Octavian #11

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Das gelbliche Licht von den Lampen an der Decke ließ die weißen, sterilen Wände noch kälter und abweisender wirken. Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich fragte mich, was die Pfleger anstellten mussten, um Cherry hier zu behalten, der Krankenhäuser noch mehr hasste, als Hektor und ich zusammen. Oder vielleicht konnte er sich auch einfach gar nicht mehr dagegen wehren... Mein Magen krampfte sich unangenehm zusammen und ich spürte Übelkeit in mir aufsteigen. Aus dem Augenwinkel sah ich wie Hektor sich die Hände desinfizierte und den Geruch des Mittels so lange durch die Nase einatmete, bis er Tränen in den Augen hatte. „Jetzt komm." Er würdigte mich keines Blickes und ich merkte, dass seine Stimmung immer mehr sank. Ich eilte eine Treppe hoch. Die Jungenstimme hatte Zimmer 219 gesagt. Mir ging immer noch nicht die Frage aus dem Kopf, weshalb mir diese Stimme so bekannt vorgekommen war. An einem Gang stand Zimmer 120-182. Wir hätten den Aufzug nehmen oder wenigstens fragen sollen, wo genau sich in diesem Gebäude das Zimmer, das wir suchten befand. „Wir müssen höher.", sagte Hektors Stimme, die vollkommen teilnahmslos klang. Als ich mich zu ihm umdrehte, stapfte er schon die Treppenstufen aus hellem Holz hoch. Als wir in den neuen Gang kamen, wirkte alles verändert. Der Boden war mit rosa farbenen Marmorplatten ausgelegt, statt mit dem schrecklichen sterilen weißen Linoleum, die Fenster waren größer und am Ende eines Ganges gab es sogar eine hübsche, viktorianische Bleiverglasung. Die Türen und Türrahmen waren in einem edel aussehenden schwarzen Holz und die Türklinken schimmerten in mattem Messing. Das Licht war nicht mehr kränklich gelb, sondern freundlich weiß und die Wände erstrahlten in einem schönen Crème Ton. Alles erinnerte eher an ein Luxushotel, als an ein Krankenhaus. „Ich glaube wir sind falsch...", brachte ich heraus und bemerkte erst, als ich das Stocken meiner Stimme hörte, wie sehr mich das hier aus der Bahn warf. „Wir sind richtig.", widersprach er mit bloß mit fester Stimme. „Welches Zimmer war es?" „Zweihundertneunzehn.", bekam ich tonlos über meine Lippen, ohne dass ich es recht bemerkte. Er schritt auf eine Türe zu, an der eine messingfarbene 219 angebracht war und ich überlegte, ob der Anruf ein schlechter Witz gewesen war. „Alles in Ordnung mit dir?", fragte Hektor etwas sanfter und das erste Mal, seit wir losgefahren waren, klang er nicht genervt. Ich schloss meine Augen und atmete tief ein. Es roch nicht einmal mehr wirklich nach Krankenhaus. Ich öffnete sie wieder und spürte wie es mir ein bisschen ging. „Ja. Gehen wir schon rein." Er nickte, zog die Türe auf, die lautlos aufschwang und hielt sie mir auf. Der Raum war ähnlich wie der Flur eingerichtet. Bloß das Bett auf den Rollen zeigte, dass wir tatsächlich noch in einem Krankenhaus waren. Ich hörte wie er hinter mir eintrat und die Türe ins Schloss zog. Bloß ein einzelnes Bett befand sich vor einer Glasfront, die auf einen Park mit Teich in dessen Mitte ein Springbrunnen thronte, fantastischen Blumen und einem kleinen Café zeigte. Eine Zeichnung, die erschreckend echt nach Picasso aussah hing gegenüber davon. Ein Junge mit vogelhaftem Gesicht, blauen Flecken darin und dunklen Augen, saß in einem weißen Nachthemd und einer Strickjacke, die ihm nicht besonders stand und in die Bettdecke gewickelt auf dem Bett mit einer Kaffeetasse in der Hand. Charles hatte zu meiner Erleichterung nicht mehr Blutergüsse als gestern Abend im Gesicht und auch sonst sah nichts anders aus, als die neuen Kleider und das Armband um sein eines Handgelenk. Auf einem Bildschirm lief in irgendeinem Musiksender Lily Allen. Hektor stellte sich davor und schaltete es aus. Ich war ihm dankbar dafür. Meine Nerven waren schon angegriffen genug. Cherry ignorierte die Tatsache, dass sich Hektor überhaupt im Raum befand und legte den Kopf schief, während er mich musterte. „Was macht du hier?", fragte ich ohne Begrüßung. Er spielte an seinem Armband herum, ohne mich aus den Augen zu lassen und grinste schräg und freudlos. „Was spielt das für eine Rolle?" Ich hörte Hektor mit der Zunge schnalzen. Er stand mit verschränkten Armen am Fenstern und starrte Charles mit so viel Verachtung im Blick an, dass ich Angst davor bekam, er könne auf ihn losgehen. „Was ist dein Problem?", richtete Charles das Wort an meinen Freund. Hektor zog eine Augenbraue hoch. „Du siehst scheiße mit den kurzen Haaren aus." Cherrys Blick sprach dafür, dass er dieses Gespräch für sinnlos hielt. „Und du siehst immer scheiße aus.", sagte er trocken. Schweigen trat ein und erst in diesem Moment fiel mir der andere Junge aus, der mit den Händen in den Taschen seiner Jeans, die teuer aussah, die Szene beobachtete. Er war etwas kleiner als Hektor, trotzdem verdammt groß und sein Gesicht erinnerte mich an Charles, bloß dass es langgezogener wirkte, seine Augen heller und die Haare länger waren, was aber momentan schließlich keine Kunst war. seine Augen musterten gerade Hektor. Als sein Blick auf mich fiel und unsere Augen sich begegneten, zog er eine Augenbraue hoch. „Du bist Octavian?" Ich erkannte die Stimme, als die am Telefon wieder und sie ähnelte Cherrys, außer dass sie etwas freundlicher und weicher klang. Hektor hatte ihn nun auch bemerkt, wie ich aus dem Augenwinkel sah, und schien ihn jetzt mit seinen Augen zu scannen. Langsam schien man die Spannung, die in der Luft lag förmlich schmecken. Ich nickte etwas überfordert. „Ich bin Nate. Ich denke du hast von mir gehört?" Seine Stimme klang zwar kühl, aber eher geschäftsmäßig als abweisend. Mein Blick wanderte etwas unsicher zu Cherry, der uns beide aus dunklen Augen beobachtete. „Ja. Ein wenig.", antwortete ich und hatte das Gefühl die Worte verhakten sich in meiner Zunge und meinen Lippen. Ich fragte mich, ob die anderen es bemerkten und realisierte selbst, dass ich ein wenig mit der Situation überfordert war. die Feindseligkeit, die unterschwellig im Raum vorhanden war, die Sorge um Charles, die neue Bekanntschaft, all dieser Luxus, um mich herum und ich wusste nicht einmal, welchen von diesen Dingen ich mich zuerst widmen sollte. Ich schloss einen Moment meine Augen, den Blick der anderen, die auf mir ruhten, schmerzlich bewusst. Dann lächelte ich Nate an. es fühlte sich künstlich an. „Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen." Seine Miene und seine Haltung hätten so viel besser zu einem Anzug gepasst, als zu T-Shirt, Chucks und Jeans. „Aber ich würde gerne zuerst einmal erfahren, was mit deinem Bruder passiert ist, dass er hier ist." Die Worte fühlten sich kantig an und seine Augen musterten mich mit einem Wissen in ihnen, dass ich nicht wusste, wie ich mit ihm umgehen sollte. Ich hatte so viel von ihn gehört und im Nachhinein doch gar nichts. Ich wandte mich an Cherry. Ein spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen, als er meinem Blick begegnete und eine Augenbraue war höher gerutscht als die andere. „Wieso bist du hier?" Mein Ton sagte unmissverständlich Was hast du schon wieder angestellt? Ich wusste, dass er es heraus hörte, doch außer dass das Lächeln verschwand änderte sich nicht viel. „Ich hätte nicht gedacht, dass du deinen Schatten mitbringst." Ich biss mir auf die Lippe. Sein Tonfall, genau wie die Worte schienen Spitzen und Zacken zu haben, von denen ich wusste, wem sie galten. Kurz huschte mein Blick zu Hektor. Außer dass er seine eine Hand zur Faust ballte, öffnete und wieder schloss, war ihm nichts anzumerken. „Aber so er schon da ist, kann er uns auch fahren und wir unterhalten uns bei dir. Alleine." Wenn man Anspannung zwischen Hektor und Charles zuvor nicht bemerkt hatte, wurde sie jetzt spätestens bei dem Blick sichtbar, den sie sich gegenseitig schenkten. Hektors abweisend und verschlossen, Charles' verächtlich und ohne jegliche Verschleierung seiner Abneigung. Cherry brach den Blickkontakt zuerst ab, schlug die Decke beiseite und schnappte sich die Klamotten, die in der Nähe des Bettes auf einem Stuhl lagen. „Jetzt hör aber auf damit!" Meine Stimme klang zu laut und zu widerhallend von den Wänden. „Ich habe mir Sorgen gemacht!" Mit einem Mal, war es mir egal, dass Nate im Raum war. „Ich will wissen, was verdammt nochmal los ist." Cherry reagierte nicht auf die Worte. Er zog sich das Nachthemd über den Kopf und ersetzte es durch das schwarze T-Shirt von gestern. „Er hatte einen Asthmaanfall.", sagte Nates kühle Stimme. Hektors Blick flackerte zu ihm. Charles drehte sich so schnell zu seinem Bruder um, dass man bloß ein paar Schlieren in der Luft sah. Er blitzte Nate wütend an und sogar in Boxershorts und halb angezogenem grauen Sweatshirt sah er respektgebietend aus, genau wie sein Bruder, nur dass er sie aus jeder Pore auszuströmen schien, während Charles sie durch seine Körperhaltung unterstrich. „Ich habe dir gesagt, du..." „Ich weiß, was du gesagt hast.", unterbrach Nate ihn und sah kühl auf ihn herab. „Aber du solltest dich nicht so anstellen.", fuhr er ungerührt von Charles Todesblick fort. Erst als wieder Stille einkehrte und bloß das Rascheln von Kleidern zu hören war, die angezogen wurden, kamen die Worte in meinem Kopf an, die Nate gesagt hatte. „Du hast Asthma?" Ich hätte mir auf die Zunge beißen können und nahm mir zum gefühlten millionsten Mal vor in Zukunft zu denken, bevor ich etwas aussprach. Charles reagierte nicht, sondern band sich die Schuhe im Stehen. „Wieso hast du mir nie etwas davon erzählt?" Er richtete sich auf und sah mich an. ich konnte seinen Blick und was in ihm lag nicht lesen. „Du hast nicht danach gefragt." „Was erwartest du? Soll ich jede Krankheit durchgehen? Hast du vielleicht noch Krebs, Aids...?" „Ich habe es nicht für nötig gehalten.", sagte er und warf mir die Worte vor die Füße. Ich biss meine Zähne zusammen und spürte wie langsam Wut meine Brust hochkletterte. Ich zwang mich dazu einen klaren Kopf zu behalten. „Und was ist genau passiert?" Er ging in die Knie und war halb vom Bett verdeckt. . „Er hat sich überanstrengt und hatte das Zeug vergessen." Ich bemerkte das spöttische Augenbrauenhochziehen von Hektor. Cherry schnellte aus der Hocke in die Höhe, warf eine Tasche über seine Schulter und stapfte aus dem Zimmer. „Übernimm dich nicht mit dem Reden.", zischte er Nate verärgert zu und riss die Türe zum Treppenhaus auf. Wir waren ihm alle gefolgt. „Ist er schon entlassen?", fragte ich Nate vorsichtig, der bloß ohne mich anzusehen nickte. Ich wusste nicht, ob er arrogant oder einfach bloß distanziert war. Schneller als ich gedacht hätte, standen wir wieder an der frischen Luft an Hektors Auto. „Ich hatte mehr Klasse von dir erwartet.", sagte Cherry ohne jegliche Emotion in seiner Stimme und schmiss seine Tasche in den Kofferraum. Hektor biss die Zähne zusammen und warf einen kurzen Blick zu mir. Er hasste es, wenn jemand etwas Abfälliges zu seinem Auto sagte und ich wusste, dass er sich bloß für mich zurückhielt. Als wir uns alle im Auto befanden, Nate und Cherry auf der Rückbank, fühlte sich das Auto überfüllt an, obwohl schon einmal mit zwei Personen mehr darin gefahren worden war. „Und wobei hast du dich überanstrengt?", fragte Hektor und die Schadenfreude klang aus seiner Stimme heraus. Während er den Wagen startete und Charles' Gesichtsausdruck im Rückspiegel beobachtete. Cherry sah stur aus dem Fenster und ignorierte ihn offensichtlich. „Er hatte Training.", sagte Nate an seiner Stelle. Hektor grinste leicht und setzte den Blinker. Langsam wurde mir klar, woher das Gefühl von Überfülltheit kam. Es war als würden die drei Jungen eine solche Energie und Spannung verströmen, dass die Luft davon erfüllt und getränkt war. Ich lehnte meine Stirn an die Glasscheibe und fragte mich, ob ein Raum vor zu viel Energie in der Luft auch bersten konnte, während Cherry und Hektor begannen sich mit sarkastischen Bemerkungen ihre Verachtung zu zeigen und ich wieder wusste, weshalb ich es nicht ausstehen konnte, die beiden in einem Raum um mich herum zu haben.


2 refracted Boys.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt