Octavian #7

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Ich kam mir lächerlich vor, wie ich auf meiner Lippe herum kaute und mit meinen Augen dem Muster des Sessels folgte, um mir keine Gedanken darüber zu machen, wie er darauf reagieren würde, was ich gerade gesagt hatte. „Wenn Hektor das hören würde, würde er dich Köpfen, vierteilen und anschließend verbrennen.", sagte Cherry ungerührt. Ich sprang gut einen halben Meter in die Luft. Zum gefühlten tausendsten Mal wunderte ich mich darüber, wie leise er sich anschleichen konnte. Er hatte endlich eine Jeans, auch wenn es eine von meinen war und ein graues schlichtes T-Shirt an, in denen in schwarzen nüchternen Buchstaben doN'T mESs WiTh mE stand, deren Groß- und Kleinschreibung grauenhaft war. Keys hatte sich anscheinend auch erschrocken. Er war etwas bleicher um die Nase, als ich ihn im Kopf hatte und seine Augen folgten jeder Bewegung von meinem besten Freund. „Jetzt erklär ihm mal..." Er zeugte beiläufig auf Keys. „...wieso du dieses Gefühl hattest." Und ging in die Küche. Am liebsten wäre ich ihm hinterher gerannt und hätte ihm zu den blauen Flecken noch ein paar schöne Kratzer verpasst. Mein Blick flatterte unsicher zu Keys, doch er sah nachdenklich an die Stelle der Türe, durch die Charles verschwunden war. „Es tut mir wirklich leid, dass ich dich mit dem Kuss so überfallen habe.", hörte ich mich sagen und spürte etwas in meiner Brust ziehen, das sich tatsächlich wie Bedauern anfühlte. Bedauern um den Verlauf unseres ersten Treffens, Bedauern um Hektor, Bedauern dass es nicht einfach alles hatte andres laufen können. Ich ihm nicht als Vergebener gegenüber trat und mich von meinen Gefühlen zu so etwas wie einem Kuss hatte hinreißen lassen. Ich fühlte mich schuldig. Hektor gegenüber, ihm gegenüber. Ich hatte ihn in etwas reingezogen, mit dem er wahrscheinlich nicht zu tun haben wollte und jetzt saß er hier verloren in meinem Wohnzimmer und man schien ihm anzusehen, dass er nicht wusste, was er hiervon halten sollte. „und dass ich dich überhaupt geküsst habe...", fügte ich leiser hinzu, da ich sowieso das Gefühl hatte, nicht sein Gehör zu haben. Er wandte mir sein Gesicht zu und lächelte. Ich entdeckte das leichte Strahlen hinter seinen Gesichtszügen, das durch ein Lächeln geweckt zu werden schien und erkannte darin den Grund für den Kuss gestern. „Ich dachte du bereust nicht...?" Seine augen wirkten wacher und interessierter als gestern, so als habe er sich dafür entschlossen, das hier einfach auf sich zukommen zu lassen. Ich lächelte, aber merkte selbst, dass es meine Augen nicht erreichte und es fühlte sich falsch an. „Ich habe es auch so gemeint... Aber ich hätte mir gewünscht, es wäre alles anders verlaufen." Er lächelte immer noch und das Strahlen war immer noch zu erkennen. „Ich fand es...mal etwas anderes." Er lachte, als hätte er einen Witz erzählt, den bloß er verstand. Er wirkte so entspannt und natürlich. So anders als gestern... „Würdest du mich nochmal küssen?", fragte er aus heiterem Himmel und sah mich dabei so intensiv in die Augen, dass es vorkam, als wären alle meine Gedanken verschwommen zu einem einzigen großen, der so aussah wie seine Augen. Sie waren so anders als Hektors... Seine schienen keine Geheimnisse zu bewahren, man sah ihm jede Emotion an und doch waren sie unergründlich. Wie ihre Farbe schienen sie zu schreien, dass sie besonders und mystisch waren. Keys' Augen dagegen schienen auf den ersten Blick so gewöhnlich, dass man sie kaum eines zweiten Blickes würdigte, doch wenn man genauer hinsah, erkannte man die vielen kleinen Farbverläufe und Sprenkel, die sich darüber ergossen. Mir lief ein Schauer über den Rücken und beinahe hatte ich schon wieder seine Frage vergessen. Ich wandte meinen Blick ab und bekam ein schlechtes Gewissen. Wieso verglich ich diesen Jungen mit Hektor? Ich liebte Hektor, ich war mit ihm zusammen. Diesen Jungen kannte ich kaum einen Tag und verlor mich schon beinahe in seinen Augen. Ich schämte mich. Es kam mir so falsch vor und dennoch kam ich nicht dagegen an. „Ist alles in Ordnung?" Sorge schwang in seiner Stimme mit. Ich schluckte heftig, zwang mich erneut zu einem Lächeln und hob meinen Kopf, dennoch darauf achtend nicht seinem Blick zu begegnen. Ich hatte Angst davor, was passieren würde, wenn ich ihn das nächste Mal lächeln sah oder mehr liebenswerte Makel an ihm entdeckte. Das erste Mal in meinem Leben, wünschte ich mir einen Menschen niemals kennen gelernt zu haben. Keys brachte er fertig, dass ich alles infrage stellte, was ich seit knapp zwei Jahren aufgebaut, genossen und schlussendlich versuchte am Leben zu erhalten. Ich bekam es nicht hin Hektor loszulassen, sonst hätte ich schon längst aufgegeben, aber was machte dieser Junge mit mir? Wie bekam er es hin mich so zu verunsichern alleine mit seiner Anwesenheit und Art nach so kurzer Zeit? Ich riss mich zusammen und verscheuchte die Gedanken, die umher zu flattern schienen wie aufgescheuchte Vögel. Ich setzte mich gerade hin und spürte die Entschlossenheit, die durch meinen Körper schwappte. Sie schien den Zweifel in mir aufzulösen und mit sich wegzureißen. „Ich würde dich nochmal küssen, aber ich werde es nicht." N meinem Kopf hatten die Worte um einiges eleganter und mächtiger geklungen, aber ich wusste, dass ich jetzt nicht einfach aufhören konnte. „Ich habe einen Freund und das soll auch so bleiben." Er lächelte und diesmal schien es etwas Geheimnisvolles an sich haben. „In der Theorie bin ich sowieso vergeben." Ich spürte wie ich ihn anstarrte. Wieso schmerzte es diese Worte zu hören? Durfte das sein? Konnte das überhaupt sein? Ich zwang mich dazu ihn anzulächeln und wusste, dass ich mir erst über meine Gefühle klar werden musste, bevor ich Fehlschlüsse zog oder noch mehr Dummheiten beging.


2 refracted Boys.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt