40. In dem Graf Dracula aufersteht

611 15 2
                                    


Den Tag darauf hatte ich mich einfach krankgemeldet. Ich wollte den, dessen Namen nicht genannt werden darf, nicht mehr sehen. Er war mein persönlicher Lord Voldemort geworden. Mir ging es so elend, wie schon lange nicht mehr. Ich hatte keine Lust zu essen, keine Lust zu lesen, nicht einmal Lust fernzusehen, was normalerweise meine Lieblingsbeschäftigungen waren. Abgesehen von Schlafen. Schlafen war tatsächlich das Einzige, was ich noch wollte.

In den Spiegel zu sehen, vermied ich mit allem, was möglich war. Ich sah scheiße aus. Meine Augenringe waren wie der Suezkanal. Riesig und sie hoben sich unangenehm deutlich von ihrer blassen Umgebung ab. Auch meine Haut genannt. Zu meiner Verbitterung, sah ich nicht mal wie ein sexy bleicher Vampir aus, sondern eher wie eine abgestandene Schüssel Haferbrei. Grau und Matschig. Genau wie meine Gefühle.

Meine Gefühle konnten sich nicht entscheiden, ob sie vor Wut rasen sollten oder mich vor Herzschmerz zum Heulen bringen sollten. Die Mischung dieser Möglichkeiten, die daraufhin folgte, war tatsächlich sogar noch schlimmer. Das beweist der Kopfkissenbezug, der immer noch nach Lockwood gerochen hatte. Den hatte ich nämlich rotz und Wasser heulend zerhexelt. Ich hatte mich nicht nur in ihn verknallt. Es war bei weitem schlimmer. Ich hatte mich in ihn verliebt. Und er hatte meine Liebe genommen und sie in eine Müllpresse geworfen, sodass sie jetzt nur noch ein seltsam wohlgeformter, bemitleidenswerter Haufen Schrott war, den niemand haben wollte.

Es klopfte. „Herein" antwortete ich gelangweilt. Wer auch immer auf die dämliche Idee gekommen war mich in dem Zustand sehen zu wollen, musste jetzt halt mit den Konsequenzen leben. Ein Mädchen mit einer mir nur zu bekannten kohlrabenschwarzen Lockenmähne schob sich durch die Tür. Ruth staunte nicht schlecht, als sie mein Zimmer sah. Überall lagen gebrauchte Taschentücher rum. Es war unfassbar unordentlich und stockfinster. Und obendrauf kam noch mein wundervolles Erscheinungsbild. Sarkasmus klingelt an der Tür. „Lass doch wenigstens die Vorhänge offen, Graf Dracula"

Ich schüttelte nur lustlos den Kopf. „Ich will ihn nicht aus Versehen sehen!", sagte ich deprimiert. Wieso musste er auch ausgerechnet mein Nachbar sein? „Du sitzt doch nur auf deinem Bett rum! Wie willst du ihn da aus Versehen sehen?" Ich ignorierte den Inhalt ihrer Aussage, ohne zu zögern. Meine geistige Stabilität war sowieso schon fernab jeglicher Realität. „Meine Rede! Ein viel zu hohes Risiko", sagte ich theatralisch.

Ruth seufzte und setzte sich neben mich. „Darf ich fragen, was eigentlich genau passiert ist? Mein Wissenstand ist immer noch derselbe, wie gestern. Lockwood ist ein Arschloch. Ende von Information", sagte sie ruhig. Ihre dunklen Augen sahen mich einfühlsam an. Ich spürte Stiche in meinem Bauch, bei dem Gedanken daran, wie sehr ich seine Blicke vermisste. Es hatte keinen Sinn die bittere Wahrheit vor ihr zu verheimlichen. Vermutlich wusste es bis Ende der Woche sowieso die ganze Schule. „Ich war eine Wette"

Ruths Augen weiteten sich und sie starrte mich fassungslos an. In ihr stieg sichtlich der Zorn hoch. Sie war richtig wütend. „50, wenn er mich bis Ende des Schuljahres rumbekommen hätte." Eine Träne verließ mein Auge. Ich hasste mich dafür wegen ihm auch noch Tränen zu vergießen, doch ich hatte einfach keine Kraft mehr sie zurückzuhalten. Ich war nur noch am Ende. Lockwood nahm jeden einzelnen Winkel meines Kopfes ein und jeder einzelne dieser Winkel brannte. Auch wenn Ruth bei mir war, fühlte ich mich einsam und leer. Ohne Lockwood fehlte ein Teil von mir, den ich brauchte, um normal leben zu können. Normal denken zu können. Normal atmen zu können.

Augenblicklich schloss sie mich in ihre Arme und drückte mich fest an sich. Ich ließ die Tränen los. Ein dunkler Fleck bildete sich augenblicklich auf ihrem Pullover, doch es war ihr egal. Sie drückte mich nur noch fester. Das hielt eine Weile an, bis wir uns langsam voneinander lösten. „Mit wem hat er gewettet?", fragte sie plötzlich. In ihren Augen stand die Angst. Und da traf es mich. Lockwood und seine Jungs hatten hiermit nicht nur mein Herz auf's Spiel gesetzt. Hätte Lockwood, zusammen mit Nick, Ruth das angetan, hätte ich ihm sofort den Laufpass gegeben. Ich führte keine Beziehung mit jemandem, der sowas tat, genauso wenig, wie Ruth.

„Derek und Mike waren auch dabei, aber die Wette war zwischen Nick und Lockwood", antwortete ich ehrlich. Ich wünschte, dass ich einfach lügen hätte können, doch das konnte ich ihr nicht antun. Sie hatte ein Recht auf die Wahrheit. Nun weinte Ruth genauso, wie ich. „Es tut mir so leid!", hauchte sie. Ich starrte sie fassungslos an. Sie gab sich doch nicht etwa selbst die Schuld? „Dir muss Garnichts leidtun!", sagte ich fest.

HeartbreakerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt