Minseo fragte sich, ob er klopfen hätte sollen, oder irgendetwas anderes tun, um seine Ankunft anzukündigen, als er den Code zur Wohnungstür eingab. Jiyoon hatte schließlich keine Ahnung, dass er hier aufschlagen würde.
Die Tür sprang auf und vorsichtig zog Minseo sein Gepäck in die Wohnung. Es war still, aber er hörte das Geräusch des laufenden Fernsehers aus dem Wohnzimmer und schloss daher leise die Tür, ließ seinen Koffer in der Küche zurück und betrat langsam den anderen Raum.
Jiyoon lag mit geschlossenen Augen auf der Couch, im Hintergrund irgendeine dramatische K-Drama-Szene. Er schien tief und fest zu schlafen und Minseo nahm sich einen Moment, um ihn einfach nur anzusehen, wie er dort lag, in einem viel zu großen grauen Hoody, die Wangen gerötet, das blonde Haar wirr und zerzaust. Er sah friedlich aus und sein Anblick rief die unangenehme Erinnerung an das letzte Mal hervor, dass Minseo ihn gesehen hatte. Bewusstlos, leblos und bleich auf den Fließen des Badezimmers. Minseo spürte bei dem Gedanken einen Kloß in seinem Hals.
Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Jiyoon aufwecken? Er hatte Angst, dass er ihn zu Tode erschrecken würde, und er wollte ihn nicht aus seiner Ruhe reißen.
Das K-Drama kam ihm schließlich zu Hilfe, als die weibliche Hauptdarstellerin einen ohrenbetäubenden Schrei ausstieß, weil irgendjemand von einem Lastwagen überfahren worden war und Jiyoon schreckte hoch.
Er brauchte einen Moment, um zu erfassen, dass Minseo vor ihm stand, blickte ihn einfach mit offenem Mund und geweiteten Augen an, eher er aufsprang und ihn in seine Arme zog.
Minseo blieb einen Moment die Luft weg, weil Jiyoon ihn so fest drückte und er schloss die Arme ebenfalls um den Körper des anderen, das Gesicht in Jiyoons Schulter begraben. Es war eine Umarmung, die am besten niemals aufhören sollte. Jiyoons Geruch umhüllte ihn und Minseo fühlte sich kalt, als Jiyoon sich wieder von ihm löste, um ihn anzusehen.
„Du... du bist hier!", stotterte er, noch immer fassungslos, „A... Aber ihr fliegt doch erst in zwei Tagen."
„Ich hab gesagt, dass ich mir was einfallen lasse.", sagte Minseo verlegen.
„Und die anderen?", fragte Jiyoon.
„Die sind noch in Amerika. Nolan weiß Bescheid, dass ich hier bin", versicherte Minseo. Jiyoon starrte ihn ungläubig an, ehe er den Abstand zwischen ihnen überbrückte und seine Lippen auf Minseos presste. Minseos Körper reagierte schneller, als sein Kopf den Kuss verarbeiten konnte, und schlang seine Arme um Jiyoons Taille um ihn näher zu ziehen.
Dieser vertiefte den Kuss und legte eine Hand auf Minseos Kiefer, seine Finger malten kleine Kreise auf dessen Haut, während er die Lippen sanft, aber bestimmt gegen die des Älteren bewegte.
Minseos Inneres fühlte sich an, als würde es brennen. Das Verlangen danach Jiyoon wieder zu halten, wurde endlich gestillt und wich einem Verlangen ihm noch näher zu sein. Minseo wusste nicht, ob er den Jüngeren je wieder loslassen wollte.
Es war Jiyoon schließlich, der sich wieder von ihm löste und keuchend seine Stirn gegen Minseos Hals presste.
„Ich... ich hab dich so vermisst", brachte er zwischen zwei Atemzügen hervor und Minseo dirigierte ihn zur Couch zurück, damit sie sich setzen konnten, Jiyoon keine Sekunde loslassend.
Minseo gab ihm einen kurzen Kuss auf die Stirn ehe er fragte „Wie geht es dir?"
„Gut", murmelte Jiyoon benommen, „Also besser. Es geht eigentlich wieder."
„Willst du mir erzählen was passiert ist?", fragte Minseo zaghaft.
Jiyoon sah zu Boden. „Ich war dumm, ich war so unglaublich dumm", sagte er leise.
Minseo zog ihn näher an sich, so dass Jiyoon sich gegen ihn lehnen konnte. Im Moment war es ihm egal wie verboten diese Berührungen eigentlich waren. Alles war egal, solange er den Blonden einfach nur im Arm halten konnte.
„Ich kann nicht gut mit Stress umgehen", Jiyoon sammelte sich ein bisschen, „Das konnte ich schon als Trainee nie und ich wär mal fast rausgeschmissen worden, weil ich keinen Ton rausgebracht habe, während die uns wie jeden Monat geprüft haben, ob wir schon Fortschritte machen und so."
Minseo nickte ihm aufmunternd zu.
„Yejun hat dann irgendwann gesagt, dass er mir was geben könnte, das gegen den Stress hilft und ich war ziemlich verzweifelt und hab zugestimmt. Also hat er mir diese Tabletten mitgebracht, die ich immer vor Auftritten oder so nehmen sollte, damit ich nicht nervös bin. Ich hab nie nachgefragt, wo er die her hat und ich wusste ehrlich nicht, dass die eigentlich nur eingenommen werden sollen, wenn sie von einem Arzt verschrieben worden sind. Jedenfalls haben die mir echt geholfen und ich hab sie halt immer wieder genommen und dann haben wir die Vorbereitungen für das Album begonnen und ich... ich hab mich so unter Druck gesetzt gefühlt und es einfach nicht hinbekommen meine Vocals aufzunehmen und ich weiß auch nicht... Jedenfalls war das im Bad kein Suizidversuch, ich hatte einfach nur zu viele Tabletten genommen, weil ich nicht mehr mit der ganzen Situation umgehen konnte und die normale Dosis nichts bewirkt hat."
Minseo wusste nicht, ob er erleichtert war, oder sich noch mehr Sorgen machen sollte.
Was er jedenfalls wusste, war, dass Jiyoon ihn jetzt brauchte, oder zumindest jemanden, der auf ihn aufpasste.
„Ich wusste nicht, dass der Druck dir so zusetzt", sagte Minseo leise, „Du hast immer so sicher und souverän gewirkt."
„Weil ich komplett zugedröhnt war", erwiderte Jiyoon bitter, „Du kannst dir nicht vorstellen, wie unangenehm mir das ist, dass ich euch alle so belaste, nur weil ich nicht weiß, was gut für mich ist."
„Jiyoon, dir muss das nicht unangenehm sein. Von wem auch immer Yejun das hat, der hat euch beiden keinen Gefallen getan und euch ausgenutzt, weil er die Pillen an Minderjährige verkauft hat. Was hat das Entertainment dazu gesagt?"
„Sie haben mir erst mal alles weggenommen und mich gefragt, wo ich das herhatte. Ich hab ihnen erzählt, dass ich die Tabletten gegen meine Nervosität genommen habe, aber ich denke nicht, dass sie mir geglaubt haben."
„Und wir fühlst du dich jetzt, wo du keinen Zugriff auf die Tabletten hast?", fragte Minseo vorsichtig.
„Normalerweise nehme ich sie ja auch nicht, darum gehen sie mir nicht ab, wenn ich ruhig bin. Aber mit der ganzen Situation, in die uns das Entertainment gebracht hat, da... da hab ich mich irgendwie gar nicht wiedererkannt. Ich konnte nicht schlafen, ich hab seit zwei Tagen nichts mehr gegessen, ich...", Jiyoons Stimme war brüchig.
„Schon gut", murmelte Minseo und zog den Blonden näher an sich, „Jetzt bin ich ja da und wir klären die Situation mit dem Entertainment, okay? Aber zuerst bin ich dafür, dass wir uns was zu essen bestellen."
Jiyoon nickte zaghaft und erhob sich, damit Minseo aufstehen konnte, um zum Telefon zu greifen.
Geduldig wartete er bis Minseo mit der Bestellung fertig war, ehe er sich wieder in dessen Arme warf und ihn etwas unsicher erneut küsste. Ganz vorsichtig und zart, nicht so verzweifelt, wie vorhin.
Minseo schlang die Arme um ihn und hielt ihn einfach nur fest. Jetzt war er definitiv erleichtert. Erleichtert darüber, dass es dem Blonden so weit gut ging und darüber, dass er nicht versucht hatte sich umzubringen.
„Hast du eigentlich mit Yejun darüber gesprochen", fragte Minseo atemlos, als sie sich wieder voneinander lösten und er sah, wie sich Jiyoons Blick verdunkelte.
„Ich hab's versucht", sagte er, „Ich hab ihn angerufen und ihn konfrontiert, ob er weiß, wofür die Tabletten sind und wo er sie her hat. Er hat mich dann über das Telefon angeschrien, dass ich darüber nicht mit dem Entertainment reden sollte und dass es unverantwortlich von mir war, dass ich zu viel genommen habe. Er war komplett aufgebracht und..."
Minseo nickte.
„Denkst du, dass das mit den Tabletten, was mit Hajoon und Eunji zu tun hat?", fragte Jiyoon etwas leiser, „Was, wenn das zusammenhängt?"
Minseo sah ihn einen Moment lang nachdenklich an.
„Mach dir darüber mal keine Sorgen. Im Moment ist es wichtig, dass du dich auf dich selbst konzentrierst, bevor du dir wegen was anderem Gedanken machst."
Er wünschte sich wirklich, dass er damit recht behielt.
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The Struggle is real
RomansaEs gibt einiges, mit dem Minseo nicht gerechnet hat. Zum Beispiel damit, dass er Teil der Kpop-Gruppe Feature wird oder damit, dass er sich ausgerechnet in Jiyoon verliebt. Doch am allerwenigsten hat er mit dem USB-Stick gerechnet, auf dem sich Mate...