinlich. Aber die Gefühle, die ihn Colin hervorkommen, wenn er in Noahs Nähe ist, die kann er sich nicht einbilden und die können auch nicht falsch sein. Dafür fühlt es sich zu richtig an, zu gut. 

Colin geht in den Gemeinschaftsraum, weil er vorhin schon Clara dort gesehen hat. Clara ist wie er 16 und sie verstehen sich ziemlich gut. Sie ist im Heim, weil sich niemand mehr richtig um sie kümmert, seit sich ihre Eltern getrennt haben. 

Seit 2 Jahren ist die Schwarzhaarige da. Sie ist auch eine eher ruhige Person, die nicht gerne Aufmerksamkeit erregt. Colin hat sich mit ihr angefreundet, als er von Richard regelmäßig aus dem Zimmer geschmissen wurde. Sie haben viel Zeit im Gemeinschaftsraum verbracht und Colin hat Clara geholfen, sich nicht so einsam und verloren zu fühlen. 

Manchmal wünscht sich der Lockenkopf, jemand hätte ihn an die Hand genommen und gesagt, dass alles gut werden wird. Jemanden im selben Alter oder jemanden, der das selbe durchmacht. Pia hat es zwar getan, aber irgendwo ist das ja auch ihr Beruf. Colin ist ihr natürlich dankbar, aber Pia hat eine Familie, die sie liebt. Sie wird nie diesen frühen Verlust zu spüren bekommen.

„Hey, Clara", begrüßt Colin das Mädchen, welche gerade ein Buch liest. Sie schaut nicht auf, liest noch einzelne Zeilen und legt das Buch dann zu Seite, um Colin anzugrinsen. 

„Hey, Colin", meint sie und deutet ihn an, sich neben sie zu setzten. Der Lockenkopf kommt dem gleich nach und setzt sich neben sie. 

„Wie gehst dir?", fragt er sie direkt und legt den Kopf leicht schief. 

„Geht schon. Ich geh morgen meine Mutter besuchen", erklärt sie und schaut aus dem Fenster. Clara besucht ihre Eltern alle paar Wochen, um zu schauen, ob es ihnen noch gut geht. Sie liebt sie auch noch, auch wenn sie nach der Trennung verwahrlost war und mehr auf sich allein gestellt. Ihren Eltern tut es ebenso leid, aber sie haben die Lösung, ihre Tochter in ein Heim zu schicken, als die richtige und beste empfunden. Clara ist zwar immer etwas verloren nach den Besuchen bei ihren Eltern, aber sie meint selbst, dass es ihr damit besser geht, als wenn sie sie nie mehr sehen würde. 

Colin ist in diesen Momenten lange für sie da und nimmt sie in den Arm. In diesen Zeiten denkt er, er hat eine Familie im Heim gefunden. Dann fällt ihm ein, dass hier alle durch ein Trauma sind und sie sich nie wieder sehen werden, zumindest die meisten. Colin ist wirklich gespannt darauf, wohin es ihn verschlagen wird und wer bei ihm bleiben wird. 

Er denkt an Noah. Er will, dass der Blonde an seiner Seite bleibt, für immer. Und auch sein Zwilling soll in seinem Leben bleiben, genauso wie Joel, Julia und Ava. Colin hofft einfach nur, dass er nie wieder so allein ist, wie in der Nacht. 

In der Nacht, in der er auf einmal allein war und es nie wieder sein sollte, wie es war. 

Er und Clara verbringen noch ein wenig Zeit auf der Couch im Gemeinschaftsraum, bis es spät wurde und es Zeit für alle ist, in ihre Zimmer schlafen zu gehen. 

Colin schläft mit den Gedanken bei Noah und dem Fast-Kuss ein. 

Gleichgewicht || NolinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt