Ich versuchte mich zusammenzureißen. Als er zurück kam wirkte er besorgt, auch wenn er es versuchte sich nicht anmerken zu lassen. Ich fragte nicht. Ich kannte ihn gerade einmal eine halbe Stunde. Da musste ich mich wirklich nicht darum kümmern, wer ihn anrief und was ihm Sorgen bereitete. Aber ich versuchte wenigstens öfters zu lächeln. Ich sah ihm an, dass er sich jedes Mal freute, wenn ich lächelte. Er war wirklich freundlich. Und er behauptete, dass er mich nicht bloß hatte verarschen wollen. Konnte ich ihm das glauben? Er sah nicht aus wie ein Lügner. Aber man sah Menschen schließlich nicht an, ob sie logen oder böse waren. Das würde es auch viel zu einfach machen. Er sah sich nervös um. Was ließ ihn so auf Kohlen sitzen? Die Türe ging auf, er zuckte zusammen und fuhr herum. Als er sah, dass es bloß ein blondes Mädchen war, im Kopf dachte ich an Jurastudentin, atmete er erleichtert auf und wandte sich wieder mir zu. Ich fand es unnötig, dass ein Laden, der an drei Seiten mehr oder weniger offen war auch noch eine Türe besaß, aber es schien wie eine ungeschriebene Regel, durch die Türe zu kommen, über der immer eine kleine Glocke klingelte, wenn sie weit genug aufschwang. Er lächelte mich entschuldigend an. es wusste, dass ich bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Er machte aber keine Anstalten, es mir zu erklären. Okay. Seine Angelegenheit. „Ich bin 21. Und du?" Er lächelte mich an. Er bemühte sich wirklich. „Achtzehn." Er nickte und zupfte an seiner Serviette herum. Da erhellte sich sein Gesicht, als habe er eine Idee. Er suchte in seiner Tasche nach etwas, zog einen teuer aussehenden Kugelschreiber heraus und schrieb etwas darauf, bevor er sie mir zuschob. „Ich würde mich freuen, wenn wir uns nochmal sehen würden. Aber ich frage nicht nach deiner Nummer, weil ich nicht will, dass du sie mir aus Zwang gibst. Melde dich einfach bei mir, wenn du willst. Und wenn ich dich bloß nerve, dann lasse es, ja? Fühle dich nicht zu irgendetwas verpflichtet. Verstanden?" Ich nickte und betrachtete das Stück Papier. Seine Schrift war eckig und unbeholfen. Als schreibe er nicht oft. Aber im Studium musste man doch eigentlich viel schreiben, hatte ich gedacht. „Was studierst du eigentlich? Du studierst doch?" Er lächelte, über mein Zeichen an Interesse und nickte. „Kunst und Geschichte." Kunst hätte ich mir denken können. Kein normaler Mensch trug solche Klamotten und kein kreativer Mensch war normal. Passte ja. er setzte wieder zu einem Satz an, wahrscheinlich eine Gegenfrage, als wieder die Türe aufging und das Glöckchen klingelte. Er fuhr herum und wurde bleich, als er den Jungen sah. Der Junge war durchtrainiert, groß und seine blutroten Haare, die wahrscheinlich mit einer ganzen Mange Gel so halb hoch, halb zurück gekämmt waren, schienen in dem Raum zu glühen. Seine Augen hatten einen merkwürdigen, sofort ins Auge stechenden Gelbton, der mich an Schwefel erinnerte. Die Kombination, eines schwarzen T-Shirts, der dunkelbraunen Leserjacke und der dunklen Jeans, schien merkwürdig zurückhaltend im Gegensatz zu seinen Haaren und Augen.er sah umwerfend aus, auch wenn die zusammengezogenen Augenbrauen, die übrigens genauso rot waren wie seine Haare und der harte Mund ihm etwas Aggressives verliehen, das mir Angst einflößte. Etwas Militärisches. Alle Augen richteten sich auf ihn. Die Knöchel von Octavians Hand zeichneten sich als weiße Halbmonde unter seiner Haut ab, so sehr drückte er mit den Fingern gegen die Tischplatte. Die Mädchen, die immer noch am Nebentisch saßen, quiekten begeistert, als sei er ein Star. Ein Junge begrüßte ihn und fragte ihn, ob er etwas mit ihm trinken wollte. Er ignorierte ihn, sah ihn nicht einmal an und kam direkt auf unseren Tisch zu. Ich wollte verschwinden. Aufspringen und weglaufen. Sein Blick hätte zu einem rachsüchtigen Verrückten aus einem Marvel Film gepasst. Als er an unserem Tisch ankam, beachtete er mich jedoch gar nicht. Dafür aber Octavian. Ich schämte mich für meine Erleichterung darüber. Er stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. Seine Muskeln spielten unter dem Stoff der Lederjacke. Seine Stimme klang zuckersüß. „Sagtest du nicht, du seist alleine?" Sie klang wie die Ruhe vor dem Sturm. Tief, rau und schmeichelnd. Mir lief es kalt den Rücken herunter. „Ich habe ihn gerade erst getroffen.", sagte Octavian kleinlaut, aber seine Stimme klang dennoch selbstsicherer, als ich mich fühlte. Von dem selbstbewussten Jungen von vorher, war jedoch nichts mehr übrig. Auch dass er log, konnte ich ihm nicht verübeln. Ich wollte im Boden versinken. Nicht bloß, um Octavian nicht noch mehr Ärger zu bereiten und vor diesem Jungen zu entkommen, sondern auch weil unser Tisch sich plötzlich in eine Bühne verwandelt hatte und dieser blöde „Scheinwerfer-Effekt" wieder eingesetzt hatte. Ich hasste es angestarrt zu werden. Der Junge richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Finger bohrten sich in das Leder. Er kochte unter der Oberfläche, auch wenn er es sich in seinem Gesicht nicht anmerken ließ. Es kam mir wie Ironie des Schicksals vor, dass im Hintergrund Norah Jones ihr Lied What am I to you? zum Besten gab. die Stimme des Jungen klang kalt. In seinen Augen loderte dafür ein Feuer. Ein so kaltes und beherrschtes, dass es mir lieber gewesen wäre, wenn er herumgeschrien und Möbel zerschlagen hätte. „Lüg mich nicht an." Es war ein Befehl. Unmissverständlich. Octavian setzte zu einem Widerspruch an, aber bevor er auch nur das dritte Wort von dem Satz „Ich lüge dich nicht an." über die Lippen brachte, hatte der andere ihn schon am Arm gepackt, ihn vom Stuhl hochgezogen und ihn hinter sich hergeschleift. Ich las auf dem Rücken seiner Lederjacke Crazy Cats. Octavian riss sich los und blieb mitten im Raum stehen. Der andere drehte sich um. Er zitterte. Sein ganzer Körper war zum Zerreißen angespannt. Er erinnerte mich an eine Raubkatze kurz vor dem Angriff. „Ich komme nicht mit!", sagte mein ‚Date', wenn man das so nennen konnte und seine Stimme war dabei überraschend fest. Ich wäre vor diesem Jungen wahrscheinlich auf die Knie gefallen und hätte ihn angefleht mich am Leben zu lassen. Blake hatte zwar auch immer aggressiv gewirkt, aber bei diesem Jungen war es anders. Eindrucksvoller. „Was hast du gesagt?" Jetzt zitterte auch seine Stimme. Aber sie hatte nichts von der Kälte verloren. „Ich habe gesagt, dass..." Ich sah bloß eine hautfarbene Schliere znd hörte dann das klatschende Geräusch. Es schien als seien alle im Café erstarrt und hätten die Luft angehalten. Octavian hatte die Augen ungläubig aufgerissen und die Hand des Jungen hing immer noch in der Luft. Sie sank. Aber nicht zu seiner Seite, sonders auf Octavians Handgelenk. Er wehrte sich nicht. Der Junge zog ihn aus dem Café, bevor irgendjemand reagieren konnte. Dieser Junge hatte Octavian eine gescheuert... Und jetzt waren beide weg.
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2 refracted Boys.
RomanceOctavian & Keys. »Ich kann auch ohne dich unglücklich sein.« Octavian steckt in einer Beziehung, von der er nicht weiß, wie es weitergehen soll und ob er damit noch glücklich ist. Keys ist unglücklich verliebt und hat sich geschworen seine alte Lieb...