Keys #24

446 47 2
                                    

Ich klopfte an der Türe und war mir nicht sicher, ob es in der Musik aus Marians Zimmer verklang, die ich noch nie bei ihr gehört hatte. Von innen hörte man sie lachen. Die telefonierte mal wieder mit Nate. Ich klopfte noch einmal. Die Musik wurde etwas leiser gedreht und ihre Stimme kam auf mich zu. Als sie die Türe öffnete und mich sah, ließ sie das Telefon sinken. Ein Wunder, dass das nach beinahe zwei Wochen Dauertelefonieren noch nicht festgewachsen war. "Was willst du?" Ich fragte mich wie man so viel Gesprächsstoff haben konnte, aber offensichtlich störte ich sie. "Ich brauche das Telefon." Sie runzelte die Stirn. "Falls du es noch nicht bemerkt hast: Das hier ist meins. Im Wohnzimmer steht noch eins." Da war sie wieder, dieses leicht Überhebliche in ihrer Stimme, das ich während der Zeit als sie sich noch mit Arschlöchern abgegeben hatte so wenig gemocht hatte. "Ich müsste aber mit Nate sprechen." Sie zog eine Augenbraue hoch, bevor sie sich das Telefon wieder ans Ohr setzte. "Nate? Keys will dich kurz sprechen, okay?" Ohne tatsächlich auf eine Antwort zu warten hielt sie mir das Telefon hin und lehnte sich in den Türrahmen. Als ich das Kunststoff des Telefons unter meinen Fingern spürte wusste ich nicht mehr, ob es eine so gute Idee gewesen war, doch Marian schien genervt und wenn ich jetzt sagte, dass ich es mir anders überlegt hatte und doch nicht mit Nate sprechen wollte, würde sie vermutlich Feuer spucken. "Hey, Nate." "Hi." Er klang weniger reserviert, als ich ihn ihm Kopf gehabt hatte; beinahe ein wenig neugierig. "Könntest du mir vielleicht die Nummer von deinem Bruder geben?" Sein Lachen klang überrascht. "Von Charles? Wow. Du bist die erste Person, die danach fragt." Wenn man genau hinhörte, klang das Weiche des Französisches in seiner Stimme mit. "Aber ich glaube dir wird seine Nimmer nicht viel bringen. Er geht nie ans Handy." "Oh, achso." Ich war gleichermaßen enttäuscht und erleichtert. Es schien nicht sehr verlockend mit einem Jungen zu telefonieren, dessen Stimme einem schon Angst einjagte, wenn man sein Gesicht sehen konnte. Vermutlich hätte ich mich schlussendlich doch nicht getraut seine Nummer zu wählen. "Aber ich kann ihn dir geben, wenn er dringend ist. Er ist da." Ich sah zu Marian. Sie sah nicht mehr sehr geduldig aus. "Also...okay." "Charles? Viens! Le téléphone!" Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange. Er machte mich sogar schon so nervös. "Hein?" Mein Französisch war noch gerade gut genug, um zu wissen, dass das nicht sehr höflich war. "Hey, hier ist..." "Ich weiß wer du bist. Was willst du? Du störst." Das war auch nicht sehr höflich. Ich fragte mich, was jemand wie er in seiner Freizeit tat. Seinen bösen Blick vor dem Spiegel üben? Kleinen Kindern Angst einjagen? Dafür sorgen, dass er immer blaue Flecken und Schrammen im Gesicht hatte? "Ich wollte dich nach der Nummer von Octavian fragen." Was für Umwege ich für eine Nummer gehen musste, die ich schon einmal auf einer Serviette in der Hand gehalten hatte. "Hat er sie dir nicht gegeben?" "Doch... Aber ich habe sie verlegt." Kurzes Schweigen vom anderem Ende der Leitung. "Wieso hast du ihn nicht nochmal nach ihr gefragt?" "Weil wir uns seitdem nicht mehr gesehen haben." Ob er es wohl merkte, wenn man log? Ich würde es ihm zutrauen. "Aha." Die zwei Silben klangen nicht so, als würde er die Nummer rausdrücken. "Wie lange hattet ihr keinen Kontakt mehr?" "Er meinte er würde sich bei mir melden. Also seit ungefähr zwei Wochen." Er seufzte und es klang wie ein Flattern in der Leitung. "Völlige Funkstille?" "Ja." Wieder Schweigen. Dachte er nach oder machte es ihm Spaß seinen Gesprächspartner zappeln zu lassen? "Ich kümmere mich um ihn. Und wenn er dann tatsächlich was von dir will, kann er sich ja noch melden." Das klang nicht so, wie ich mir das Gespräch vorgestellt hatte. Ich hatte einfach bloß Octavians Nummer von ihm haben wollen und in meiner Wunschvorstellung hatte er sie ohne groß Fragen zu stellen herausgerückt. Es hätte nie so gewirkt, als sei ihm Octavian oder dessen Privatsphäre besonders wichtig. Doch gerade als ich ihn umstimmen wollte, erklang wieder Nates Stimme. "Könntest du mir wieder deine liebreizende Schwester geben?" So wie Marian mich ansah merkte man nicht sehr viel von ihrem Liebreiz. "Ja. Und danke." Ich reichte ihr das Telefon. Sie bekam sogar ein kleines Lächeln zustande und nahm es entgegen, bevor sie ihre Zimmertüre wieder schloss. Ich sah sie einen Augenblick lang an. Ich war genauso schlau wie zuvor.

~~~~~~~~~~~~~
Nate: Charles? Viens! Le téléphone! : Charles? Komm! Das Telefon!

Charles: Hein? : Was? (ugs.)

2 refracted Boys.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt