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Noah betritt betrübt die Wohnung, in der bereits Philip auf ihn wartet. „Hey, alles gut?", fragt er. Er erkennt, nein, spürt direkt, dass es Noah nicht gut geht und kommt mit vorsichtigen Schritten auf ihn zu. 

„Ich hab die Sache mit Colin beendet bevor sie überhaupt anfängt", erklärt er schlicht und geht in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Philip folgt ihm und nimmt sich ebenfalls eins. „Und wie geht es dir damit?", fragt Philip schließlich nach und schaut seinen Zwilling eindringlich an. Dieser zuckt mit den Schultern. 

„Ich weiß nicht. Ich fühl mich irgendwie leer". Philip nickt verstehend. Da er aber nicht weiß, was genau er sagen soll, schweigen die Brüder lieber.

„Sicher, dass du morgen zum Sport willst. Wenn du Colin erstmal nicht sehen willst, kann ich zur Schule gehen", bietet Philip am Abend an. Sie sitzen auf der Matratze und schauen auf ihre Handys. Noah sieht auf und schüttelt langsam den Kopf. 

„Nein, ich geh schon. Ich versuch morgen einfach mal die Sache mit Joel zu klären. Und was Colin angeht... ich hab ehrlich keine Ahnung, wie ich ihm gegenüber treten soll. Ich will ihn nicht verlieren". Philip legt seinem Zwilling einen Arm um die Schultern und streichelt sanft den Oberarm. 

„Du schaffst das schon", versucht er ihm gut zuzureden. Weil es schon relativ spät ist, geht Philip auch direkt schlafen. Aber Noah schafft es irgendwie nicht einzuschlafen. Seine Gedanken schreien in seinem Kopf und das einzige, woran er denken kann, sind grüne Augen. Sie glitzern etwas, geben ihm das Gefühl sich in einem Wald zu befinden. In einem hellen Wald, an einem warmen Sommertag. Er fühlt sich sicher. 

Noah weiß, an wessen Augen er denkt. Und er weiß, dass es weh tut, an sie zu denken.


Sport in der ersten Stunde bringt Noah noch um. Wieder wartet die Klasse vor der Sporthalle und wieder dauert es ewig bis Herr Hauser ihnen aufschließt. Colin und Joel stellen sich nur diesmal nicht zu Noah und so muss er alleine warten. 

Als sie endlich reingelassen werden und in die Umkleide stürmen, nimmt Noah direkt den Platz ein, an dem er schon in der letzten Woche stand. Aber natürlich stellt sich auch Colin wieder neben ihn. Noahs Herzschlag erhöht sich etwas und er beginnt zu zittern. Vorsichtig nimmt er sein Shirt aus dem Sportbeutel, bevor er sich das, welches er gerade trägt, über den Kopf zieht. 

Kurz schaut er zur Seite und sieht, dass Colin ebenfalls oberkörperfrei im Raum steht. Und das auch noch eine Weile bleiben wird, da er gerade mit Sirius und Marlon jegliches Zeug durch den Raum wirft ohne sich aufs Umziehen zu konzentrieren. 

„Noah, fang", ruft Sirius ihm zu und wirft eine Federtasche in seine Richtung. Damit sie ihm nicht ins Gesicht fliegt, fängt Noah diese leichthändig auf und wirft sie an Marlon weiter. Gerade als er sich wieder umdreht, fällt ihm auf, dass Colin ihn anstarrt. Genauer gesagt, seine Brust anstarrt. 

Panisch schaut Noah nach unten und bemerkt sein Ententattoo. „Du hast nen Tattoo", fragt Colin und klingt dabei ehrlich beeindruckt. Noah überlegt, ob er sich schnell sein Shirt überziehen sollte, lässt es dann aber bleiben. 

„Jap, war nen Geburtstagsgeschenk von meinem Vater", erklärt er und zieht dann locker sein Oberteil an. ‚Möglichst normal aussehen', erinnert er sich selbst. Dann grinst er Colin noch einmal zu und macht sich dann schnell auf den Weg aus der Umkleide in die Sporthalle.

„Heute üben wir Volleyballtechniken", verkündet Herr Hauser, sobald sich alle Schüler in der Halle eingefunden haben, „sucht euch einen Partner und beginnt mit oberen Zuspiel". Sofort wuseln alle Leute zusammen. Noahs erster Gedanke geht nach natürlich an den Lockenkopf, aber er hat auch noch etwas anderes zu klären. 

„Wollen wir zusammen spielen?", fragt er also Joel. Dieser schaut ihn sehr skeptisch und sehr verwundert an. Logisch, das letzte Mal als sie-besser gesagt Noahs Zwilling, der sich als ihn ausgegeben hat, und er- unterhalten haben, ging das komplett nach hinten los. Und Noah hat sich vorgenommen, das wieder besser zu machen. 

„Willst du mich irgendwie schikanieren oder so?", fragt Joel. „Nein, eher als Entschuldigung. Ich war am Freitag echt blöd zu dir". Noah hält Joel die Hand hin und wartet darauf, dass der Brillenträger diese ergreift. Ein paar Sekunden verstreichen und tatsächlich nimmt Joel seine Entschuldigung an. 

Zusammen stellen sie sich neben Colin, der mit Julia spielen wird. Sie beginnen zu spielen und Noah stellt fest, dass Joel nicht umbedingt ein Sporttyp ist. Er nimmt das mit viel Geduld hin und erklärt ihm alles mit Ruhe. Joel scheint wirklich dankbar dafür zu sein. 

Am Ende der Stunde schafften sie es ziemlich gut den Ball oben zu halten und Joel ist sehr stolz auf sich. Und Noah ebenfalls. Er hat gut die Kurve bekommen. Hoffentlich macht Philip das nicht wieder kaputt.


„Hey Brüderchen", begrüßt Philip überschwänglich seinen Zwilling, als er in die Wohnung poltert. „Warum hast du so gute Laune?", fragt Noah misstrauisch. 

„Ich könnte dich genauso gut fragen, warum du so ein langes Gesicht ziehst". Noah ignoriert den Kommentar seines Zwillings. „Wir sind heute wieder bei Joel wegen des Projektes eingeladen. Ich hab dir meine Notizen geschickt, viel Spaß". 

„Warum muss ich schon wieder zu dem? Der ist so ein Besserwisser", beschwert sich Philip. Seine gute Laune ist genervter gewichen. 

„Weil ich älter bin, ganz einfach". 

„Ja, um 30 Minuten, Noah". Noah grinst siegreich. Er weiß, dass Philip gehen wird. Er ist sich sicher, sein Zwilling diskutiert nur gerne. 

„Und trotzdem bin ich älter. Also husch, wir wollen nicht zu spät kommen". Philip geht sich genervt die Schuhe anziehen und setzt den Rucksack auf, als Noah noch hinterher ruft: „Ich hab mit Joel übrigens Frieden geschlossen, verkack es nicht!"

Mit diesen Worten verlässt Philip die Wohnung. 

Gleichgewicht || NolinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt