Keys #1

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Ich sah auf meinen Einkaufszettel. Neue Schuhe, die neue Schallplatte von Alt-J, das Geschenk für meine Mutter und die neuen Hosen, die ich dringend gebraucht hatte. Ich freute mich schon darauf mich in ein Café zu setzen und zu entspannen. Ich war müde. Mein Wecker hatte mich zu früh aus meinem Bett geklingelt und die Dusche war zu kalt gewesen. Dazu kam noch die Hetzerei von einem Laden zum anderen. Es war ja nett neue Sachen zu kaufen, aber ich verstand dennoch nicht, wie man so etwas noch nach drei Stunden mit Freude machen konnte. Alleine schon die nervigen Verkäuferinnen mit ihren gekünstelten Lächeln regten auf. Aber es war schwer sich in den sechs Wochen der Sommerferien tatsächlich sinnvoll zu beschäftigen. Ich war erleichtert darüber, dass ich für so lange Zeit sein Gesicht nicht sehen musste. Nicht jeden Tag sehen und daran denken, dass er niemals mir gehören würde. Ich biss mir auch die Lippe. Meine Brust zog sich unangenehm zusammen und das Atmen fiel mir schwer. Verdammt! Ich hatte mir doch vorgenommen nicht an ihn zu denken! Keine Sekunde. Keinen Moment. Er hatte sein eigenes Leben. Und außer zu ein paar Mal zocken oder ihn zu Karaoke singen zu zwingen hatte ich darin keinen Platz. Ich sollte langsam über ihn hinwegkommen. Oder vielleicht auch lieber schnell. Ich lief über den Marktplatz, der an einem Montag zum Glück nicht allzu voll war. Ich ging einfach über die Mitte, da ich keine Lust hatte Zeit zu verschwenden, indem ich mich am Rand an den Caféchen vorbei schlängelte, obwohl es mir unangenehm war, weil ich das Gefühl hatte dieser Platz sei eine riesige Bühne, ein einziger Catwalk, an dessen Rand das Publikum an ihren Getränken nippten und die vorbeigehenden Leute beurteilten. Ich errichte die Mitte des Platzes. Schnell ging ich an dem Kunstwerk, das sandfarben in der Mitte des Platzes ruhte. Mit seiner länglichen Form, die vorne und hinten spitz zulief, erinnerte es mich jedes Mal an ein Schiff. Auf der Fläche saßen immer Jugendliche mit Cocktailgläsern und Bier. Ich hatte den Kopf zwischen meine Schultern gezogen und versuchte mich voll und ganz darauf zu konzentrieren nicht zu stolpern. Ich versuchte so unauffällig wie möglich vorbei zu huschen. Mich unsichtbar zu machen. Bloß keine Aufmerksamkeit auf mich lenken. Mir riss der Henkel einer Tasche. Ich spürte es an meinen Fingern, wie das Plastik langsam nachgab, bevor es alle anderen bemerkten, durch den dumpfen Aufschlag, den die Tasche tat. Ein paar Köpfe drehten sich bloß zu mir um; mehr Aufmerksamkeit wurde mir nicht geschenkt und trotzdem kam es mir vor, als hätten sich plötzlich Scheinwerfer auf mich gerichtet. Ich fing an zu schwitzen, obwohl es nicht sonderlich warm war und ich bloß ein T-Shirt und eine Sweatshirtjacke darüber trug. Ich bückte mich schnell, ohne in die Knie zu gehen, damit ich sofort weiter gehen konnte und stopfte die Türe mit dem abgerissenen Henkel im Laufen in eine andere. Ich hörte ein anerkennendes Pfeifen hinter mir. Nervös warf ich einen Blick über meine Schulter. Ein Junge sah in meine Richtung. Ich versuchte ihn nicht auch noch anzustarren. Er hatte nicht mich gemeint. Er konnte gar nicht mich meinen... Doch wieso sah er so intensiv zu mir herüber? Mir wurde heiß und ich spürte wie ich knallrot anlief. Schnell wandte ich meinen Blick wieder den Steinplatten des Platzes vor meinen Füßen zu und versuchte wieder unsichtbar zu werden und meine normale Gesichtsfarbe wiederzuerlangen. Wahrscheinlich hatte er ein Mädchen gemeint oder wollte sich einen Scherz daraus machen zu sehen, ob sich irgendjemand umdrehte. Und natürlich hatte ich der Idiot sein müssen. Immer musste mir so etwas passieren. Ich biss mir auf die Lippe und versuchte mir keine Gedanken mehr darüber zu machen. Wieso brachten mich solche unbedeutenden Kleinigkeiten so raus? Als ein Schatten vor mir auftauchte, wollte ich um die Person herumgehen. In jemanden hereinzulaufen konnte ich jetzt nicht auch noch gebrauchen. Als er jedoch etwas sagte, konnte ich nicht mehr so tun, als habe ich ihn nicht bemerkt. „Hey." Ich hob meinen Kopf und sah in das Gesicht des Jungen, der mir hinterher gesehen hatte. In seinen Augen lag eine Mischung aus Selbstbewusstsein und Verlegenheit. Doch noch vor seinen Augen und den blauen Haaren, die an ein paar Stellen in Lila übergingen, wurde mein Blick von seiner Kleiderkombination in den Bann gezogen. Er trug ein schlichtes, schwarz weiß gestreiftes T-Shirt auf dem in schwarzen, simplen Buchstaben klein, zwischen zwei schwarzen Balken I met god. She's black. stand. Seine Bordeaux farbene Jeans saß anliegend und die Hosenbeine waren auf die Mitter seiner Schienbeine hochgekrempelt worden. Dazu trug er Stiefel aus hellem Leder. Mit dem türkisenen Bandana in seinen Haaren und dem Outfit erinnerte mich ein wenig an Piraten an einem Kinderfasching. Fehlte bloß noch die aufgemalte Narbe auf der Wange und die Augenklappe. Bloß dass er viel zu alt für einen Kinderfasching war. Ich schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Die rotbraunen Bartstoppeln, die man an seinem Kinn erkannte, ließen auf seine natürliche Haarfarbe schließen. Auch wenn ich mich verärgert fragte, was er jetzt noch von mir wollte, wirkte er gegen meinen Willen sympathisch. „Hab ich dich vorhin erschreckt?" Er legte seinen Kopf schräg und sah mich an. „Oder hab ich dich in Verlegenheit gebracht?", fügte er mit einem leichten, schrägen Grinsen hinzu. Seine Stimme war schön; melodiös. Ich sah auf seine Schienbeine. Dann zwang ich mich wieder dazu ihm direkt in die Augen zu sehen, in denen etwas glitzerte, das ich nicht deuten konnte. „Hör auf Jungs nachzupfeifen, wenn du es nicht ernst meinst." Meine Stimme überraschte mich selbst. Sie klang bestimmt und abweisend. „Achso, das meinst du." Sein schräges Grinsen wurde noch eine kleine Spur breiter und es passte gut zu seinen Gesichtszügen. So gut, dass ich am liebsten ein Foto davon gemacht hätte oder ihn irgendwie dazu gebracht hätte, es für immer im Gesicht zu tragen. „Komm. Ich lad dich auf einen Kaffee ein." Ich starrte ihn perplex an. Er ging so selbstverständlich voraus, als hätte ich schon längst eingewilligt und erwartete anscheinend, dass ich ihm folgte. Ich hatte sowieso vor gehabt in ein Café zu gehen. Und wenn mich dieser merkwürdige Kautz einlud, würde ich da nicht ausschlagen. Er führte mich zu einem schnuckeligen Café, mit einer Pastell türkis grünen Tapete. Die Hälfte des Raums war und offen und er war mit antiken Möbeln eingerichtet, die man kaufen konnte, wenn man genug Geld hatte. Er suchte einen Tisch im Inneren aus. Ich wunderte mich, als ich mich auf den mit einem weinroten gepolsterten Stuhl nieder ließ, dass mir das Café noch nie aufgefallen war, wo es doch genau meinem Geschmack entsprach. Es roch nach Zimt Räucherstäbchen und frisch gemahlenem Kaffee. In allen vier Ecken hing oben jeweils ein Lautsprecher, aus Holz aus denen Musik drang, die mir gefiel, aber mir vollkommen unbekannt vorkam. Am liebsten hätte ich mein Handy heraus gezogen und die Musikerkennung angemacht. Überall saßen jungen Leute, zwischen zwanzig und dreißig, die sich angeregt unterhielten, auch einfach bloß die anderen Menschen beobachteten oder etwas in ihre Laptops tippten, und alle mehr oder weniger genauso schräg aussahen wie der Typ, der mir gegenüber saß. Es war ein Studentencafé, kam mir plötzlich der erleuchtende Gedanke. Zwei Tische lagen neben uns. An einem saßen zwei Studentinnen, die sich eine Zigarette teilten und beide Tee tranken. Beide waren auch alternativ gekleidet, mit Latzhose, bunten Stoffen und einem tollen Hut. An dem anderen saß ein Typ, der zu alt für dieses Café war und Zeitung las. Diese Atmosphäre... Alles schien vor prickelnder Aufregung und warmer Herzlichkeit zu pulsieren. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich wohl, zwischen so vielen Menschen, obwohl ich der Jüngste hier war. Während ich mich noch staunend umsah und der Junge schwieg, wobei sein Blick auf mir ruhte, trat ein anderer Junge mit weißer Schürze und gezücktem Notizblock an unseren Tisch. Er hatte schwarze Haare und braune Augen mit gelblichen Sprenkeln, die uns aufmerksam und freundlich ansahen. Sie musterten einen Moment mein Gesicht bevor sie zu meiner Begleitung huschten und länger auf seinem Gesicht verweilten. „Oc, wer ist das? Dein Date?" Er zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Der Junge gegenüber von mir nickte und grinste. „So was in der Art." Leichter Ärger stieg in mir auf, dass man mich nicht fragte. „Und was ist mit Hektor?" Angespannt verfolgte ich das Gespräch. Wer war Hektor? Der Junge den die Bedienung Oc genannt hatte sah ihn verärgert an. „Was soll mit ihm sein? Er erfährt nichts davon." Kurz blitzte in den dunklen Augen des anderen Jungen etwas auf, das aber zu schnell wieder verschwunden war, als dass ich es hätte deuten können. Seine Augenbrauen wanderten kritisch aufeinander zu, sagte aber nicht, sondern klackte nur einmal mit dem Kugelschreiber in seiner Hand und wartete auf unsere Bestellung. Wir nahmen beide einen Chai Latte. Der Junge verschwand ohne ein weiteres Wort und Oc lächelte mich an. Ich erwiderte es nicht. „Hab ich mich eigentlich schon vorgestellt?" Und bevor ich antworten konnte: „Ich heiße Octavian." Was für ein außergewöhnlicher Name... „Keys." Sein Lächeln wurde bei meinem Namen noch breiter. „Freut mich." Er legte seinen Kopf schief und ich spürte seinen Blick zu deutlich über mich huschen. „Du bist ganz schön kühl.", stellte er schlussendlich fest. Ich sah weg. „Was dagegen?", fragte ich genervt. Er lachte. Gegen meinen Willen, musste ich zugeben, dass sein Lachen schön war. Es erinnerte mich an das letzte starke Sonnenlicht an einem schönen Herbsttag. Golden und warm. „Nein. Ganz und gar nicht." Der Junge mit der Schürze kam wieder und stellte ein Glas vor jeden von uns. Er lächelte mich an, während er Octavian einen warnend wirkenden Blick zuwarf. Octavian ignorierte ihn einfach und löffelte den Milchschaum auf dem Zimt lag mit reichlich Zucker von seinem Tee. „Um nochmal dazu zu kommen, wieso wir hier sind...", fing Octavian an. Seine Stimme klang ernst, aber in seinen Augen hatte sich immer noch das Leuchten eines Lächelns verfangen. „Ich habe das nicht als Wette oder Scherz gemacht. Ich meinte das ernst. Du hast dich gebückt und du sahst echt heiß aus." Ich bemerkte wie mir Hitze in die Wangen stieg; ignorierte es und sah ihn verständnislos an. Wovon redete es da? War er auf den Kopf gefallen oder so? „Und das soll ich dir glauben?", fragte ich kritisch. Er lächelte und nippte an seinem Glas. Er stellte es danach nicht ab, sondern sah mich über seinen Rand hinweg an. „Das überlasse ich dir."

2 refracted Boys.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt