Octavian #1

1.5K 132 3
                                    

Es fühlte sich falsch an. Alleine hier zu sitzen, mit einem anderen Jungen und sich zu unterhalten fühlte sich falsch an. Ich hatte ihm einfach so, ohne darüber nachzudenken nachgepfiffen, was eigentlich gar nicht meine Art war und jetzt saßen wir hier und um ihn herum hatte er diese Aura, die ihn bloß noch interessanter machte. Mir entgingen nicht die neugierigen Blicke mit denen er seine Umgebung musterte. Vielleicht war die Abweisung, die er zur Schau trug auch bloß Schutz. Vielleicht war er viel unsicherer als er zeigen wollte. „Gefällt es dir nicht hier?", riss ich ihn aus seinen Gedanken. Er sah mich an, zog eine Augenbraue hoch und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es ist ganz nett." Doch ich sah in seinen Augen, dass er log. Ich war erleichtert darüber. Das hier war einer meiner Lieblingsorte überhaupt, besonders im Winter, wo die Glasfronten zugeschoben waren und man durch sie auf den verschneiten Platz und die sich durch den Schnee kämpfenden Menschen sehen konnte. Es hätte mich gestört, hätte er es nicht gemocht. Auch wenn ich nicht genau wusste, weshalb. Ich legte sonst nicht solchen Wert auf die Meinung anderer. Also weshalb bedeutete mir die Meinung dieses fremden Jungen etwas? Ich lächelte ihn an, was er gar nicht bemerkte, da er an dem Röhrchen seines Chai Lattes zog und seine Augen durch den Raum huschen ließ. „Ich liebe diese Musik. Sie spielen beinahe immer meine Lieblingslieder und die absolut tollsten Band." Keys stellte das Glas ab und schenkte mir wieder seine volle Aufmerksamkeit. „Die Musik ist mir auch schon aufgefallen." Immer wieder klang eine Verträumtheit aus seiner Stimme heraus, die so sanft wirkte, als rede er mit jemand in einer Welt, die besser war als diese. Gerade spielte Tell me why von the Beatles und am liebsten hätte ich ihn gefragt, ob er es kannte und genauso sehr mochte, wie ich, aber ich wäre mir kindisch vorgekommen. Wo ich doch bloß fragte, da ich so viel mit ihm teilen wollte wie möglich, wofür ich mich schlecht fühlte. Außerdem schien es so oberflächlich und einseitig über Musik zu sprechen. Aber mir fielen keine Fragen ein, die mich ihm gegenüber nicht wie einen einfallslosen Idioten dastehen lassen würde. Dann wenn man das Gehirn zum Nachdenken brauchte verabschiedete es sich. Nur die Klassiker schwirrten in meinem Kopf herum. Haustiere, Geschwister, Hobbies, Lieblings-was weiß ich was. „Was hast du in deiner Tasche?", improvisierte ich ein wenig und kam mir dennoch vor die der letzte einfältigste Dummkopf. Seine Augen waren auf irgendetwas hinter mir gerichtet und ich versuchte mich davon nicht verunsichern und heraus bringen zu lassen. „Ein paar Besorgungen...", sagte er ausweichend und mir wurde klar, dass es nicht leicht werden würde, etwas Konkretes aus ihm heraus zu bekommen. „Lächelst du kurz?", fragte ich gerade heraus die erste Frage, die mir einfiel, als ich sein Gesicht musterte. Es sah aus, als wäre es die meiste Zeit ernst. Manchmal bekam man mit Direktheit bessere Resultate, als durch vorsichtiges herantasten. Er blickte überrascht auf und endlich wieder in meine Augen. „Wieso das denn?" Ich entgegnete ernst seinen Blick. „Ich will sehen, wie das deinem Gesicht steht." Seine Stirn legte sich in Falten, sein Blick wurde einen Moment lang noch eisiger und er öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, aber schloss ihn dann. Hinter seinem Blick lag etwas, das wirkte, als fände er die Frage zwar merkwürdig, aber als hätte sie sein Interesse geweckt, im Gegensatz zu den Vorherigen. „Du hast bis jetzt bloß noch nicht gelächelt und ich habe mich gefragt...", fügte ich erklärend hinzu. Ich hörte die Luft, die leise zwischen seinen Lippen entwich und eher wie ein Windhauch als ein Seufzen klang. Dann hob er seinen Blick von der Tischplatte, auf die er ihn geheftet hatte, als wolle er abwiegen, was er mit einem Lächeln schon verlieren konnte, sah mir wieder direkt in die Augen und tatsächlich stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. Es war scheuer und schüchterne, so als wolle es sich gleich wieder verstecken, als ich erwartet hatte, doch es war ein Lächeln. Seine Augen lächelten mit, aber meine Augen hingen an seinen Lippen, als hätte ich sie jetzt das erste Mal bemerkt. Und das hatte ich vielleicht auch. Ich nahm sie das erste Mal bewusst wahr. Sie waren schön geschwungen. Seine Oberlippe ein bisschen schmaler als die untere. Schön geschwungen und blassrosa. Zart. Auch als das Lächeln noch mehr verblasste, konnte ich meinen Blick nicht von ihnen wenden. Ich sah, dass er mich immer noch ansah. Er bemerkte meinen Blick. Ohne nachzudenken stand ich auf. Der Stuhl schabte leise auf den Holzdielen des dunklen Bodens. Ich stützte mich mit einer Hand auf den Tisch und beugte mich zu ihm herüber. Mein Kopf war merkwürdig leer und klar. Er war kein Gedanke mehr darin, bloß diese Klarheit, dass ich das was ich vorhatte tun wollte. Es waren keine Gründe dafür nötig, weshalb. Die Tatsache, dass ich es tun wollte, reichte als Erklärung. Mir fielen seine langen Wimpern auf, die mich an die Haare von Pinseln erinnerten und die vereinzelten Sommersprossen auf seiner Nase, die sich in sein Gesicht verirrt zu haben schienen. Seine Augen hatten eine Spur von grau in sich. Sie sahen mich groß und fragend an. Als Antwort auf seine unausgesprochene Frage, legte ich meine freie Hand in seinen Nacken und drückte meine Lippen auf seine...

2 refracted Boys.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt