Octavian #15

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Meine Hand lag immer noch auf seiner und wir saßen schweigend nebeneinander, als eine Frau in den Garten trat und uns anlächelte. Sie trug ein wallendes rotes Kleid, ein kariertes, zu großes Hemd darüber und ihr Dutt war schon zu mehr als der Hälfte aufgegangen. Überall auf ihrer Haut sah man kleine Farbspritzer in allen erdenklichen Farben. Keys zog seine Hand weg und stand auf. "Das ist Octavian." Er zeigte auf mich, lächelte und ich stand ebenfalls auf. "Und das ist Theresa. Meine Mutter." Keys und ich waren beiden größer als sie. Zwar nicht viel und durch ihr freundliches und offenes Lächeln machte das auch wieder wett. Als ich in ihre Augen blickte erkannte ich von wem Marian und Keys die Lippen und Augen hatten. Bevor ich ihr die Hand geben konnte, um sie zu begrüßen schlang etwas Kleines und Knuddeliges seine Arme um meine Hüften. Das Knäuel aus sandfarbenen Locken sah zu mir auf und grinste. Sein Grinsen war Sommersprossen übersät und er hatte strahlend grüne Augen, statt den braunen seiner Geschwister. "Naja. Und das ist Phips.", erklärte Keys und wirkte leicht verlegen. Ich strubbelte seinem Bruder durch die Locken. "Freut mich." Irgendwie hatte ich mir unter Phips einen sechzehnjährigen, genervten Teenager vorgestellt, aber wusste jetzt, wo ich sah wie süß Phips war, gar nicht mehr, wie ich auf diese bescheuerte Idee gekommen war. Er löste sich von mir. "Holst du Rafe und Marian?", fragte Theresa und strich dich lächelnd eine Strähne aus dem Gesicht. Phips lächelte und verschwand rennend im Haus. "Seid ihr zusammen oder...?" "Mom!", unterbrach Keys sie mit hochroten Ohren. Ich grinste leicht. "Wir sind nur Freunde.", sagte er stattdessen und warf mir einen beinahe strengen Blick zu. Seine Mutter nickte lächelnd. "Du musst wissen, Keys bringt sonst nie Freunde mit. Schläfst du hier?", wandte sie sich an mich. Keys öffnete den Mund und sah aus, als wolle er im Boden versinken. "Also wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gerne." Keys starrte mich etwas perplex ab. "Duz mich bitte. Wenn man mich siezt komme ich mir so alt vor.", sagte Theresa lächelnd. "Und ich hätte nicht gefragt, wenn es nicht in Ordnung wäre." Ich erwiderte ihr Lächeln. Ein Mann trat hinter sie. Er war einen Kopf größer als sie, hatte dieselben augen wie Phips und trug einen Pullover und eine Cordhose. Als er lächelte erinnerte er mich an eine Mischung aus Micheal C. Hall in Kill your darlings und Greg Kinnear in Stuck in love. "Ich bin Rafe Quyn. Vielleicht hast du mal ein Buch von mir gelesen." Er grinste und für einen Moment sah er aus wie ein Junge, während er seine Brille den Nasenrücken hochschob. Er war mir auf den ersten Blick sympathisch. Keys verdrehte genervt die Augen und stapfte an seinen Eltern vorbei in die Wohnung. "Freut mich Sie kennenzulernen." "Ihn kannst du auch duzen.", antwortete seine Frau für ihn und küsste ihn auf die Wange. Die Zärtlichkeit zwischen den beiden zu sehen, als seien sie frisch verliebt, versetzte mir einen kleinen Stich. Meine Eltern hatten sich kaum auch nur halb so gut verstanden. Dennoch hielt sich mein Lächeln. "Ich habe drinnen gedeckt.", sagte Theresa schlussendlich, lächelte mich noch einmal an und zog Rafe hinter sich her ins Haus und ich folte. Marian und Phips saßen bereits, während Keys eine Pfanne reintrug, aus der es fantastisch roch. Phips klatschte begeistert in die Hände und ich setzte mich auf den Stuhl, neben den sich Keys hatte fallen lassen. Rafe und Theresa setzten sich uns gegenüber und sie schöpfte. Es waren Penne mit Thunfischtomatensoße, die so verfürherisch roch, dass man gar nicht widerstehen konnte. "Und du heißt Octavian?", erkundigte sich Rafe, sah mich über den Rand seiner Brille hinweg an und belud seine Gabel. Ich nickte lächelnd. "Und Sie sind Autor?", fragte ich, mich an seinen zweiten Satz erinnernd. "Kein sehr erfolgreicher.", warf Marian kauend ein. "Er sperrt Worte auf Seiten!", rief Phips und fuchtelte mit seinem Besteck herum. "Und wie lassen sie frei, wenn wir sie lesen.", fügte Theresa sanft hinzu und wischte ihm ein wenig Tomatensauce vom Kinn. "Er schreibt gut.", ergänzte Keys es nachdenklich. "Ach, übertreib nicht." Keys sah seinen Vater an und legte seinen Kopf schief. Er schien ein anderer Keys zu sein, als den den ich bisher gesehen hatte. "Sonst würde Ramirez ja wohl nicht so an dich glauben. Er ist anspruchsvoll." Theresa lächelte mich an. Sie schien immer ein Lächeln auf den Lippen zu tragen. "Ramirez ist sein Lektor.", erklärte sie. Ich nickte verstehend. "Und was machst du zur Zeit?", fragte Rafe und seine Augen leuchteten mich durch die Brillengläser an. "Er studiert Geschichte und Kunst." antwortete Keys und ich warf ihm einen Seitenblick zu. Theresas Augen begannnen begeistert zu leuchten. "Also malst du?" "Ja. Also... Bis jetzt besteht das meiste aus Theorie.", erwiderte ich etwas überfordert mit der Euphorie. "Du kannst mich, wenn du eine zweite Meinung brauchst gerne über deine Bilder schauen lassen.", bot Theresa an und strich sich eine wilde Hasarsträhne hinter sein Ohr. "Sie ist Künstlerin.", erklärte Keys und schob sich eine weitere Gabel Nudeln in den Mund, ohne mich aus den Augen zu lassen. Dieser Blick brachte mich aus dem Konzept. Er war so anders als alles anderen... Meine Augen wichen ihm aus und ich sah wieder zu Rafe und Theresa. "Das ist sehr nett." "Ach." Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. "Nicht der Rede wert. Ich bin auch einfach neugierig, wie du malst und zeichnest." Ich mochte ihre ehrliche Art und den offenen Blick an ihr. "Gibt es Nachtisch?", fragte Phips mitten rein und seine Augen schinen vor Hoffnung zu glänzen. "Also ich glaube wir müssten noch Eis haben.", sagte Marian nachdenklich und plötzlich schien ich einfach zu der Familie gehören. Für den Rest des Essens stellte mir niemand mehr andere Fragen und es schien als sei ich schon immer da gewesen. "Phips holst du das Eis und die Löffel?", fragte Marian lächelnd über den Tisch hinweg, als alle Teller leer waren und ihr kleiner Bruder verschwand schneller im Haus als man schauen konnte. "Wir wollen kein Eis.", sagte Keys nur und zog mich am Ärmel hinter sich her ins Haus. Ich winkte noch kurz und folgte ihm dann. Ich fragte nicht, weshalb er gleich gegangen war. Sein Gesichtsausdruck sah aus, als wolle er nicht reden. Er zog mich eine schmale Treppe hoch und in ein Zimmer in dem Zwielicht herrschte. Nachdem er auf einer Fernbedienung herum gedrückt hatte, ging langsam der Rollladen hoch und Licht schien in das Zimmer. Es war vielleicht gerade einmal halb so groß wie meins. Die Dachschräge schien es noch kleiner zu machen und darunter stand ein Bett, das unter einer Patchworkdecke vergraben war. Ein Bücherregal stand neben der Türe in der sich hunderte von Buchrücken aneinander reihten und ein Schreibtisch war verschüttet von losen Papieren und herum liegenden Stiften. "Es ist ein wenig unordentlich.", sagte er entschuldigend und schloss vorsichtig die Türe hinter sich. "Ist alles in Ordnung?", fragte ich besorgt und ließ meinen Blick über sein Gesicht huschen. Es wirkte angespannt. Er fuhr mit einer Hand darüber. "Es machte mich nervös, dass du hier bist.", sagte er schlussendlich bloß und raffte mit fahrigen Händen ein paar Blätter auf dem Schreibtisch zusammen. Ich setzte mich auf das Bett. "Euer Haus ist wirklich gemütlich." Er lächelte leicht. "Andere nennen es auch unordentlich und klein." Ich verdrehte die Augen. "Jetzt entspann dich." und klopfte auf die Bettdecke neben mir. Er ließ sich neben mich fallen. Ich drehte die Musik an seinem CD-Player auf, Zaz sang Je veux, schnappte mir die Taschenlampe von seinem Nachttisch und zog die Bettdecke über uns. Im Licht der Taschenlampe sah sein Gesicht bleicher und überrascht aus. "So. Wir sind alleine, ja? Es gibt nichts außer uns. Und jetzt entspann dich." Ich erinnerte mich daran, wie oft ich das gemacht hatte, wenn Corbin schlecht geschlafen hatte und es hatte jedes Mal funktioniert. Keys lächelte und die Spur des Leuchtens war wieder in seinen Augen. Sein Blick traf meinen und mein Herz machte einen Satz. Ich versuchte es einfach herunter zu schlucken, dieses Gefühl der überschäumenden Aufregung. Ich wollte ihn berühren, meine Hände an seiner Wange spüren. Das Lächeln, das um seine Mundwinkel lag mit meinen Daumen streifen, seinen Duft einatmen, das Klingen der Glöckchen leise an meinen Ohren hören und seinen Atem spüren. Doch stattdessen hielt ich bloß die Taschenlampe fest und sah ihm in die Augen. Schlechtes Gewissen nagte an mir und ich ignorierte es vergeblich. "Kennst du eine gute Geschichte?", fragte ich aus dem Nichts heraus und er lächelte etwas verlegen. Wie schnell er seine Stimmung ändern konnte, ohne dass er launisch wirkte... Er zog ein kleines Buch aus seiner Hosentasche und hielt es mir unter die Nase. "Ich habe nur dieses Buch.", sagte er. Ich drückte ihm die Taschenlampe in die Hand, drehte die Musik runter, ohne aus der Decke heraus zu kommen und legte mich so hin, dass mein Kopf auf seinem Bein lag. Es begann zu lesen und ich schloss meine Augen. Seine Stimme schien fester als sonst, wenn er redete und ich lauschte eher ihrem Klang, als tatsächlich den Worten, die von Liebe, Leidenschaft, Ehre und Verbitterung erzählten. Sie waren eingeflochten in seine Stimme, die wie Musik schien. Es war schön und es schien ein Moment voller Wärme und Licht und ich wusste, dass es einer dieser Momente und Tage war, die man nie vergaß.

2 refracted Boys.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt