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Donnerstag nach der Schule stößt Colin die schwere Eingangstür seines Heimes auf. Er schleicht sich an dem Eingangsbereich und dem Gemeinschaftsraum der Jüngeren vorbei und gelangt unbemerkt in seinen Gemeinschaftsbereich. 

Dort wird er allerdings schon erwartet. Und zwar von Pia und Hannah. Er steht den beiden Frauen gegenüber, schuldbewusst. Er hat Pia nur eine kurze Nachricht geschrieben, das er wahrscheinlich am Mittwoch nicht ins Heim kommen wird und nun wird er ihnen eine ausführliche Erklärung liefern müssen. 

„Colin Thewes", begrüßt ihn Hannah kalt. Die kleine Frau mit leicht grauen Haaransatz steht mit verschränkten Armen vor dem Jungen, der sie beinahe um einen Kopf überragt. Auch Pia hat die Arme vor der Brust verschränkt und schaut ihren Schützling streng an, wenn auch nicht so kalt, wie Hannah es tut. 

„Wo warst du gestern noch?", fragt Pia. 

„Ich war bei einem Freund", meint er und sagt bewusst nicht ‚mein Freund'. Ein erneutes Gespräch über Verhütung braucht er wirklich nicht. 

„Und warum sagst du uns nicht vorher Bescheid. Eine einfache Nachricht reicht nicht, Colin". 

„Mal ganz davon abgesehen, dass Übernachtungen unter der Woche nicht gestattet sind", fügt Hannah noch hinzu. Sie ist definitiv wütender auf Colin. Sie hält sich strickt an Regeln und erwartet das natürlich auch von allen Kindern im Heim. Von Colin hat sie es am wenigsten erwartet, deswegen ist sie nun sichtlich sauer auf den Lockenkopf. 

„Es tut mir Leid, es war eine sehr spontane Entscheidung", erklärt Colin und kratzt sich hinter dem linken Ohr. 

„Selbst dann solltest du doch wenigstens anrufen", meint Pia und klingt auf einmal sehr erschöpft. Colin zieht den Kopf schuldbewusst ein und wartet seine Strafe ab, die ihm Hannah unterbreitet: 

„Du hast Hausarrest für die nächsten 2 Wochen. Nach der Schule kommst du direkt her ohne spontane Übernachtungen oder Treffen". Colin nickt bloß und verkrümelt sich dann in sein Zimmer.

Dort angekommen lässt er sich auf sein Bett fallen. Die Strafe gefällt ihm gar nicht. Er würde jetzt lieber etwas mit Noah unternehmen. Endlich sind sie zusammen und können sich nun, wenn überhaupt, nur in der Schule sehen. Er zückt sein Handy und öffnet den Chat mit dem Blonden.

Colin:

Ich hab Hausarrest, sehe ich

dich morgen in der Schule?

Es erscheinen 2 graue Haken und Colin schließt sein Handy wieder und legt es auf dem Nachttisch ab. Er versucht über irgendetwas nachzudenken, aber sein Kopf ist stumm und leergefegt. Er findet nichts, vorüber er grübeln könnte und so bleibt er mit leerem Kopf auf seinem Bett liegen und starrt die weiße Wand an. 

Plötzlich hat er das Gefühl, das die Wände näher auf ihn zukommen und ihn zu ersticken drohen. Colin springt von seinem Bett auf und rast zur Tür, um sich in den Gang zu retten. Nur leider verfolgt ihn das Pech. Als er aus der Tür stolpert, rennt er geradewegs in Richard. 

„Pass auf, du Freak", beschimpft Richard seinen ehemaligen Mitbewohner. 

„Sorry", bringt Colin nur murmelnd über seine Lippen. Seine Atmung ist flach und er hat immernoch das Gefühl, dass er hier eingequetscht wird. 

„Was'n los? Hast du nun schon Schiss vor deinem Zimmer?", grinst Richard und Colins Fass läuft über. Er klappt kurz auf seinen Beinen zusammen, steht dann wieder auf und rennt in sein Zimmer. Er schnappt sich seinen Rucksack und packt ein paar Klamotten hinein, die er wahllos aus seinem Schrank zieht. Dann holt er noch Zahnbürste und Duschgel aus dem kleinen Bad und stopft es ebenfalls noch in den Rucksack. 

Dann macht er sich auf eine kurze Suche nach Jan oder Timon. Einem von ihnen muss er sagen, dass er geht. Er sucht erst in seinem Gemeinschaftsraum, in dem Hannah nur ein Buch liest. Von Pia ist keine Spur, genauso wie in der Gemeinschaftsküche. 

Erst im Vorratsschrank findet er die beiden Betreuer. Colin stockt, als er sieht, dass er die beiden gerade beim Rummachen unterbricht. Timon hält Jan bei den Hüften an sich und Jan fährt dem anderen Betreuer durch die Haare. 

Sie haben den Lockenkopf nicht bemerkt und Colin haut lieber ab, bevor er noch Dinge sieht, die er nie wieder aus dem Kopf bekommen wird. Ihm bleibt als einzige Möglichkeit noch Pia, der er Bescheid sagen könnte. Er hofft einfach, dass sie nicht komplett ausrasten wird. 

Pia steht in der Küche der Jüngeren und schneidet ein paar Äpfel auf. 

„Colin, was machst du denn hier?", fragt sie ihn überrascht. Colin hat keinen Grund sich hier aufzuhalten, wenn die Großen doch ihre eigene Küche haben. 

„Ich hab dich gesucht", erklärt Colin etwas schwammig. Seine Beine zittern und schon wieder kommen alle Wände näher an ihn heran. Er muss hier raus, jede Zelle seines Körpers muss dieses Gebäude verlassen. 

„Okay, was ist denn los?", fragt Pia. 

„Ich weiß ich hab Hausarrest und ich weiß, dass es berechtigt ist, aber ich kann hier nicht bleiben. Ich muss hier raus, ich krieg hier drin nur Panik und alle Wände kommen näher", erklärt Colin und ohne Pia etwas sagen zu lassen, rennt er zur Eingangstür und haut endgültig aus dem Heim ab. 

Vor der Tür spürt er kühle Luft in seine Lungen gelangen und er spürt, wie sein Herz nicht mehr panisch gegen seine Brust schlägt. Er nimmt einen tiefen Atemzug und geht dann an einen Ort, an dem er weiß, dass er keine Panik bekommt und er frei atmen kann. Er geht zu Noah und Philip.

Gleichgewicht || NolinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt