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Am Montag nach der sechsten Stunde gehen Joel, Noah und Colin zu Joel mit dem Vorhaben an dem Projekt weiterzumachen. Noah hat endlich die Hoffnung, dass sie voran kommen. Philip hat ihm seine Notizen gegeben und auch Colin hat ihm schon die meisten Sachen übermittelt. 

Da Alva später aus hat und Wilhelmine sie und ihre Schwestern alle auf einmal abholt, sind die Jungs auf die Bahn angewiesen. Joel legt seine Ideen schon lautstark offen, während Noah und Colin unauffällig ihre kleinen Finger verhaken. Sie haben sich schnell geeinigt, ihre Beziehung geheim zu halten. Einerseits damit es keine Verwirrung gibt, wenn Philip in der Schule ist, anderseits weil Noah und Colin erstmal ihre Zeit zusammen haben wollen. 

Und Joel zählt dazu. Der einzige, der davon weiß, wird erstmal Philip bleiben.

Eine halbe Stunde arbeiten sie ohne große Probleme - Joel denkt, dass Noah krank wäre -, bis ein Klopfen an der Tür ertönt. Nicht mal 3 Sekunden später steckt Alva den kopf durch die Tür. 

„Hey, ich wollte Bescheid sagen, dass wir da sind. Soll ich die Kleinen hier raus halten?", fragt sie. Von unten hört man Joels kleine Schwestern, wie sie sich schon in der Küche Kekse holen. Wilma, die Amalia anweist, sich noch mehr zu strecken und Nora, die Amalia Richtungen zuruft. Die Kekse liegen im Küchenschrank und keines der Mädchen kommt so weit hoch, um alleine daran zu kommen. Kurz darauf hört man jubeln, offenbar haben sie es geschafft und können nun schon die Kekse mümmeln. 

„Wär cool. Wir kommen nachher bestimmt auch nochmal runter", antwortet Joel und lächelt seiner Schwester zu. 

„Okay", meint sie, lächelt die Jungs nochmal an und schließt dann die Tür wieder hinter sich. 

Wie Joel schon gedacht hat, kommen er, Noah und Colin nach ungefähr 2 Stunden produktiver Arbeit ins Wohnzimmer. Wilma und Nora sind draußen und spielen augenscheinlich Fußball. Amalia und Madita puzzeln an ihrem Puzzle weiter. Alva wischt den Staub von Regalen, der Truhe und dem Couchtisch. 

„Hey, wollt ihr Kaffee? Oder Tee?", fragt sie, als sie die Jungs bemerkt. Auch Amalia schaut kurz auf, aber sie wendet ihren Blick lieber wieder zu Puzzle. 

„Ein Wasser reicht schon, danke", meint Colin. Noah schaut sich etwas ehrfürchtig um. Es fühlt sich zu häuslich für ihn an. Bei seinen Eltern haben sie in einer viel zu großen Villa gewohnt, zu modern und zu wenig Möbel, die das ganze überhaupt nicht wohnlich gestaltet waren. Alle Wände waren weiß, es hingen keine Bilder an den Wänden und es wirkte alles zu unpersönlich. An schlimmen Tagen hat sich Noah wie ein Eindringling gefühlt. Und nun hier in diesem Wohnzimmer zu stehen, das voller Liebe strahlt, zeigt ihm mal wieder, wie viel Pech er in seinem Leben hatte. Bis zu seinem 18. Geburtstag war Philip sein einziges Anzeichen von Glück. Irgendwie fühlt er sich gerade wieder fehl am Platz - das tut er oft. 

Aber so fremd fühlt er sich selten. Oben, in Joels Zimmer ging das noch. Aber nun in diesem Wohnzimmer, wo eine Familie, eine glückliche Familie, einen ganz normalen Nachmittag verbringt, da kommen die Wände näher zu ihm. Führen ihm vor, was er nicht hatte, was er nicht verdient hat. 

„Ich muss nach Hause", meint er aus Panik und hofft, das seine Stimme nicht zu sehr zittert. Colin schaut ihn etwas verwirrt an, bemerkt dann aber, dass Noahs Atmung unbewusste etwas zunimmt. Nicht zu viel, aber er merkt, dass er raus will. 

„Sicher, du bist hier herzlich Willkommen, Noah", meint Alva und kommt einen Schritt auf den Blonden zu, um ihm eine Hand auf die Schulter zu legen. Noah zuckt allerdings leicht zurück. 

„Ja... Ja, mein Vater... er braucht mich", stottert er und sucht nach Sicherheit in Colins Augen. Dieser nickt. 

„Ich bring dich nach Hause", meint er und legt seine Hand auf Noahs Rücken. 

„Okay. Dann beim nächsten Mal", akzeptiert Alva nun und nimmt Colin kurz in den Arm. Zusammen gehen die beiden Jungs zur Tür, gefolgt von Joel. Sie ziehen sich Schuhe und Jacke an, verabschieden sich von dem Brillenträger - zu Noah sagt dieser: „Heute warst du echt nicht so schlimm" - und dann ist das Paar verschwunden.

Bei dem Haus, in dem die Wohnung von Colin, Noah und Philip liegt, klingelt Colins Handy, das er in der Hosentasche trägt. Es ist Pia. Die Schultern des Lockenkopfes sinken etwas nach unten. Dann geht er ans Telefon. 

„Hallo?", fragt er leise. Noah sieht seinen Freund fragend an. 

„Colin, du bist verrückt geworden", ruft Pia durch den Hörer. Colin schließt die Augen und schluckt sichtbar. 

„Du bist 5 Tage spurlos verschwunden, obwohl du Hausarrest hast". 

„Ich weiß. Aber ich musste raus. Es ist wirklich schwer zu erklären", versucht sich der Lockenkopf zu verteidigen. 

„Colin, du bist doch nie Verhaltensauffällig gewesen", meint Pia nun enttäuscht. Sie erkennt ihren Schützling fast nicht wieder. 

„Vielleicht lag es daran. Ich wurde irgendwie übersehen. Ich musste irgendwo hin, wo ich mich nicht unsichtbar fühle". 

„Colin, ich bitte dich. Komm wieder zurück. Wir machen uns wirklich Sorgen um dich. Ich mache mir Sorgen", gibt Pia zu und Colins Hand beginnt zu zittern. Noah gibt ihm Halt und drückt seine andere Hand fest. 

„Du hast auch keinen Hausarrest mehr. Und wir machen wieder mehr zusammen. Aber bitte komm zurück". So lauten Pias Worte, die Colin überzeugen. Er wird zurückgehen. 

Gleichgewicht || NolinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt