Auf einem Bummel durch das Städtchen zeigte sich, dass der Tourismus das Nest an der Nordküste schon erreicht hatte, wenngleich man die ausländischen Gäste, denen Tom und Nikos begegneten, an zwei Händen abzählen konnte. Es gab etliche Läden, die Postkarten, Kunsthandwerk und Souvenirs anboten, und einige der Häuser am Hafen vermieteten die Zimmer im Obergeschoss. Ein Museum war im Bau. Sie gingen noch einmal zu der Taverne und setzten sich an einen Tisch in der Nähe des Tresens.
Nikos unterhielt sich mit dem Wirt und erfuhr, dass sich die Touristensaison bisher auf die Sommermonate beschränkte. Selbst jetzt, in den Osterferien, standen die meisten Gästebetten leer. Die Bars und Restaurants lebten um diese Jahreszeit von den Einheimischen und Soldaten der UNO.
Auch in dieser Taverne wurden Zimmer vermietet, zwei Stück genau, und Tom bat den Besitzer, ihm eins zu zeigen. Wie er vermutet hatte, konnte man den Hafen komplett überschauen. Der Preis war mit umgerechnet 15 Mark für zwei Personen einschließlich Frühstück billig. Gegenüber der Zimmertür war ein Bad, das sich die Bewohner der beiden Zimmer teilten.
„Wollen wir zu diesem Kloster fahren?" schlug Nikos vor.
Sie versprachen dem Wirt, wieder bei ihm einzukehren und verließen die Stadt auf einer Teerstraße. Nach kaum zwei Kilometern Fahrt bergauf erreichten sie das Dörfchen Bellapais, an dessen Rand sich eine riesige Klosterruine inmitten von Palmen und Zypressen erhob. Sie kauften einen Lageplan und kletterten auf die nördliche Mauer, unter der der bewaldete Hang steil abfiel. Die Aussicht auf die Bucht von Kyrenia war atemberaubend, aber nach einer kurzen „Genusspause" drehten sie sich zur Landseite um und betrachteten die Berge. Hinter dem Kloster führte ein Staubweg in ein Tal.
„Ob man dem Hillman den Weg zumuten kann?" fragte Tom.
„Überlege ich auch gerade," erwiderte Nikos. „Der Weg ist breiter als die, die wir vor der Stadt gesehen haben. Ich frage mich, wohin der führt."
Nikos entfaltete die Karte. Der Weg war eingezeichnet, aber es gab in dem Waldgebiet weder ein Dorf noch ein Gehöft. Er endete offenbar an einer Lichtung jenseits des Kamms der Hügelkette.
„Wollen wir's testen?" schlug Tom vor.
„Ja. Und wenn uns jemand fragt, sind wir Journalisten, die eine Reportage über das Kloster machen und sich die Umgebung ansehen."
Der Weg war für den Hillman kein Problem. Allerdings mussten sie langsam fahren, denn es gab zahlreiche Serpentinen und Steigungen. Als sie die Passhöhe erreichten, waren sie auf allen Seiten von lichtem Kiefernwald umgeben. Sie stiegen aus und warfen einen Blick zurück auf die idyllische Bucht von Kyrenia.
„Der Weg geht jetzt noch mal höchstens 3 Kilometer weiter," sagte Nikos.
Vorsichtig fuhren sie bergab, sodass Tom rechtzeitig bremsen konnte, als ihnen ein Dreirad entgegenkam. Er fuhr links ran und hielt. Das Dreirad stoppte auch.
„Habt Ihr Euch verfahren?" rief der Fahrer.
„Nein. Wir wollten uns mal ein bisschen umsehen. Wir schreiben einen Artikel für die Zeitung über Bellapais," rief Nikos.
„Da kommt nichts mehr. Der Steinbruch ist schon lange zu. Dreht besser um," riet ihnen der Mann in dem Dreirad.
„Danke für den Tipp. Kann man da denn irgendwo drehen?"
„Ja, da hinten, 200 Meter."
„Ein Steinbruch also," sagte Nikos zu Tom, als sie langsam weiterfuhren. „Sowas wollte ich doch schon immer mal sehen."
Auf den restlichen zwei Kilometern zweigten zwei schmale Trampelpfade ab, dann erreichten sie ein Plateau, an dessen Ende ein Steinhaus stand, dessen Dach löchrig war. Die Fenster waren glaslose Höhlen, aber die Tür schien intakt zu sein. Der Steinbruch war nicht besonders groß. An seinem rechten Ende, vielleicht 20 Meter neben dem Haus, war der Eingang zu einem Stollen, etwa 3 Meter breit und hoch, und auch er war durch ein Tor verschlossen. Die Türen von zwei Bretterbuden, die sie erst in der linken Ecke entdeckten, als sie am Rande des Platzes parkten, waren durch Vorhängeschlösser gesichert.
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Die richtigen Leute Band 10: Land der Oliven und Zitronen
Narrativa Storica„Land der Oliven und Zitronen" ist der 10. Band meiner Buchreihe „Die richtigen Leute". Im Winter 1973 wird Tom von Melinda, einer Ex-Agentin des DDR-Staatsicherheitsdienstes, entführt. Während Toms Freunde, angeführt von Nikos, versuchen, ihn zu re...