28 Wenn kein Wunder geschieht

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Die stummen Fahrer brachten sie in wenigen Minuten an den Anfang einer Gasse mit zahlreichen kleinen Textilläden in der Altstadt von Nikosia.

„Am Ende der Gasse geht Ihr nach rechts, dann kommt Ihr zum D'Avilla Hotel," knurrte der eine knapp.

„Du kannst ja doch sprechen," grinste Nikos.

„Nur wenn's nicht anders geht," versetzte der Anzugträger.

Die Einkaufsgasse und ihre Ableger vermittelten das Flair eines Souks, und das auch deshalb, weil sie mit leichten Tüchern überspannt war, sodass die Läden immer im Halbschatten lagen. Am Ende der engen Straße wandten sie sich nach rechts und kamen nach wenigen Metern zu einer ganz ähnlichen Gasse, nur dass hier statt Kleiderläden etliche Tavernen auf Gäste warteten. An der Ecke zur nächsten Seitenstraße, wieder einer Einkaufsstraße, fanden sie ihr Hotel, das nach einem mächtigen Teil der Stadtmauer benannt war, an deren Fuß ein schnöder, staubiger Parkplatz völlig deplatziert wirkte.

Das moderne, aber stilvolle Ambiente der Rezeption und die ausgehängten Preise verrieten ihnen, dass sie nicht im schlechtesten Hotel der Stadt untergekommen waren. Die Doppelzimmer – Phil und Amira trugen sich als Mr. und Mrs. Lakis ein – waren gemütlich eingerichtet und hatten eigene Bäder. Der Portier gab ihnen auch Autoschlüssel und -papiere und erklärte, die Autos, ein weißer und zwei blaue Hillman Hunter, stünden auf dem Parkplatz an der Bastion.

Sie verstauten ihr weniges Gepäck in den Schränken und gingen dann zurück in die Gasse mit den Tavernen, denn es war höchste Zeit für eine Zwischenmahlzeit. Nikos bestellte eine Auswahl Mezedes, kleine Vorspeisen, und Rotwein. Sie beschlossen, nach dem Essen einen Stadtrundgang zu machen und anschließend mit den Autos einige Orientierungspunkte in der Stadt abzufahren, um sich einen Überblick zu verschaffen.

In der Altstadt stolperten sie an jeder Ecke über Highlights aus verschiedenen Jahrhunderten, aber die Bezirke außerhalb der Stadtmauer boten ein widersprüchliches Bild von vornehmen, reichen Vierteln bis hin zu Gassen, die an Slums erinnerten.

Als sie gegen sieben Uhr wieder im Hotel ankamen, waren sie ziemlich geschafft. Das stundenlange Laufen, aber auch die vielen neuen Eindrücke einschließlich dem Treffen mit dem Präsidenten hatten Kräfte gekostet. Sie versammelten sich im Zimmer von Tom und Nikos und sprachen den nächsten Tag durch.

Phil fasste ihr Programm zusammen:

„Wir kontaktieren morgen Vormittag die drei Leute, die uns Fred genannt hat. Klaus, Martin und Hamit, übernehmt Ihr den Briten? Ich besuche dann mit Amira den Journalisten hier in Nikosia, und Tom und Nikos fahren zu dem Gewerkschafter in Famagusta."

Die Rollenverteilung leuchtete ein, denn der Ex-Oberst war der Einzige, der mit Sicherheit nicht nur Griechisch sprach. Die Aufgabe war auch allen klar: sie mussten so viel wie möglich über die Partisanengruppen erfahren, die das Land unsicher machten. Ideal, aber auch höchst gefährlich wäre es, Kontakt zu Mitgliedern einer solchen Gruppe zu bekommen, mindestens aber Orte zu identifizieren, wo ihr Unterschlupf sein könnte. Sie vereinbarten keinen Zeitpunkt, bis wann sie wieder im Hotel sein sollten, denn keiner konnte vorhersehen, ob sie ihre Kontaktpersonen gleich finden, ob diese Zeit haben, und wie lange dann ein Gespräch dauern würde.

Zum Abendessen gingen sie in dieselbe Taverne wie am frühen Nachmittag, wo sie der Wirt überschwänglich begrüßte und ihnen ein typisch zypriotisches Essen anbot, ohne zu verraten, was er damit im Einzelnen meinte.

Als erstes kredenzte er ihnen ein Gläschen schweren, süßen Wein, auf den Amira wie am Nachmittag verzichtete, und spätestens mit der Vorspeise, einem fluffigen Omelett mit einem Schafskäse, der viel milder als der griechische Feta war, hatte er nicht nur Toms Herz erobert. Der Hauptgang bestand aus einem aromatischen Eintopf mit allen möglichen Gemüsen und Kräutern und sehr zarten Fleischstückchen, Kaninchen, wie sich herausstellte. Die Krönung aber war der Nachtisch, ein süßes Eis mit Nüssen, Mandeln und getrockneten Feigenstückchen. In der Hotelbar nahmen sie noch einen Whisky als Absacker, dann fielen sie hundemüde in die Betten.

Die richtigen Leute Band 10: Land der Oliven und ZitronenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt