Der nächste Morgen beginnt mit einem klaren Himmel und einer frischen Brise, die durch das offene Fenster meines Zimmers weht. Die Sonne scheint hell und warm, aber die Luft trägt den ersten Hauch von Herbst in sich. Ich liege noch eine Weile im Bett, lausche den Geräuschen des Campus, die langsam zum Leben erwachen, und spüre, wie die Last der letzten Tage sich langsam in etwas leichteres verwandelt. Vielleicht ist es die klärende Unterhaltung mit Ryan, die das bewirkt hat. Vielleicht ist es auch einfach die Zeit, die ein wenig von der Schärfe der Erinnerungen genommen hat.Mia hat sich heute Morgen früh aus dem Staub gemacht, um noch ein paar Besorgungen zu erledigen. Ich habe den Tag vor mir, ohne konkrete Pläne, und das fühlt sich sowohl befreiend als auch ein wenig beängstigend an. Der Gedanke, Zeit mit mir selbst zu verbringen, ohne mich in Arbeit oder in Ablenkungen zu stürzen, ist ungewohnt. Aber vielleicht ist das genau das, was ich jetzt brauche.
Ich ziehe mich langsam an, wähle bequeme Jeans und ein einfaches Shirt, lasse meine Haare offen, die in weichen Wellen über meine Schultern fallen. Ich betrachte mich kurz im Spiegel und erkenne die leichten Spuren von Müdigkeit in meinen Augen, aber auch einen neuen Ausdruck, etwas, das wie Entschlossenheit aussieht.
Im Speisesaal ist es ruhig, nur wenige Studenten sitzen verstreut an den Tischen. Ich nehme mir einen Kaffee und ein Croissant und setze mich an einen Tisch am Fenster, von dem aus ich den Innenhof des Campus überblicken kann. Es ist angenehm, die Welt einfach vorbeiziehen zu lassen, ohne in Eile zu sein, ohne dass ein unangenehmes Gespräch im Hinterkopf herumspukt.
Während ich meinen Kaffee trinke, schweifen meine Gedanken zurück zu Ryan. Ich denke an das, was er mir gestern erzählt hat, an die Reue in seinen Augen und den Schmerz in seiner Stimme. Es ist schwer, die Vergangenheit einfach hinter sich zu lassen, und ein Teil von mir ist immer noch wütend, immer noch verletzt. Aber ich kann nicht leugnen, dass seine Worte etwas in mir bewegt haben. Es ist, als hätte er mir einen Schlüssel zu einem verschlossenen Raum gegeben, einen Raum, den ich so lange vermieden habe. Jetzt, wo ich diesen Raum betreten habe, sehe ich, dass nicht alles so war, wie ich es mir ausgemalt habe.
„Emma?“
Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch und sehe zu meiner Überraschung auf. Vor mir steht eine junge Frau, die ich aus meinem Literaturkurs kenne, aber bisher kaum mit ihr gesprochen habe. Sie lächelt mich an, ihre Augen freundlich und offen.
„Hey, Anna,“ sage ich, setze mich ein wenig aufrechter hin. „Was gibt’s?“
„Ich hab dich gerade hier gesehen und dachte, ich setze mich mal zu dir, wenn das okay ist?“ Sie zeigt auf den leeren Stuhl neben mir.
„Klar, gern,“ antworte ich und schiebe meine Sachen ein wenig zur Seite, damit sie Platz hat.
Anna setzt sich, stellt ihren Tee und ihre Bücher auf den Tisch und lehnt sich zurück. „Hattest du auch so eine lange Nacht? Du siehst irgendwie... nachdenklich aus.“
Ich lache leise. „Ja, könnte man so sagen. Es war ein bisschen viel los in den letzten Tagen.“
Anna nickt verständnisvoll. „Das kenne ich. Manchmal scheint alles auf einmal zu kommen. Aber weißt du, es ist gut, dass du dir die Zeit nimmst, das alles zu verarbeiten. Viele Leute versuchen einfach, weiterzumachen, ohne sich wirklich damit auseinanderzusetzen.“
Ich schätze ihre Worte. Es ist schön, mit jemandem zu sprechen, der versteht, wie es sich anfühlt, von der Vergangenheit eingeholt zu werden. „Ja, ich glaube, ich habe das lange Zeit gemacht – einfach versucht, alles zu verdrängen. Aber das funktioniert nicht auf Dauer.“
„Definitiv nicht,“ stimmt Anna zu und nimmt einen Schluck von ihrem Tee. „Es ist wie ein Puzzle. Man kann die Teile nicht einfach weglassen und erwarten, dass das Bild trotzdem komplett ist.“
„Das stimmt,“ antworte ich nachdenklich und lasse ihre Worte auf mich wirken. „Man muss sich den Dingen stellen, egal wie unangenehm sie sind.“
Anna lächelt und nickt. „Genau. Und wenn du irgendwann mal jemanden zum Reden brauchst, bin ich gerne da. Manchmal hilft es, mit jemandem zu sprechen, der die Dinge von außen betrachtet.“
„Danke, Anna,“ sage ich aufrichtig. „Das bedeutet mir viel.“
Wir unterhalten uns noch eine Weile, sprechen über unsere Kurse, die Professoren und den allgemeinen Wahnsinn des Universitätslebens. Es ist eine angenehme Ablenkung, und ich merke, wie die Schwere des Morgens langsam nachlässt.
Nach dem Frühstück beschließe ich, einen Spaziergang über den Campus zu machen. Die frische Luft tut gut, und die Bewegung hilft mir, meine Gedanken zu ordnen. Der Campus ist an einem Samstagmorgen ruhig, die meisten Studenten schlafen noch oder sind in ihren Zimmern vertieft in ihre Bücher oder ihre Bildschirme. Ich gehe an den großen, alten Bäumen vorbei, deren Blätter sich bereits leicht verfärben, ein Vorbote des nahenden Herbstes.
Meine Schritte führen mich zu einem kleinen Park am Rande des Campus, einem meiner Lieblingsplätze, seit ich hier bin. Es ist ein ruhiger Ort, abgeschieden vom Trubel des Universitätslebens, mit einer kleinen Bank unter einer alten Eiche, die Schatten spendet. Ich setze mich auf die Bank, lasse meinen Blick über die gepflegten Rasenflächen schweifen und genieße die Stille.
Doch so sehr ich auch versuche, meine Gedanken abzulenken, sie kehren immer wieder zu Ryan zurück. Was er mir gestern gesagt hat, hat etwas in mir ausgelöst, das ich noch nicht ganz fassen kann. Es ist, als ob ich eine Tür geöffnet habe, die lange verschlossen war, und jetzt, wo sie offen ist, weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll.
Ich denke an all die Jahre, in denen ich ihn gemieden habe, an die Wut und den Schmerz, die mich so lange begleitet haben. Es ist schwer, diese Gefühle loszulassen, aber ich weiß, dass ich es tun muss, wenn ich jemals wirklich frei sein will. Vielleicht ist es Zeit, die Vergangenheit wirklich ruhen zu lassen und nach vorne zu schauen.
Als ich aufstehe, um zurück zum Wohnheim zu gehen, fühle ich mich ein wenig leichter, als hätte ich einen kleinen Teil der Last, die ich mit mir herumgetragen habe, abgelegt. Ich weiß, dass noch viel vor mir liegt, aber ich bin bereit, den nächsten Schritt zu gehen, wohin er mich auch führen mag.
Zurück in meinem Zimmer finde ich Mia, die auf dem Boden sitzt und durch eine Kiste mit alten Fotos wühlt. „Schau mal, was ich gefunden habe!“ ruft sie aufgeregt, als ich hereinkomme. „Alte Fotos von uns!“
Ich lächle und setze mich zu ihr auf den Boden. Gemeinsam blättern wir durch die Fotos, lachen über unsere alten Frisuren und Klamotten und erinnern uns an vergangene Zeiten. Es ist schön, diese Momente mit Mia zu teilen, und ich merke, wie meine Stimmung sich weiter aufhellt.
„Weißt du,“ sagt Mia nach einer Weile, „ich bin froh, dass wir hier zusammen sind. Es fühlt sich an, als ob wir endlich einen Neuanfang machen können, oder?“
Ich nicke und sehe sie an. „Ja, das fühlt sich richtig an. Ich glaube, es ist Zeit, nach vorne zu schauen und die Vergangenheit hinter uns zu lassen.“
Mia lächelt und umarmt mich. „Genau das, Emma. Wir schaffen das.“
Wir sitzen noch eine Weile zusammen, reden über die Zukunft, unsere Pläne und Träume. Es ist ein guter Abschluss für diesen Tag, und als die Dunkelheit draußen langsam einbricht, fühle ich mich bereit, das Kapitel der Vergangenheit endlich abzuschließen und ein neues zu beginnen.
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second chance
RomanceEmma und Ryan waren einst unzertrennlich, bis ein schmerzhaftes Missverständnis ihre junge Liebe zerstörte. Drei Jahre später treffen sie sich unerwartet an der Universität wieder. Alte Wunden und Gefühle brechen auf, während sie versuchen, ihre Ver...