Teil 4 Melindas Flucht

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„Sie können jetzt mit ihm sprechen," sagte eine Schwester zu dem Polizeibeamten im Lüneburger Krankenhaus und schickte ihn in ein Zweibettzimmer, in dem der Briefträger allein lag. „Aber viel wird er Ihnen nicht erzählen. Der ist gar nicht ganz da."

Ein Spaziergänger hatte den bewusstlosen Postboten am Mittag gefunden, genauer gesagt sein Hund, der ihn hinter einem Gebüsch ganz in der Nähe der Straße verbellte. Als der Polizist am Ort des Geschehens eintraf, war der überfallene Postbote schon auf dem Weg ins Krankenhaus, und dort musste er über eine Stunde warten, bis er ihn vernehmen konnte. Natürlich hatte niemand etwas von dem Überfall gehört oder gesehen.

„Tut's weh?" fragte der Polizist den Briefträger einfühlsam.

„Geht so. Die haben mir eine Spritze gegeben und mich genäht. Jetzt ist mir schlecht," antwortete der Postmitarbeiter.

„Ich mache es kurz. Was ist passiert?"

„Ich habe die Post in der 14 in den Briefkasten am Haus geworfen, und als ich gerade das Törchen des Vorgartens zumache, kriege ich einen auf die Birne. Dann nix. Und dann leckt mir dieser Köter im Gesicht rum."

Der Polizist machte sich ein paar Notizen und fragte dann weiter:

„Sie haben also den Mann gar nicht gesehen? Ich meine, war da vielleicht vorher jemand, der Ihnen aufgefallen ist?"

„Nein, da ist fast nie jemand draußen, im Winter schon gar nicht."

„Ist Ihnen denn was gestohlen worden?"

„Ich hab im Krankenwagen meine Tasche durchgesehen. Die Post ist komplett, aber meine schwarze Brieftasche fehlt."

„Was war da drin?"

„Knapp 2500 Mark."

Der Polizeibeamte schrieb wieder etwas in sein Notizheft und schüttelte den Kopf:

„So viel Geld schleppt Ihr rum?"

„Nicht auf jeder Tour. Aber ich hab auch das Studentenheim, und manche von denen kriegen das Geld von ihren Eltern per Postanweisung geschickt."

„Also Raubüberfall," folgerte der Polizist. "Dann suchen wir vermutlich einen sehr kräftigen Mann. Ich meine, Sie sind ja kein Fliegengewicht, und der hat Sie mindestens 30, 40 Meter bis hinter das Gebüsch geschleift."

„Den kriegt Ihr doch sowieso nicht," prophezeite der Postbote.

„Es sei denn," widersprach der Polizist, "jemand gibt in den nächsten 24 Stunden irgendwo in Lüneburg 2500 Mark in bar aus. Ach so, in welcher Stückelung hatten Sie das Geld?"

„Überwiegend Fünfziger, ein paar Hunderter, etliche kleine Scheine."

Der Polizist reichte dem Überfallopfer die Hand und verabschiedete sich:

„Gute Besserung. Wir melden uns, wenn's was Neues gibt."

„Also nie."

„Doch, mindestens noch einmal für ein Protokoll."

***

Das Zimmer in einer kleinen Pension in Hamburg-Altona war nicht schön, aber billig. 500 von ihrer unerwartet fetten Beute hatte Melinda schon ausgegeben. Die Fahrkarte für den Bummelzug nach Hamburg war billig, aber sie musste sich neu einkleiden und einige Haarpflegemittel kaufen. Die nunmehr kurzen, roten Haare standen ihr gut, fand sie, und ihr Outfit entsprach dem der Hamburger Studentinnen. Im Telefonbuch an der Rezeption suchte sie sich die Adresse eines Jagdgeschäfts heraus, wo sie am Samstagmorgen ein Messer und einen Teleskopschläger kaufen wollte.

Die richtigen Leute Band 10: Land der Oliven und ZitronenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt