43. In dem Sister vor Mister neu definiert wird

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Die darauffolgenden Wochen ignorierte ich Lockwood ohne Ausnahme und lebte mein Leben ohne ihn weiter. Auch wenn er mein Herz genommen hatte, um es anschließend in Stücke zu sprengen, würde ich ihm nicht ewig hinterherheulen! Lieber heckte ich den ein oder anderen blutigen und äußerst unappetitlichen Mordplan aus. Ich wollte nichts mit ihm zu tun haben, außer vielleicht, eine Schaufel in der Nähe und ein namenloses Grab ist das Ergebnis.

Ich gebe ja zu, diese Gedanken trugen auch nicht dazu bei, ihn zu vergessen, aber wenigstens fühlte ich mich dann besser.

Schon mal in Erwägung gezogen ihm einfach eine überzubraten, anschließend an einen Stein zu binden und ihn auf den Meeresboden zu versenken? Bei Hanks Vorschlag breitete sich ein grausames Grinsen auf meinem Gesicht aus. Mir gefällt deine Denkweise, Hank.

„Kenzie? Alles okay?", fragte Ruth neben mir verunsichert. Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch und sah sie verwirrt an. „Was soll nicht stimmen?", fragte ich. Elegant hob sie eine Augenbraue. „Keine Ahnung, vielleicht weil du aussahst, als würdest du Batman ermorden wollen!" Auf meinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. „Knapp daneben"

Ruth stieß ein sanftes Lachen aus und schüttelte den Kopf, ehe sie sich wieder der Aufgabe widmete sich partyangemessen zu schminken. Ihre Augen schimmerten bereits in einem sanften Goldton, der funkelnd im Licht blitzte. Ihre Lippen waren dunkel gefärbt und bereiteten eine matte Verführung. Sie hatte sich mit Nick ordentlich zerstritten. Laut ihr hatten seine Ausreden Kompost-Qualität. Sie meinte dann kurzerhand, dass sie so jemanden nicht als Freund wollte und ließ ihn sitzen. Jetzt vier Wochen später ist sie entschlossen sich jemand neuen zu angeln. Und sie sah aus wie eine Granate.

Ich dagegen hatte allumfassend genug, was das Thema männliche Mitmenschen betraf. Der nächste der sich danach sehnte, sich an mich ranzuschmeißen, konnte sich daran gewöhnen, fortan kopflos weiter zu laufen. Nicht metaphorisch gemeint.

Lia, die gerade aus ihrem Badezimmer geschlendert kam, setzte sich grinsend zu uns. „Schon Pläne, wen ihr mit euren heißen Looks anziehen wollt?", fragte sie und guckte stolz an uns rauf und runter, während sie selbst als Victoria Secret Model hätte durchgehen können. Wenn es darum ging sich von jemandem bezüglich des Aussehens supporten zu lassen, war Lia perfekt. Tatsächlich hatte ich sie noch nie schlecht über irgendeinen Körper reden gehört.

Während ich ein eintöniges: „die Wand" von mir gab, antwortete Ruth mit einem: „irgendjemand heißes". Lia grinste von einem Ohr zum anderen. „Dann werden wir heute Abend wohl ein fantastisches Duo bilden und Ruth beim Flirten anfeuern!", lachte Lia und sah mir strahlend in die Augen. „Willst du nicht selbst flirten?", fragte Ruth erstaunt. Lia zuckte nur mit den Schultern und warf anschließend elegant ihr dunkelblondes Haar über diese. „Ach die Männer können ruhig auf mich warten. Wenn Kenz Unterstützung beim Vergraulen braucht, kann ich doch nicht nein sagen!" Ruth und ich begannen angesichts ihrer kriegerischen Miene laut zu lachen.

Sister vor Mister wird bei uns neu definiert.

„Danke für die Ehre!", grinste ich und verbäugte mich tief vor Lia. „Dafür fahre ich auch!" Ruth und Lia jubelten gleichzeitig.
Die anschließende Autofahrt war einfach nur noch wild. Egal welches Lied unserer Spotify Playlist spielte, wir sangen lauthals mit. Lias knallrotes Auto war jedoch schon so alt und klapprig, dass es unseren Gesang schon fast übertönte, und das will was heißen. Das Abgefahrenste war allerdings die Hupe, die wie ein sterbender Elch röhrte und vermutlich besser einen Unfall verursachen als stoppen konnte.

Die Party war bereits in vollem Gange, als wir ankamen. Betrunkene Teenager torkelten in der Gegend rum, während die halbwegs nüchternen lauthals schreiend tanzten und Trinkspiele spielten. Direkt neben dem Eingang begrüßte uns umgehend ein Typ, indem er in die sich dort befindende Topfpflanze reiherte.

Lia hakte sich bei mir ein und schob mich an ihm vorbei hinein in das Gedränge. Ruth hatte sich bereits ohne Umschweife irgendetwas alkoholisches runtergekippt. Verdutzt starrten Lia und ich sie an. Ruth trank schon gerne mal das ein oder andere Glas, doch die hatte nie Interesse daran, ihre Gehirnzellen in einer einzelnen Nacht zu zerschießen. „Ich will vergessen, dass ich einen scheiß Männergeschmack habe!", schrie sie über den Lärm hinweg. Ihr finsterer Blick hatte sich jedoch nicht auf uns, sondern auf etwas in unserer Nähe geheftet. Irritiert drehten Lia und ich uns um. Nick stand am Rande der Feier, in den Armen ein schwarzhaariges Mädchen, mit den längsten Fake-Wimpern, die man so auftreiben konnte. Es sah fast so aus, als hätte sie ein Meerschweinchen rasiert und sich sein Fell an die Augen geklebt. Und er steckte ihr seine Zunge in den Hals.

Hoffentlich stach sie ihm mit den Flieger-Landebahnen die Augen aus!

„Eigentlich wollte ich ja nur ein bisschen rumflirten...", rief Ruth und verzog ihren Mund zu einer Schaurigen Grimasse. „Aber gut, dann suchen wir uns wohl mal die nächste schlechte Entscheidung!" Wie eine Furie stapfte sie durch die Menge davon.

Besorgt sahen Lia und ich ihr nach. Ich wandte meinen Blick ab und starrte angeekelt zu Nick. Bevor Lia mich aufhalten konnte, eilte ich auch schon zu dem knutschenden Paar. Unsanft boxte ich Nick in die Seite. Erschrocken sprang er von seiner Knutscherei zurück und blickte überrascht in mein wütendes Gesicht. „Was ist?", fragte er mich allerernstes.

Ich verzog das Gesicht. Die Lichter von der Decke brachten seine Haare zum Glühen. Er sah gut aus, leider war er dümmer als Toastbrot. „Ich will dir sagen, dass du es richtig verschissen hast. Du hattest die mit Abstand tollste Frau der Welt und hast sie komplett vergrault! Sie verdient die Welt, weil sie allen, die sie liebt die Welt geben würde. Spoiler du gehörst nichtmehr zu diesen Glücklichen. Ich hoffe du bist zufrieden mit dir!" Ohne auf eine Erwiderung zu warten, drehte ich mich einfach um und ließ ihn stehen.

Lia grinste mich an, als ich sie mit mir zog. Nach Ruth suchend glitt mein Blick über die Menschenmassen, die tanzten, tranken, lachten und sich hin und wieder irgendetwas reinzogen. Ruth war nirgends zu entdecken. Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Hoffentlich machte sie nichts dummes. Meine Augen blieben abrupt stehen. Doch sie hatten sich nicht mit Ruths Anblick verfangen. Nein. Grün traf auf Gold.

Mein Magen verschlang sich schmerzhaft, gleichzeitig schlug mein Herz schneller. Verschiedenste Gefühle durchströmten mich und kämpften um den Platz des Handelns. Ein Teil von mir wollte einfach wegrennen und alles, was ich für ihn empfand in die kühle Nachtluft schreien. Ein anderer Teil dagegen wollte zu ihm rennen und ihm die Nase brechen. Der letzte Teil in mir, für den ich mich selbst hasste, wollte jedoch zu ihm rennen, und das nicht um ihm seine Nase zu brechen. Nein. Dieser Teil in mir wollte Lockwood in die Arme schließen und ihn küssen, bis die Sonne im Westen auf und im Osten untergeht. Der Teil in mir, der Lockwood liebte. Der Teil, der nicht ohne ihn Leben konnte, egal wie sehr er mich verletzt hatte. Ich hasste es. Ich hasste es, dass ich ihn immer noch liebte.

Bedrückt schluckte ich den Klos in meinem Hals herunter. „Gehen wir Ruth suchen", sagte ich mit bemüht fester Stimme. Lia sah besorgt zu mir und dann augenblicklich zu einer Stelle, die definitiv dort war, wo auch Lockwood stand. Sie nickte nur und drückte meine Hand. Eine Geste, die mir signalisierte, dass sie an meiner Seite war. Mit stechendem Herzen löste ich unseren Blickkontakt und bahnte mir zusammen mit Lia einen Weg durch die Menge.

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