Die Woche nach dem Besuch im Buchcafé und der zufälligen Begegnung mit Laura verläuft ruhig, aber geschäftig. Die Vorlesungen und die Prüfungen füllen meine Tage aus, und ich finde kaum Zeit, über alles nachzudenken, was mich beschäftigt. Die Stadt hat sich mit dem Herbst in ein Farbenmeer verwandelt. Die Bäume sind in warmen Tönen von Rot und Gold gefärbt, und die kühle, klare Luft ist eine willkommene Abwechslung.Am Dienstagabend finde ich mich wieder in der Bibliothek, umgeben von Stapeln von Lehrbüchern und Notizen. Die ruhige Atmosphäre hier hilft mir, mich zu konzentrieren. Ich arbeite an einem Essay über moderne Literatur, doch meine Gedanken schweifen immer wieder zu Ryan ab. Der Gedanke an ihn ist schwer zu ignorieren, besonders da die letzte Begegnung im Café so unerwartet und aufwühlend war.
Nachdem ich mehrere Stunden in der Bibliothek verbracht habe, packe ich meine Sachen zusammen und beschließe, einen Spaziergang im Park zu machen. Die frische Abendluft wird mir gut tun und hoffentlich meine Gedanken klären. Der Park ist noch feucht vom früheren Regen, und die Luft riecht nach Erde und nassen Blättern. Es ist eine willkommene Abwechslung zum starren Lernen.
Ich schlendere gemächlich durch den Park, genieße die ruhige Atmosphäre und lasse mich von der Umgebung entspannen. Die Bäume sind in herbstliche Farben getaucht, und die Straßenlaternen werfen ein sanftes, goldenes Licht auf den Weg. Die Stille wird nur durch das gelegentliche Rascheln der Blätter und das entfernte Murmeln der Stadt unterbrochen. Während ich so gehe, spüre ich ein unangenehmes Knistern der Anspannung in der Luft – es ist die Möglichkeit, Ryan hier zu begegnen.
Als ich den kleinen Teich erreiche, entdecke ich eine vertraute Gestalt am anderen Ende des Parks. Mein Herz schlägt schneller, als ich erkenne, dass es Ryan ist. Er steht dort, seine Haltung wirkt nachdenklich, und die Lichtreflexionen auf dem Wasser spielen mit dem schummrigen Licht der Abenddämmerung. Ich zögere, weiterzugehen. Die Begegnung fühlt sich wie ein Test an, ob ich bereit bin, mich den ungelösten Fragen unserer Vergangenheit zu stellen.
Meine Beine bewegen sich langsam auf ihn zu, und ich halte meinen Atem an, als ich mich ihm näher. Als er mich sieht, weicht seine überraschte Miene einer Mischung aus Erstaunen und Unsicherheit. Seine Augen, die mich so lange nicht mehr gesehen haben, scheinen nach einer Reaktion von mir zu suchen.
„Emma,“ sagt er schließlich, seine Stimme ist ein wenig rau von der kühlen Abendluft. „Ich hätte nicht gedacht, dich hier zu treffen.“
„Hi, Ryan,“ erwidere ich und versuche, so neutral wie möglich zu klingen. „Ich war gerade in der Bibliothek und dachte, ich mache einen Spaziergang. Und du?“
„Ich wollte einfach ein bisschen frische Luft schnappen,“ erklärt Ryan. „Es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Ich wollte dich nicht stören.“
„Es ist schon okay,“ sage ich und lächle schwach. „Es ist tatsächlich ein schöner Ort für einen Spaziergang. Man kann hier gut nachdenken.“
Wir stehen eine Weile schweigend da, nur die Geräusche der Stadt und das Plätschern des Wassers im Hintergrund. Die Stille ist nicht unangenehm, sondern eher nachdenklich. Ich kann sehen, dass Ryan ebenfalls überlegt, wie er das Gespräch fortsetzen soll.
„Wie läuft es bei dir?“ frage ich schließlich, um das Schweigen zu brechen. „Wie findest du das Studium hier?“
Ryan seufzt leicht und lehnt sich gegen das Geländer des Teichs. „Es ist eine Herausforderung, ehrlich gesagt. Es gibt so viel zu lernen und so viele neue Menschen. Aber ich denke, ich komme langsam klar. Es ist nur... viel, um sich daran zu gewöhnen.“
„Das kann ich verstehen,“ antworte ich. „Für mich ist es auch eine Anpassung. Die ganze Stadt ist so anders als die Heimatstadt. Aber ich versuche, das Beste daraus zu machen.“
„Ja,“ sagt Ryan und nickt zustimmend. „Das ist wahrscheinlich der beste Ansatz. Man muss einfach versuchen, das Positive zu sehen.“
Wir reden weiter über das Studium und die neuen Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen. Es tut gut, sich über diese alltäglichen Dinge zu unterhalten, auch wenn es nur eine oberflächliche Ablenkung von den tieferliegenden Fragen ist.
„Hast du dich schon gut eingelebt?“ frage ich neugierig, als das Gespräch eine ruhigere Wendung nimmt.
„Ja, ich denke schon,“ antwortet Ryan. „Ich habe ein paar Freunde gefunden, und es wird besser, je länger ich hier bin. Aber manchmal vermisse ich die vertrauten Dinge von früher. Es gibt Tage, da fühle ich mich einfach verloren.“
„Mir geht es ähnlich,“ sage ich und schaue auf das Wasser. „Es ist nicht einfach, sich von der Vergangenheit zu lösen und in etwas Neues einzutauchen. Manchmal frage ich mich, ob es richtig war, so weit weg zu ziehen.“
„Manchmal muss man einfach die Augen schließen und den Sprung wagen,“ bemerkt Ryan nachdenklich. „Auch wenn es schwer ist, sich von der Vergangenheit zu lösen.“
„Das stimmt,“ stimme ich ihm zu. „Aber es gibt Momente, da ist es schwer, loszulassen. Besonders wenn man noch offene Fragen hat.“
Es herrscht eine weitere Phase des Schweigens, in der wir beide in unseren Gedanken versinken. Der Park wird dunkler, und die Temperaturen sinken weiter. Ryan wirkt nachdenklich, und ich kann sehen, dass er mit seinen eigenen inneren Konflikten kämpft.
„Emma,“ beginnt Ryan schließlich, „ich wollte dir eigentlich etwas sagen, bevor wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich... ich habe nicht richtig verstanden, was damals passiert ist. Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe.“
Seine Worte sind unerwartet und schaffen einen Moment der Unbehaglichkeit. „Ich weiß nicht, ob es richtig ist, darüber jetzt zu sprechen,“ sage ich vorsichtig. „Es gibt immer noch viele ungelöste Fragen, und ich weiß nicht, ob wir die Antworten finden können.“
„Ich verstehe,“ sagt Ryan und nickt. „Vielleicht ist es besser, wenn wir noch ein bisschen Zeit lassen, bevor wir tiefer in die Vergangenheit eintauchen.“
„Vielleicht,“ stimme ich zu. „Es ist nur... es ist kompliziert. Die Vergangenheit ist schwer loszulassen.“
„Das ist sie,“ bestätigt Ryan. „Aber ich hoffe, wir können irgendwann einen Weg finden, damit umzugehen.“
Wir stehen noch eine Weile schweigend da, beide in Gedanken versunken. Die Dunkelheit um uns herum wird tiefer, und die Kälte des Abends wird immer stärker. Schließlich brechen wir das Schweigen.
„Es war... gut, dich zu sehen,“ sage ich schließlich. „Vielleicht sollten wir uns irgendwann wiedersehen, wenn wir beide bereit sind, darüber zu sprechen.“
„Ja,“ sagt Ryan, und seine Stimme klingt etwas erleichtert. „Vielleicht ist das eine gute Idee.“
Wir verabschieden uns und gehen in unterschiedliche Richtungen davon. Während ich nach Hause zurückkehre, fühle ich eine Mischung aus Erleichterung und Ungewissheit. Die Begegnung mit Ryan hat mir gezeigt, dass es immer noch vieles gibt, das ich verarbeiten muss. Es war ein Schritt in Richtung Klärung, aber die Fragen bleiben. Vielleicht ist das Gespräch, das wir geführt haben, der erste Schritt auf einem langen Weg, den wir noch gemeinsam gehen müssen.
Als ich in meinem Zimmer ankomme, lasse ich mich auf mein Bett fallen und lasse die Gedanken schweifen. Es war ein schwieriger, aber notwendiger Schritt, und ich weiß, dass es noch viele weitere geben wird. Der Abend hat mir gezeigt, dass ich bereit bin, mich den Herausforderungen zu stellen, die vor mir liegen. Es ist ein Anfang, und vielleicht wird die Zeit uns die Antworten bringen, die wir suchen.

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second chance
RomanceEmma und Ryan waren einst unzertrennlich, bis ein schmerzhaftes Missverständnis ihre junge Liebe zerstörte. Drei Jahre später treffen sie sich unerwartet an der Universität wieder. Alte Wunden und Gefühle brechen auf, während sie versuchen, ihre Ver...