Keys #26

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Ich schloss mein Fahrrad an. Marian hatte versucht mich dazu zu überreden sie mitzunehmen und sie hatte dann Charles nach seinem Bruder ausfragen wollen. Aber zum einen wollte ich nicht, dass sie am Ende des Tages tot war und ich hatte nicht den Nerv gehabt sie mitzunehmen. Meine Finger bebten schon, wenn ich bloß an das mir bevorstehende Gespräch dachte. Ich wusste nicht, was er sagen wollte, worüber er sprechen wollte, daher konnte ich mir auch keine Sätze für irgendwelche Eventualitäten zurechtlegen.
Mein Herz schlug so stark gegen meine Rippen, dass ich kaum Luft bekam, als ich auf den Klingelknopf drückte.
Beinahe hoffte ich für einen winzig kleinen Moment, dass mir niemand aufmachen würde und ich einfach wieder nach Hause konnte, doch in dem Moment in dem ich begann mich für diesen Gedanken zu schämen, ging die Türe auf. Ein großer Junge mit bronzener Haut, blaugrünen Augen, die mich an den Ozean erinnerten, die umrahmt von schwarzen Wimpern in einem von sandfarbenen Wellen, die an den Spitzen natürlich in Gold und Weiß übergingen umrahmten Gesicht saßen stand mir gegenüber. Er trug ein ausgeleiertes T-Shirt, eine fleckige und löchrige Hose, während auf seinem Kopf ein Strohhut saß, der ihm etwas Idyllisches verlieh. Trotz seiner vernachlässigten Kleidung hätte er ohne weiteres ein Model sein können. Ich starrte ihn einen Moment zu lange an, während sich ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, das seine Augen noch heller leichten ließ. "Keys?" Ich nickte und bevor ich etwas anderes rausbrachte, sprach er schon weiter. "Ich bin Hunter. Ich gebe dir lieber nicht die Hand." Erklärend hielt er seine Hände hoch, als wolle er kapitulieren. An seinen Handgelenken schwangen die Verschlussbänder seiner Armbänder hin und her und seine Hände waren voller Staub und Erde. Ich trat lächelnd ein und streifte meine Schuhe von den Füßen, während er die Türe hinter mir schloss. Sein Lächelnd schien ansteckend und ich war froh, dass er anscheinend gar nicht erwartete, dass ich irgendetwas erwiderte. "Endlich lerne ich dich mal kennen. Octavian mag zwar alles und jeden auf dieser Welt, - er könnte vermutlich noch Mussolini irgendetwas Nettes abgewinnen -aber nicht viele tun es ihm so an, wie du." Er grinste und ging vor mir ins Wohnzimmer. Octavian kam uns entgegen. "Was erzählt du jetzt schon wieder?" Er sah müde und angespannt aus. Hunter lachte unbefangen. "Ach, nichts. Ich kümmere mich weiter um meine Pflanzen." Damit verschwand er auf der Terrasse. Ich entdeckte Charles dort, der in einem schwarzen T-Shirt in der prallen Sonne saß, auf etwas herumkaute, das aussah wie das Stil von einem Eis und Das Bildnis des Dorian Gray las. Er hatte Kopfhörer auf und sein Fuß wippte im Rhythmus, während seine schlanken Finger die Seiten umblätterten. So friedlich wie er dort saß, war er beinahe nicht mehr gruselig.
Ich sah wieder zu Octavian. Er hatte mich beobachtet und um seine Mundwinkel lag ein schmales Lächeln. "Wir haben uns noch gar nicht begrüßt.", stellte er fest und hatte mich umarmt, bevor ich es richtig realisiere. Sein Duft stieg mir in die Nase und beruhigte mich genauso sehr, wie er meinen Mund trocken machte und mein Herz gegen meine Rippen trommeln ließ. Kurz lehnte er sich an mich. Er schmiegte sich so eng an mich, dass ich seine Rippen, seine Hüftknochen und seine Schlüsselbeine durch unsere T-Shirts hindurch spürte. Seine Haare kitzelten mich an der Wange und am Hals, aber die Umarmung fühlte sich nicht bloß nach Begrüßung an. Viel mehr wirkte sie, als bräuchte er etwas oder jemand an dem er sich festhalten konnte. Charles war dafür vermutlich wirklich nicht der Richtige. Ich versuchte es so gut es ging zu erwidern und gleichzeitig betete ich dafür, dass er meinen Herzschlag weder hören noch spüren konnte. Es fühlte sich an wie Stunden, die wir uns umarmt hatten, als er sich schlussendlich löste und gleichzeitig war es viel zu früh. Ich spürte immer noch seine Körperwärme, selbst als zwei Schritte Abstand zwischen uns waren. "Willst du etwas trinken?", fragte er mit so normaler Stimme, dass ich überlegte, ob ich mir die Bedeutung hinter der Umarmung vielleicht bloß eingebildet hatte. "Was hättest du denn?" Er ging vor in die Küche und wies mich mit einer Handbewegung an, ihm zu folgen. Die Gläser, die in der Kühlschranktüre standen klapperten leise, als er sie öffnete. "Pfirsich Eistee, ein Mix von Cherry, denn ich nicht anrühren würde, weil entweder das Getränk oder er uns umbringt, dann...." Er sah leicht ratlos in den Kühlschrank. "Senf? Vielleicht gemixt mit einer Paprika und ein paar Tomaten?" Ich lachte. "Das klingt ja alles sehr verführerisch, aber ich glaube, ich werde den Eistee nehmen." Er nickte, nahm den Tetrapak aus der Seitentüre, schloss den Kühlschrank und nahm zwei Gläser und zwei Strohhalme, bevor er sich auf das Sofa setzte und einschenkte. Ich setzte mich neben ihn. Eigentlich fand ich den Sessel heimeliger, aber wir beide schienen die Nähe des anderen gerade zu brauchen. Während er sein Glas schon zur Hälfte austrank und sich nochmal draufschenkte, beobachtete ich ihn von der Seite. Seine Haare waren mittlerweile eigentlich ausschließlich braun, nichts war mehr von der Farbe zu sehen, die er bei unserer ersten Begegnung noch darin gehabt hatte, er hatte Schatten unter den Augen und wirkte schmaler, seine Knochen zeichneten sich deutlicher unter seinem T-Shirt ab, als zuvor, soweit ich es beurteilen konnte. Als er sich wieder in das Sofa zurückfallen ließ, lächelte er mich mit einem Lächeln auf den Lippen an, dass durch die Tatsache, dass man nicht weiß, was man sagen soll, umso strahlender wird.
"Ist alles in Ordnung?", rutschte aus zwischen meinem Lippen hervor, bevor ich es zurückhalten konnte. "Du hast dich nicht gemeldet. Ich habe mir Sorgen gemacht." Als er schwieg, wünschte ich mir Musik würde laufen. Trotz der Geräusche von draußen war der Raum eigentümlich still. Schlussendlich antwortete er, doch er sah auf seine Finger. "Charles meinte, ich würde mich kindisch verhalten und das tue ich vermutlich auch. Aber die einen verdrängen Dinge, die anderen kiffen und ich-ich schließe mich eben in meinem Zimmer ein und zerbreche mir den Kopf." Er verfiel wieder in Schweigen. Am liebsten hätte ich nachgefragt, was sein Ding in diesem Fall war. Ich wollte seine Hand nehmen und drücken, ihm irgendwie zeigen, dass er mir alles sagen konnte und ich versuchen wollte ihn zu verstehen und für ihn dazusein. Doch stattdessen beobachtete ich bloß sein mit einem Mal so ernstes Gesicht und wartete, dass er weitersprach.
"Ich habe mit Hektor Schluss gemacht." Ein Schatten huschte über sein Gesicht und die Worte fielen wie Vögel, denen man die Flügel geraubt hatte, zu Boden. Einen Moment lang starrte ich ihn bloß an. Irgendwo in meinem Hinterkopf sagte mir eine kleine Stimme, dass das für mich eine gute Nachricht war. Dass sie bedeutete, dass er sich für mich entschieden hatte oder ich jetzt zumindest eine Chance bei ihm hatte. Aber wollte ich eine Beziehung zu ihm tatsächlich auf dem Kummer aufbauen, den ihm die Trennung offensichtlich bereitete? Und gleichzeitig schlich sich ein schlechtes Gewissen in mein Bewusstsein. Hatte Hektor ihn nicht geohrfeigt, weil er sich damals mit mir getroffen hatte? Hatte ihre Beziehung erst seitdem gebröselt?
"Wieso?", brachte ich schlussendlich bloß heraus. Er hob dem Kopf und zuckte mit den Schultern, während er mich schmal anlächelte. "Du musst nicht das Gefühl haben du seist dafür verantwortlich.", sagte er ruhig, als habe er meine Gedanken gelesen. "Unsere Beziehung war schon lange davor, nicht mehr das, was sie einmal war. Du hast es mir nur gezeigt." Er beugte sich leicht zu mir. Seine Augen senkten sich in meine und schienen seine Worte noch zusätzlich Glauben schenken. Beinahe war das nagende Gefühl verschwunden. Und trotzdem hätte ich ihn am liebsten gefragt, wieviel ich tatsächlich zu allem beigetragen hatte.
Ich konnte gerade noch ein sehr unmännliches Quieken unterdrücken, als er mit seinen Fingerspitzen an meinem Kieferknochen entlang strich und seine Lippen sich auf meine legten.

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Ich habe das Kapitel schon total lange so gut wie fertig gehabt, aber es hat einfach an den letzten hundert Worten irgendwie nicht gepasst. Ich hoffe, jetzt habe ich sie gut gefunden.

2 refracted Boys.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt