Ganz anders als freitags üblich, herrschte bei Sandy und Manos keine Partystimmung. Die ganze Gruppe hatte sich versammelt, sogar Basilis und der Alte Mann waren da. Alle versuchten, Nikos zu beruhigen, obwohl jeder dieselbe Angst spürte wie er.
„Warum melden die sich nicht?" fragte er zum hundertsten Mal, und die Standardantwort klang inzwischen hohl:
„Das heißt doch, dass es keine schlechte Nachricht gibt."
Gegen neun Uhr schlug Dimi vor, in Bonn anzurufen. Nikos wählte als Erstes die Nummer des Stabes auf der Hardthöhe, wo sich ebensowenig jemand meldete wie bei Klaus privat. Aber Billy war zuhause. Nikos berichtete ihm die wenigen Fakten, die sie bisher kannten. Billy fiel aus allen Wolken:
„Ich habe keine Ahnung, das Erste, was ich höre. Ich rufe meinen Vater an, vielleicht weiß der was. Ich melde mich."
Der SPD-Politiker Przybilski hatte auch keine Ahnung. Er versprach seinem Sohn:
„Ich mache mich schlau."
Als er im MAD-Hauptquartier anrief, meldete sich der Adjutant des MAD-Chefs und versprach ihm, den General um Rückruf zu bitten. Wenig später berichtete ihm der MAD-Chef von den Ereignissen des Tages.
„Wie schätzen Sie die Sache ein? Lebt Tom noch?" fragte Bislki.
„Wir tendieren zu „Ja"," antwortete Fred vorsichtig. „Aber wir tappen völlig im Dunkeln, was die Frau vorhat."
„Bitte rufen Sie mich an, wenn es was Neues gibt."
Billy gab die Informationen an Nikos weiter, und der unterrichtete die ganze Gruppe. Entsetzen breitete sich aus. Besonders die Tatsache, dass Melinda schon drei Männer zum Teil schwer verletzt hatte und nun bewaffnet war, schockierte sie. Und vor allem, dass sie absolut nichts tun konnten.
„Ihr müsst hinfliegen," sagte Panos bestimmt und blickte von Nikos zu Sophia.
„Nikos, ruf am Flughafen an, wann die nächste Maschine nach Deutschland geht," sagte Sophia. „Kann mir jemand Geld leihen?"
„Ich bezahle das, ist genug in der Kriegskasse," antwortete Nikos und telefonierte mit der Flughafeninformation.
„Um sechs Uhr früh geht eine Pan American nach Frankfurt, die kommt aus Teheran," sagte er. Sandy bot an, sie zum Flughafen zu fahren. Nikos rief noch einmal bei Billy an.
„Wir kommen nach Deutschland, Sophia und ich. Kannst Du uns ein Auto besorgen?"
„Mein Führerschein ist erst ein paar Wochen alt, einen Mietwagen geben sie mir nicht," sagte Billy. „Ich rufe einen Freund an. Ihr kommt sicher gegen Mittag, dann habe ich ein Auto, versprochen. Ruft mich von Frankfurt aus an, ich hole Euch am Bonner Bahnhof ab. Zieht Euch warm an. Es schneit."
***
Allmählich ging der Entführerin und ihrer Geisel doch der Gesprächsstoff aus. Die Butterbrote, die Melinda neben einigen Flaschen Wasser mitgebracht hatte, waren längst gegessen. Tom warf immer wieder den Motor an, ohne den es keine Heizung gab. Die Uhr des BMW zeigte inzwischen elf Uhr abends.
„Wie lange müssen wir hier eigentlich noch stehen?" fragte Tom. „Bald liegt so viel Schnee, dass wir nicht mehr wegkommen."
Genau über diesen Punkt machte sich Melinda inzwischen auch Sorgen. Ihr Plan war eigentlich, um zwei Uhr weiterzufahren, aber sie würden viele Nebenstraßen benutzen müssen. Sie wollte die Autobahn meiden, die gerade nachts sehr leicht zu überwachen war. Und die alternative Route, die sie sich genau eingeprägt hatte, führte einmal quer durch das Bergische Land, wo vermutlich deutlich mehr Schnee lag als hier im Flachland. Das würde Zeit kosten, viel mehr Zeit als kalkuliert. Sie beschloss, eine Stunde früher als geplant loszufahren, aber sie ließ Tom im Ungewissen.
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Die richtigen Leute Band 10: Land der Oliven und Zitronen
Ficção Histórica„Land der Oliven und Zitronen" ist der 10. Band meiner Buchreihe „Die richtigen Leute". Im Winter 1973 wird Tom von Melinda, einer Ex-Agentin des DDR-Staatsicherheitsdienstes, entführt. Während Toms Freunde, angeführt von Nikos, versuchen, ihn zu re...