48. In dem die Vergangenheit einholt

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Ich ertappte mich immer wieder dabei, dass ich zu Lockwoods Fenster hinüberstarrte. Das ich ihn immer noch liebte machte mich fertig. Doch er liebte mich genauso. Es ist schon grausam, wie sogar Liebe manchmal einfach nicht genug ist.

Mies gelaunt zog ich mir meinen Hoodie über. Die schwarze Jeans, die ich trug, war vollkommen Baggy und meine Haare waren unordentlich hochgesteckt. Ich hatte absolut keinen Bock, mich in irgendeiner Weise um den Zustand „akzeptables Aussehen" zu bemühen. Müde latschte ich zum Bus. Jedes einzelne dieser Kinder raubte mir den letzten Nerv. Mit ihren grellen und zusätzlich außergewöhnlich lauten Stimmen hätten sie im Gebirge Lawinen auslösen können. Als wir endlich ankamen, war ich einer der ersten, die sich aus dem überfüllten Bus zwängten. Hauptsache weg von den unablässig kreischenden halbwüchsigen.

Der Schulhof war überfüllt. Manche standen einfach nur rum und unterhielten sich mit ihren Freunden, während andere sich unauffällig in irgendwelche Ecken zogen, um heimlich eine zu qualmen. Neben mir heulte ein Motor auf. Ausdruckslos blickte ich zu dem in schwarz gekleidetem Motorradfahrer. Ich verkniff mir ein: „Wow, du kannst aber toll deinen Motor aufheulen lassen. Deine Mami ist bestimmt stolz!" Mir wurde sofort klar, dass allein meine schlechte Laune für derart viel Zynismus die Ursache sein konnte.

Der Motorradfahrer, der auf dem Schulparkplatz stehen geblieben war stieg jedoch nicht ab, sondern starrte mich unverwandt an. Schnaubend starrte ich zurück. Manche hatten Probleme. „Ist was?", fragte ich genervt. Was musste er mich so anstarren? Ein leises Lachen war von seiner Richtung zu hören. Es war rau und bereitete mir eine unangenehme Gänsehaut. Irgendwas stimmte mit diesem Menschen nicht.

„Früher warst du nicht so schnippisch", sprach der Fremde augenblicklich weiter. Eine eisige Kälte flutete meinen Körper und meine Nackenhaare stellten sich auf. Das war nicht möglich. Er konnte es nicht sein. „Wer bist du", fragte ich nervös. Meine Stimme zitterte leicht, doch ich konnte es einfach nicht unterdrücken. „Ach, du erkennst mich also nichtmehr?", kicherte er und klappte sein Visier hoch. An sich konnte man durch sowas ja nicht viel mehr erkennen, hätte er nicht so stechend grüne Augen gehabt. Meine Augen.

Ungläubig starrte ich ihn an. Er konnte nicht hier sein. Er sollte in einem Gefängnis verrotten. Meine Stimme war verschwunden. Er nutzte den Augenblick und nahm seinen Helm ab. Cedrics Gesicht war mir irgendwie so bekannt und fremd gleichzeitig. Er hatte denselben stechenden Blick wie früher, genau wie seine gerade Nase und die leicht geschwungenen Lippen. Seine Haare jedoch waren etwas dunkler geworden und seine Wangenknochen stachen mittlerweile scharf unter dem Dreitagebart hervor.

Er sah gut aus.

Mehr viel mir dazu nicht ein. Die Bilder von seinem jüngeren ich, dass mich, seine kleine Schwester, verprügelte, schossen mir augenblicklich in den Kopf. Mir wurde speiübel. „Was willst du hier?", brachte ich mühsam hervor. Mein Füße waren wie angewurzelt. Ich konnte sie nicht bewegen. „Ich wollte meine kleine Schwester mal wieder sehen, was denn sonst?", sein grinsen war diabolisch. Er war also immer noch ein sadistisches Ekel. „Verpiss dich!" Die Wut, die in mir hochzüngelte, hauchte meinem Körper wieder Leben ein. Ich war nicht mehr das kleine wehrlose Mädchen, dass er verprügeln konnte. Ich war eine verdammt noch mal starke Frau. Er konnte mir nichts anhaben!

Seine Augenbrauen zuckten. In seinem Blick konnte ich die Überraschung deutlich lesen. Sein Mundwinkel hob sich leicht und seine Augen durchzog ein beeindrucktes Funkeln. „Beeindruckend. Du warst mal ein so schüchternes Ding. Was ist nur mit dir passiert?", kicherte er. Meine Augen bohrten sich in seine. „Und du warst mal ein sadistisches, perfides Arschloch und bist es offensichtlich immer noch!", brach es aus mir heraus.

Mental klopfte ich mir auf die Schulter. Ich würde nicht zurück in meine Angstzustände gehen. Nie mehr. Lockwood hat mir gezeigt, dass man trotz Konsequenzen für sich einstehen muss. Er hat mir gezeigt, dass es keinen Sinn hat, vor seiner Angst wegzurennen. Wäre Lockwood in meiner Situation, würde er diesem Arschloch zeigen, wo es lang geht. Und das tue ich auch! Dieser Mensch war es nicht wert, dass ich weinend vor ihm auf dem Boden zusammenbrach!

Cedrics Blick wurde augenblicklich wütend. „Du Missgeburt!", schoss er zurück. Einige Schüler drehten sich zu uns. Cedric und ich zogen augenblicklich Aufmerksamkeit auf uns. „Das gleiche könnte ich von dir auch behaupten!", entgegnete ich. Cedric machte einen Schritt auf mich zu, blieb jedoch abrupt stehen. Ich wusste augenblicklich wieso. Jemand hatte sich schützend hinter mich gestellt.
Lockwood verströmte so viel Wut, dass es ein Wunder war, dass er noch nicht die Beherrschung verloren hatte. Cedric richtete sich auf. Er war groß, doch Lockwood überragte ihn trotzdem um ein paar Zentimeter. „Ach und du bist?", fragte er provozierend. „Jemand der dir die Scheiße aus dem Leib prügelt, wenn du dich nicht sofort verpisst!"

Diesmal war es eine wohlige Gänsehaut, die sich über meine Haut zog. Lockwood schob mich mittlerweile hinter sich. „Das ist noch nicht vorbei, Mazie!" Cedrics Blick bohrte sich noch ein letztes Mal in meinen, ehe er sich elegant auf sein Motorrad schwang, seinen Helm überzog und davonfuhr. Mazie. Dieser Name stammte aus einer Zeit, in der wir uns noch nicht gehasst hatten.

HeartbreakerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt