Die nächsten Tage zogen an Sami vorbei. Es war eine seltsame Mischung aus Leichtigkeit und Unsicherheit. Etwas hatte sich verändert, seit dem letzten Treffen mit Nathan. Doch, er konnte nicht sagen, was. Es war mehr als nur der angenehme Rest des Abends, der ihm noch immer im Gedächtnis war. Es war das Gefühl, dass sich etwas zwischen ihnen aufbaute. Unmerklich und doch spürbar, wie ein zarter Faden, der sie verband.
Am nächsten Tag war Sami in seiner Routine gefangen. Er arbeitete im Café. Er pendelte zwischen den wenigen, monotonen Gesprächen mit den Gästen, die nie zu tief gingen. Doch immer wieder, im Hintergrund seiner Gedanken, tauchte Nathan auf. Es war, als würde dieser Mann mit seiner ruhigen Präsenz einen Raum in ihm einnehmen, der lange leer gewesen war. Er fragte sich, ob das vielleicht ein Fehler war. Ob er sich nur von einem Moment zu viel Hoffnung hatte machen lassen. Doch die Fragen, die er sich stellte, blieben unausgesprochen. Irgendwie war es einfacher, einfach zuzulassen, was geschah, ohne es sofort zu hinterfragen.
An diesem Abend, als der Himmel sanft grau wurde, schrieb Sami Nathan: „Hast du morgen Abend Zeit?" Der letzte Sonnenstrahl war hinter den Gebäuden verschwunden." Vielleicht für einen Spaziergang?"
Wieder kam die Antwort fast sofort. „Klingt gut. Treffpunkt um sieben am Park?"
Sami nickte kurz, als ob Nathan ihn sehen könnte, und schickte ein Einfaches „Bis morgen". Der Gedanke an das Treffen ließ eine Mischung aus Nervosität und Vorfreude in ihm aufsteigen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es diesmal anders sein würde. Vielleicht würde er mehr von sich preisgeben, vielleicht würde er Nathan mehr zeigen, als er jemals einem anderen Menschen gezeigt hatte. Aber er war sich nicht sicher, ob er dafür bereit war. Die Angst, wieder verletzt zu werden, war immer noch da, tief in seinem Inneren. Doch da war auch ein Teil von ihm, der neugierig war – neugierig auf das, was noch kommen könnte.
Am nächsten Abend trat Sami in den Park, der in das sanfte Licht der Straßenlaternen getaucht war. Der Weg war ruhig, die Bäume warfen lange Schatten auf den Boden, und der Fluss plätscherte leise vor sich hin. Die Stille des Ortes ließ seinen Puls langsamer werden. Er hatte die Zeit absichtlich so gewählt, um der Welt zu entkommen. Er wollte allein sein, um über diese seltsame, neue Verbindung mit Nathan nachzudenken.
Nathan stand bereits dort, an der gleichen Stelle wie beim ersten Mal. Als er Sami bemerkte, hellte sich sein Gesicht auf, und das Lächeln, das er ihm schenkte, war ruhig und einladend. Keine Spur von Aufdringlichkeit, sondern eine Ruhe, die er sofort als angenehm empfand.
„Hey", sagte Nathan, als er näherkam. „Schön, dich zu sehen."
Sami nickte und versuchte, ein entspanntes Lächeln zu erwidern. „Ja, ich auch."
Wieder gingen sie nebeneinander, ohne viel zu sagen. Doch, die Stille war diesmal nicht unangenehm. Es schien, als hätten sie schon ein Gespräch begonnen. Doch, sie hatten noch nicht die richtigen Worte gefunden. Es war ein langsames Herantasten, ein gegenseitiges Beobachten. Ein vorsichtiger Austausch von Gedanken, der keine Eile kannte.
„Weißt du", begann Nathan schließlich, „ich habe neulich über das nachgedacht, was du beim letzten Mal gesagt hast. Über das, was du über Nähe denkst. "Ich glaube, du hast etwas Wichtiges angesprochen. Es hat mich zum Nachdenken gebracht."
Sami drehte den Kopf und sah Nathan an, während er langsam ging. „Ach ja? Was denn?"
„Du hast gesagt, dass du immer dachtest, Nähe sei wie ein Tauschgeschäft", erklärte Nathan nachdenklich. „Ich habe darüber nachgedacht, und ich glaube, viele Menschen denken das. Dass alles einen Preis hat, dass es immer einen versteckten Vorteil gibt, wenn man sich öffnet. Aber weißt du, vielleicht ist es gerade das, was uns in Beziehungen so oft enttäuscht."
Sami nickte langsam. „Vielleicht. Ich weiß nicht. "Es ist schwer zu glauben, dass jemand wirklich... ohne Hintergedanken interessiert sein kann."
„Das kann ich verstehen", sagte Nathan leise. „Es ist schwer, etwas anderes zu akzeptieren, wenn man nie etwas anderes erlebt hat."
Die Worte hingen für einen Moment zwischen ihnen. Ein Gespräch ohne Eile, ohne Erwartungen. Und trotzdem war es mehr als die meisten Gespräche, die Sami in seinem Leben geführt hatte.
Sie setzten sich schließlich auf eine Parkbank am Fluss. Das Wasser glitzerte in der Dämmerung. Sami spürte den Druck in seiner Brust. Die Wände, die er über die Jahre aufgebaut hatte, waren brüchig. Die Unsicherheit kehrte zurück, wenn er in der Nähe von Menschen war. Doch etwas an Nathans ruhiger Art ließ den Druck etwas nachlassen. Seine Geduld strahlte Ruhe aus.
„Es fällt mir schwer, mich einfach fallen zu lassen", gestand Sami schließlich. „Ich meine, du bist... du bist anders. Aber ich weiß nicht, wie lange das halten kann. Ich... ich habe das Gefühl, dass ich irgendwann wieder aufhören werde, dir zu vertrauen."
Nathan sah ihn an, und für einen Moment war alles still. Dann nickte er, als ob er etwas verstand, was nicht ausgesprochen wurde. „Ich erwarte nichts von dir, Sami", sagte er ruhig. „Es gibt keinen Zeitrahmen, keine Forderungen. Ich bin nicht hier, um dich zu heilen. Ich bin einfach hier, um dir zuzuhören. Wann immer du bereit bist, zu sprechen, werde ich da sein."
Die Einfachheit dieser Worte, ihre Ehrlichkeit, traf Sami tief. Es war keine leere Versprechung. Es war etwas, das ihn berührte, weil es genau das war, was er nicht erwartet hatte. Jemand, der sich nicht aufdrängte. Der ihn nicht ändern oder zwingen wollte. Jemand, der einfach nur da war.
„Ich weiß nicht, ob ich es kann", flüsterte Sami, mehr zu sich selbst als zu Nathan. „Es fühlt sich so schwer an, Vertrauen zu haben. So viel passiert ist."
„Ich weiß", antwortete Nathan leise. „Aber du musst es nicht auf einmal tun. Vielleicht sind wir alle auf der Suche nach einem kleinen Schritt nach dem anderen. Ein Schritt, der uns näher an das führt, was wir wirklich brauchen."
Sami spürte, wie sich etwas in ihm regte, eine leise, aber wachsende Erkenntnis. Es war schwer, die Mauern zu durchbrechen, die er über Jahre hinweg errichtet hatte. Doch irgendetwas in Nathans sanfter Art ließ ihn glauben, dass es möglich war, sich ein wenig zu öffnen.
„Vielleicht" murmelte Sami, „bin ich einfach nicht bereit, alles auf einmal zu sehen."
„Das ist in Ordnung", sagte Nathan mit einem Lächeln, das keine Eile kannte. „Es gibt keine Regeln, Sami. Nur Zeit. Deine Zeit."
Die Dunkelheit hatte den Park bedeckt und die ersten Sterne leuchteten. In diesem Moment fühlte sich Sami, zum ersten Mal seit langem, weniger verloren. Vielleicht gab es einen Weg, Vertrauen zu finden. Vielleicht konnte Nathan ihn zeigen.
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Whisper of the Scars
Romance⚠ Trigger Warnung ⚠ Diese Geschichte ist nichts für schwache Nerven. Sie entführt dich in die dunklen Abgründe der Seele, wo Schmerz, Sehnsucht und Angst ein gefährliches Spiel treiben. Inhalte, die dich triggern könnten: Tiefe emotionale Isolation...