Keys #25

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Avril Lavigne sang mir seit langer Zeit mal wieder Smile ins Ohr, während ich mir Milch über mein Müsli leerte. Es war zwei Tage her, dass ich mich dazu überwunden hatte Nate nach Charles zu fragen. Und seine Worte gingen mir nicht aus dem Kopf. "Wenn er dann tatsächlich was von dir will, kann er sich ja noch melden." Was wenn er sich gerade deshalb nicht meldete? Weil er nichts von mir wollte? Weil die Stille von seiner Seite aus nicht bloß die Suche nach Ruhe und einer mit Abstand getroffenen Entscheidung war, sondern einfach bloß die Tatsache, dass er nichts von mir wollte? Dass er seine Entscheidung gefallen war und sie gegen mich war? Ich fuhr mir durch die Haare. Diese ständigen Zweifel, ob er mich tatsächlich noch anschreiben, anrufen oder sonst irgendein Lebenszeichen senden würde und woran es liegen könnte, solange er es nicht tat brachten mich seit einer gefühlten Ewigkeit vollkommen verrückt. Und es fiel sogar Phips auf. Ich nahm die Schüssel -hoffte dass die Cornflakes nach meinem Sinnieren nicht vollkommen aufgeweicht waren-, drehte die Musik noch etwas höher und nahm mein Buch, das ich angefangen hatte zu lesen, bevor ich mich in einen Sessel fallen ließ. Nachdem ich festgestellt hatte, dass es keinen Sinn hatte ein neues Buch anzufangen hatte ich begonnen eine Trilogie aus meiner Kindheit erneut zu lesen und es wunderte mich wie viele schönen Erinnerungen zwischen den Seiten hafteten, als hätten sie nur darauf gewartet wieder herauszuflattern und sich in meinen Kopf einzunisten. Der Geruch von Lavendel, als ich den ersten Band in unserem Frankreich Urlaub dabei gehabt hatte, der Geschmack von Kakao, den ich im Winter eingewickelt in eine Decke und mit dem zweiten Band auf dem Schoß getrunken hatte. Die Erinnerungen brachten es zustande, dass meine Gedanken zur Ruhe kamen und ich mich auf die Momente die das Buch wachriefen und die Geschichte konzentrieren konnte. Eine bessere Medizin hätte ich mir nicht wünschen können. Das Problem war bloß, dass sie zwar dick waren, sich aber dennoch schnell lesen ließen und ich jetzt schon beim dritten Band war. Entweder musste er sich bald melden oder ich brauchte eine Alternative zu den Büchern, wenn ich sie nicht noch einmal ganz von vorne lesen wollte.
Zu meinem Pech waren die Cornflakes aufgeweicht und schmeckten mehr nach Pappe, als einem guten Frühstück. Aber ich bemerkte es kaum. Erst als die Musik plötzlich abbrach sah ich auf. Der Akku konnte nicht den Geist aufgegeben haben. War es mir heruntergefallen? Ich hatte schon wieder vergessen wo ich es hingelegt hatte. Da entdeckte ich es direkt neben dem Buch liegend. Eingehender Anruf blinkte darauf auf und darunter wurde eine mir unbekannte Nummer angezeigt. Mit einem Mal spürte ich meinen Herzschlag bis in meine Fingerspitzen. Mit bebenden Fingern zog ich mir meine Kopfhörer von den Ohren und tippte auf den Bildschirm, um den Anruf anzunehmen, bevor ich mir mein Handy ans Ohr hielt. "Hallo?" Ich mochte es nicht wie unsicher meine Stimme klang. Vermutlich war es bloß irgendjemand unbedeutendes, der etwas Unwichtiges von mir wollte. "Hey." Seine Stimme klang matter als sonst, aber trotzdem bekam sie es hin meinen Bauch auf den Kopf zu stellen. "Octavian?" Mein Herz schlug so schnell gegen meine Rippen, dass ich kaum atmen konnte. So sehr wie ich mir die letzten Tage gewünscht hatte, dass er anrufen sollte, so sehr wünschte ich mir jetzt ich hätte nicht abgehoben. Es fühlte sich zu aufregend an. Als sei man vollkommen unvermittelt in eine Situation geworfen worden, mit der man bloß mit viel seelischer Vorbereitung klar kam. Aber jetzt saß ich hier in Boxershorts, T-Shirt und Strickjacke im Wohnzimmer und hoffte darauf, dass er endlich weitersprach.
"Wir müssen reden.", sagte er schlussendlich und damit hatte er recht. Alleine seine Stimme beruhigte mich schon. Erst jetzt fiel mir das tatsächliche Ausmaß des Abstandes zwischen uns auf und zu was für einem Schatten ich während dieser Zeit geworden war. "Ja. Das stimmt.", sagte ich jedoch bloß, statt einen von den anderen, bedeutungsvolleren Sätzen, die mir auf den Lippen lagen. "Hast du heute Zeit?" Mein Herz machte einen kleinen Satz und ich war mir nicht sicher, ob das der Satz gewesen war, nachdem es sich gesehnt hatte oder ob es aufgeregt war, wegen der Aussicht ihn heute vielleicht noch sehen zu können. "Ja." Kurz trat leise rauschendes Schweigen ein. Gerade als es sich so sehr ausdehnte, dass ich es nicht mehr aushielt und fragen wollte, ob er noch dran war sprach er weiter: "Um 15 Uhr bei mir?" Ich sah auch die Uhr. Es war gerade einmal halb elf. Ich wollte ihn jetzt sehen. Sofort wissen, ob es ihm gut ging und was der Grund war, dass er sich so lange nicht gemeldet hatte und gleichzeitig klang die Uhrzeit viel zu nah. "Ja, das wäre okay." Wie lahm das klang... "Perfekt." Ein Hauch seiner guten Laune war wieder in seiner Stimme und ich sehnte mich nach seinem Gesicht. "Dann bis später." Doch bevor ich das "Bis später." erwidern konnte drang schon der Ton durch die Leitung, dass er aufgelegt hatte.

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Meine Inspiration hat in letzter Zeit wirklich auf sich warten lassen. Entschuldigt.

2 refracted Boys.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt