Octavian #18

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Meine Brust fühlte sich wie zugeschnürrt an, während ich in einer zu großen Strickjacke, die tröstens nach Hunter roch auf meinem Bett saß, während I'm not in love (der Titel war offensichtlich eine Lüge) und Fotos vor mir aneinander reihte. Es waren hochglanz Bilder von den ersten Dates mit Hektor. Die Qualität der meisten war die reinste Katrastrophe, aber dennoch war unverkennbar wie glücklich wir waren. Ich schluckte hart die aufsteigenden Tränen herunter, als ich eins meiner liebsten Bilder sah. Es war das aller erste, das ich mit ihm aufgenommen hatte. Auf der Rückseite stand in sauberen Zahlen und Buchstaben das Datum. Ich musste es nicht sehen, um zu wissen welcher Tag dort festgehalten worden war. 13. August. Es war der Tag gewesen, an dem wir uns kennengelernt hatte. Es war ein warmer Tag gewesen, dessen Temperaturen jedoch so waren, dass es angenehm war draußen zu sein und man nicht das Gefühl hatte sofort bei jedem schritt zu zerfließen. Es war unter einem Baum in der Nähe des Unigebäudes eingeschlafen gewesen. Ich hatte dringend ein Buch aus der Universitätsbibliothek gebraucht und als ich die Treppe erleichtert über meinen Fund, den ich wie einen Schatz an meine Brust gedrück hatte, herunter geeilt war, hatte ich seinen langen Körper unter dem Baum gesehebn. Die Blätter des Baumes hatten bedeutungsvoll über unseren Köpfen geraschelt, als ich näher herangetreten war und in ihrem Schatten hatten seine Haare ausgesehen als stünden sie in Flammen. Vielleicht war es das gewesen, das mich zu ihm gezogen hatte, vielleicht aber auch die Ruhe und Gelassenheit, die er ausgestrahlte hatte. Seine Hände waren über einer Ausgabe von Divina Commedia, der Göttlichen Komödie von Dante Alighieri gefalten gewesen. Es hatte mich überrascht, dass es es anscheinend auf italienisch las. Sein Körperbau sah eher aus, als würde er mehr Sport treiben, als zu Büchern zu kommen. Doch die Gedanken waren verflogen, als ich sein Gesicht sah. Die langen Wimpern hatten weiche Schatten über seine Wangenknochen geworfen und sein gesamter Gesichtsausdruck hatte so entspannt gewirkt, dass die ganze Schönheit, die in seinen Gesichtszügen verborgen war, in diesem einen Moment erblüht zu sein schien. Es hatte wie ein Bild gewirkt, eins dieser perfekten, hellen, alten Gemälden, in denen die Menschen makellose Haut, melancholische Augen und farbige, in kunstvolle Falten gelegte Kleide hatte. Sogar das Netz aus Schatten und Licht, das das Blätterdach auf seine Gestalt warf, wirkte nur auf ihn angepasst worden zu sein. Als ich dort gestanden hatte, mit dem Buch an meiner Brust, gegen das mein Herz zu schwer schlug und den Blick nicht von seinem Gesicht hatte wenden können, hatte etwas in meiner Brust sehnsüchtig gezogen. Ich wollte dieses Gesicht, diesen Moment festhalten und so hatte ich die Kamera gezückt und ein Foto geschossen. Damals hatte ich sie noch überall dabei gehabt. Das Bild hatte den  Moment eingefangen, die Stimmung, seine Schönheit und dieser Zauber, der um ihn gelegen hatte und den ich wie ein Vibrieren in der Luft unter meiner Haut gespürt hatte. Der erste Eindruck. Ich hatte ihm nie von dem Bild erzählt, doch gerade als ich die Kamera wieder sorgfälltig verstaut hatte und mir überlegt hatte, ob ich einfach gehen sollte und das überhaupt wollte, hatte er sich aufgesetzt und sich etwas verwirrt umgesehen. Ein paar Strähnen waren von seinem Kopf abgestanden. Zwar war die Schönheit in seinen Gesichtszügen noch zu erkennen, doch schien sie nicht mehr so rein und vollkommen zu sein. Als sein Blick auf mich gefallen war, hatte er mich halb überrascht, halb verwirrt angelächelt und ich hatte mich ohne groß nachzudenken neben ihn ins Gras gesetzt.
Schnell legte ich das Foto zu den anderen auf der Decke, irgendwohin wo ich ihn nicht die ganze Zeit sah. Knapp eine Woche waren wir zusammen gekommen, nachdem er mich geküsst hatte. Ich war vollkommen perplex gewesen. Mich hatte noch nie ein Junge geküsst und ich hatte mich auch nie sonderlich viel mit dem Gedanken daran auseinander gesetzt. Auch hatte ich mir nie vorgestellt mit einem zusammenzukommen, aber es war einfach alles passiert. Ich fegte den Karton mit Bildern zu Boden, die leise auf die Holzdielen segelten und ließ mich in die Kissen zurückfallen. Wieder überkam mich der Wunsch mich einfach auflösen zu können. Ich reckte meinen Hals durch und sah in die melancholischen Augen des Bacchus von Caravaggio, den ich mir als Poster über das Kopfende meines Bettes gehängt hatte und wünschte ich könnte eine Münze treffen, um eine Entscheidung zu treffen. Aber musste ich denn eigentlich eine Entscheidung treffen? Was wäre, wenn ich es irgendwie hinbekam Hektor und Keys zu behalten? Ich hatte zwar keine Idee, wie das gehen sollte, aber irgendeinen einfachen Weg musste es doch geben... Bei dem ich nicht bloß keinen der beiden verletzte und verlor, sondern auch selbst mit der Entscheidung leben konnte... Bevor ich wusste, was ich tat tastete ich auf meinem Nachttisch nach meinem Handy, wobei ich beinahe diie heiße Tasse Tee, die mir Hunter gemacht hatte, umwarf und mein Herz zu schnell gegen meine Rippen schlug, als meine Fingerkuppen über den kühlen Bildschirm fuhren. Schnell, bevor ich es mir anders überlegen konnte, wählte ich die Festnetznummer der WG. Das Rufzeichen erklang und ich biss nervös auf meiner Lippe herum. Innerlich hoffte ich, es würde niemand abheben. Vielleicht hatten sie Bandprobe oder... "Ja? Hallo?" Grahams Stimme klang ruhig und sanft wie immer und drang dennoch deutlich durch das Blutrauschen in meinen Ohren. "Hier..." Meine Stimme brach und ich räusperte mich. "Hier ist Octavian." "Oh, hallo." Ich hörte die Freude in seiner Stimme. "könnte ich Hektor sprechen?", fragte ich zögernd und wusste nicht auf welche Antwort ich hoffte. "Wir..." Er schwieg einen Moment zu lange und als er wieder begann zu sprechen, klang seine Stimme vorsichtig, als wolle er nicht zu viel sagen. "Wir sind beschäftigt." "Womit?" Wieder ein Schweigen, bloß das leise, unterschwellige Rauschen der Leitung klang in meinen Ohren. "Wir pokern." Ich seufzte. "Raucht er?" Diesmal war ich mir sicher, dass ich die Antwort nicht wissen wollte, da ich sie mir schon denken konnte. Etwas das wie "Graham? Gibst du auf?" klang, drang durch die Leitung. Ich war mir nicht sicher, ob es Cedric oder Hektor war. "Nicht bloß das..." Seine Stimme war niedergeschlagen und man hörte ihr an, wie wenig er es gut hieß. Er hasste es genauso sehr wie ich, wenn sein bester Freund trank. "Du willst ihn nicht sprechen.", versichterte er mir. "Soll ich ihn dir trotzdem geben?" Ich dachte kurz über die Frage nach, beinahe hätte ich Ja gesagt, aber zu groß war das Risiko, dass es bloß alles in einem Streit enden würde und dafür fehlte mir die Kraft. "Nein.", sagte ich matt und legte ohne ein weiteres Wort auf. Ich war enttäuscht, obwohl ich nicht einmal gewusst hatte, was ich mit dem Anruf hatte erreichen wollen und was ich mir erhofft hatte. Ich warf das Handy, ans andere Ende des Bettes, wo es nachdem es einmal abgefedert worden war gefährlich nah an die Kante fiel, und drehte die Stereoanlage höher, die gerade das Lied They can't if you don't let them begonnen hatte. Erschrocken zuckte ich zusammen, als die Türe aufging. Hunter setzte an etwas zu sagen, runzelte dann aber bloß die Stirn und ließ seinen Blick finster über die verstreuten Bilder, die Musikanlage und das Chaos in meinem Zimmer schweifen, bis er schließlich an seiner Strickjacke hängen blieb. Seufzend schloss er die Türe in seinerm Rücken. "Ich war keine große Hilfe, oder?" Ich setzte mich auf und lächelte leicht. "Man muss doch auch jemanden haben, der einen in den Arsch tritt, wenn man nicht weiter kommt." Hunter seufzte und strich sich durch die Haare, die sowieso schon durcheinander waren. "Auch wenn sich derjenige unglaublich unbeliebt macht." Er ließ sich ans Kopfende meines Bettes fallen, nachdem er mein Hand auf einen der Lautsprecher gelegt hatte und musterte ein paar meiner Fotos. "Du fotografierst kaum noch.", stellte er fest und sein Blick blieb an einem Bild haften, auf dem Hektor schräg grinste und leicht rot angelaufen war. Es war das erste und letzte Mal gewesen, dass ich ihn hatte erröten sehen. "ich komme nicht dazu." Ich zog meine Knie an die Brust und schlang meine Arme darum. Er legte den Kopf schräg und ließ seinen Blick weiter huschen. Mir war es unangenehm, dass er die Bilder so genau musterte. Zum einen offenbarten sie sehr gut mein mangelndes Talent und zum anderen hatten sie irgendwie eine Atmosphäre, die intim wirkte. Vielleicht sah er deshalb auf und musterte mein Gesicht. "Ich mochte deine Bilder schon immer." Er lächelte schwach. Beinahe sah es so aus, als schäme er sich für seine Art von vorhin. "Jetzt hör auf so zu schauen. Ich bin kein totkranker Mensch." Er sah mich leicht genervt an. "Hast du eine Lösung?", fragte er statt einer Antwort unvermittelt. "So würde ich das nicht nennen..." Ich räumte langsam wieder die Fotos zusammen und vermied es auf die Motive zu achten. "Wie dann?" "Ich sehe es eher als Weg, den ich finden muss, um so wenig Menschen zu verletzen wie möglich." Er lehnte sich zurück und lächelte beinahe nachsichtig, jedoch ohne mich direkt anzusehen. Sein Blick war irgendwie an meinem Schlüsselbein hängen geblieben. "Ich hatte vergessen, wie melodramatisch du sein kannst." Er seufzte, legte den Kopf in den Nacken und schloss seine Augen. "Wieso lässt du Hektor nicht einfach dein Freund sein und sagst Keys, dass du bloß mit ihm befreundet sein willst?" "Wieso kann ich nicht mit Keys zusammenkommen und mit Hektor befreundet bleiben?" Seine Lippen kräuselten sich unter einem freudlosen Schmunzeln. Er musste nichts sagen; ich wusste, dass er nicht glaubte, dass Hektor es einfach hinnehmen würde, wenn ich ihm sagte, ich wolle nur mit ihm befreundet sein. "Also würdest du Keys Hektor vorziehen?", fragte er nach ein paar Momenten Stille. Ich biss mir auf die Lippe und blickte auf das oberste Foto des Stapels in meinen Händen, doch sah eigentlich hindurch. "Das ist das Problem. Ich weiß es nicht." Ich sah ihn wieder an. "Und ich weiß auch nicht, ob ich mir anmaßen kann Keys über Hektor zu stellen. Ich kenne ihn doch gar nicht richtig..." Hunters Blick war beinahe mitleidig. "Wer weiß besser als du, dass so etwas nicht mit Logik beizukommen ist? Du musst dich für das entscheiden von dem du glaubst, es später am wenigsten bereuen zu müssen. Hektor ist vielleicht sicherer, weil du ihn besser einschätzen kannst. Soweit man das bei ihm überhaupt kann. Aber was ist, wenn Keys deine große Liebe ist, auch wenn das heißt ins Ungewisse zu gehen?" Seine Worte klangen wie aus einem kitschigen Ratgeber bei Herzensfragen abgedruckt. Am liebsten hätte ich ihn gschüttelt und ihn gefragt aus welcher Frauenzeitschrift er diesen Schwachsinn hatte, wäre es bloß nicht so wahr gewesen... "Kann ich dir etwas Gutes tun? Sollen wir ins Kino? Oder..." Er suchte nach Aktivitäten, die er nicht dekadent und langweilig fand. Seine Stimme klang nach 'besorgter Vater'. "Hunter!", riss ich ihn aus seinen Gedanken. "Ich muss einfach bloß eine Entscheidung treffen?" "Wenn ich gewusst hätte, dass du dich im Zimmer verkriechst und nicht mehr aufhörst diese Musik zu hören..." Er zeigte mit einer Handbewegung in Richtung der Stereoanlege, in der inzwischen Between the bars leise und melancholisch vor sich hin lief. "...hätte ich vorher die Klappe gehalten." Ich griff nach seiner Hand, die war warm und rau und soviel größer als meine. Irgendwann einmal hatte ich mich darüber gewundert, dass Hektor nicht auch wegen Hunter eifersüchtig wurde, wo wir doch zusammen wohnten und Hunter hatte bloß gemeint, dass er wahrscheinlich zu oft und viel zu lange unterwegs war, als eine tatsächliche Bedrohung darzustellen. "Ich will eine Entscheidung treffen und zwar eine, die ich bewusst getroffen hatte." Vielleicht wog ich gerade nicht ab, wen ich lieber in meinem Leben haben wollte, sondern eher wie gut ich den Verlust verkraften könnte. Hektor wäre wahrscheinlich so in seinem Stolz verletzt, dass er mich nicht einmal mehr sehen wollen würde und Keys konnte ich noch nicht gut genug einschätzen, auch wenn er nicht wie jemand wirkte, der es nicht einfach akzptieren und wieter mit einem Zeit verbringen konnte. Aber was wenn darin der Fehler lag? Vielleicht dachte ich zu viel nach. Schließlich ging es darum, wen ich mehr mochte. Wen ich mehr...liebte. Konnte man solche Entscheidungenen überhaupt mit dem Verstand treffen? "Hallo? Erde an Octavian!" "Was denn?" "Du willst hier also sitzen bleiben und vor dich hin vegitieren?" "Ja!" Er seufzte und zupfte an einer Haarsträhne an seiner Schläfe. "Soll ich mitmachen?" Ich spielte mit einem seiner Finger, indem ich meine Handfläche dagegen drückte und zusah wie sich die Gelenke unter der genräunten Haut bewegten. Dann grinste ich ihn an. "Wieso nicht?" Ich zog ihn näher an mich und er legte sich auf den Rücken neben mich. Unsere Schultern berührten sich. Über uns wölbte sich der Baldachin des Himmelsbettes. Ich wünschte mir Keys neben mir und ich bekam ein schlechtes Gewissen, dass ich bis jetzt verdrängt hatte. Vielleicht konnte mein Kopf auch bloß keine Entscheidung treffen, obwohl mein Herz schon längst wusste, was ich wollte...

2 refracted Boys.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt