Sami stand draußen auf der Straße, die kalte Luft brannte in seiner Kehle. Die Nacht war still, und nur das leise Rauschen von Autos in der Ferne war zu hören. Er spürte die Wut und Verzweiflung toben. Doch, ein anderes Gefühl breitete sich aus – Leere. Eine Leere, die er so gut kannte, die immer dann kam, wenn etwas ihm Nahestehendes zerbrach.
Er konnte die Szene immer wieder in seinem Kopf abspielen. Jedes Wort, das sie sich an den Kopf geworfen hatten. Nathan, der ihn wegstoßen wollte, warf ihm das immer wieder vor. In seiner Wut suchte er noch mehr Abstand. Sami wollte schreien, wollte weglaufen, aber er konnte sich nicht bewegen. Seine Füße waren wie festgefroren. Seine Gedanken jagten immer schneller und lauter durch seinen Kopf. Er verlor fast die Kontrolle.
Nach einigen Minuten nahm er tief Luft und zwang sich, sich zu beruhigen. Er musste nach Hause, irgendwohin, wo er nicht weiter in diesem Strudel gefangen war. Langsam setzte er sich in Bewegung. Die Straßen waren verlassen. Sein leises Schlurfen auf dem Pflaster war das Einzige, das die Stille störte. Als er in seinem Apartment ankam und die Tür schloss, schien das Dunkel des Zimmers ihn wie ein Mantel zu umhüllen. Die Einsamkeit traf ihn mit voller Wucht.
Sami sank auf sein Bett, starrte ins Nichts und spürte, wie der Schmerz sich in seiner Brust festsetzte. Er fühlte, Nathan unwiderruflich verloren zu haben. Oder, dass Nathan ihn verloren hatte. Nur ein Schatten blieb von dem, was hätte sein können.
„Warum mache ich immer alles kaputt?", flüsterte er ins Leere, seine Stimme war kaum mehr als ein Hauch. Er wusste nicht, wie viel Zeit verging. Nur, dass der Schmerz in ihm immer größer wurde. Die Erinnerungen an die schönen Momente mit Nathan klangen in seinem Kopf wie eine bittersüße Melodie. Ein Teil von ihm wollte zu Nathan gehen. Er wollte sich entschuldigen und sagen, dass er Angst hatte. Vor allem, vor sich selbst, vor dem Verlassenwerden, vor der Enttäuschung. Aber der andere Teil, der in ihm lauter schrie, warf ihm vor, dass es ohnehin keinen Sinn hatte. Dass es immer so endete, mit Schmerz und Enttäuschung.
Er zog die Knie an die Brust, legte die Arme um sich und spürte, wie die Tränen ihm heiß über das Gesicht liefen. Die Kälte des Raumes kroch in ihm hoch. Er fühlte sich, als wäre er in der Vergangenheit gefangen. Es war die Zeit, als alle ihn verlassen hatten, nachdem er sich ihnen geöffnet hatte.
Der Gedanke an Nathan ließ seinen Brustkorb sich schmerzhaft zusammenziehen. Er wusste, dass Nathan ihm eine Chance gegeben hatte, dass er wirklich für ihn da sein wollte. Aber seine Zweifel, seine Angst hatten ihn dazu gebracht, das Vertrauen zu zerstören. Wieder.
Stunden vergingen. Sami drehte sich erschöpft und leer auf die Seite. Seine Augen waren schwer vor Müdigkeit und doch unruhig. Er wusste nicht, wie lange er so dalag. Irgendwann fand er den Mut, sein Handy zu nehmen und auf den Kontakt zu starren, der Nathan hieß. Sein Daumen schwebte über dem Nachrichtenfeld. Er wollte etwas schreiben. Irgendetwas, um sich zu erklären. Um Nathan zu sagen, dass es ihm leidtat. Aber er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Also schrieb er nur ein einziges Wort:
„Entschuldigung."
Er legte das Handy zur Seite und schloss die Augen. Der Schlaf wollte nicht kommen. Immer wieder sah er auf den leuchtenden Bildschirm. Er hoffte, dass Nathan antworten würde. Doch der Bildschirm blieb still. Nur das leise Ticken der Uhr durchbrach die Dunkelheit.
Am nächsten Morgen fühlte sich Sami wie betäubt. Er hatte kaum geschlafen, und sein Kopf war schwer und schmerzhaft leer. Die Erinnerung an die letzte Nacht war wie eine bleierne Last, die auf ihm lag. Trotzdem zwang er sich, aufzustehen und seinen Tag zu beginnen. Die Routine, die er so lange verachtet hatte, schien ihm jetzt wie ein rettender Anker.
Im Café ging alles seinen gewohnten Gang. Doch, jede Bewegung, jedes Wort, das er mit Kunden sprach, fühlte sich mechanisch an. Es war, als wäre ein Teil von ihm nicht wirklich anwesend, als wäre er nur noch eine Hülle, die ihre Aufgaben abarbeitete.
Immer wieder wanderte sein Blick auf sein Handy, aber Nathans Nachricht blieb aus. Eine leise, zermürbende Enttäuschung breitete sich in ihm aus, doch er wusste, dass es seine eigene Schuld war. Nathan hatte genug getan, um ihm zu zeigen, dass er bleiben wollte. Sami hatte ihm nur gezeigt, dass er nicht bereit war, zu vertrauen.
Nach seiner Schicht verließ er das Café. Er ging ziellos durch die Straßen. Er verlor sich in den Lichtern der Stadt und der Kälte des Abends. Er wusste nicht, wohin er ging, nur dass er nicht nach Hause wollte. Er ging zum Fluss. Dort spiegelten sich die Lichter im Wasser. Sie strahlten eine seltsame Ruhe aus.
Er blieb stehen und starrte ins Wasser. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Doch sie jagten ihn, ließen ihn nicht los. Er wollte Nathan sehen, mit ihm reden, doch der Zweifel hielt ihn zurück. Was, wenn Nathan ihn nicht mehr sehen wollte? Was, wenn das zwischen ihnen unwiderruflich zerstört war?
Mit schwerem Herzen drehte er sich schließlich um und begann, nach Hause zu gehen. Die Nacht war finster, und die Stille um ihn herum drückte schwer auf seine Schultern.
Doch dann, als er um die Ecke seines Apartmenthauses bog, erstarrte er. Da, vor der Eingangstür, stand Nathan. Sein Blick war ernst, seine Hände in die Taschen seines Mantels vergraben. Sami spürte, wie sein Herz schneller schlug, wie eine Mischung aus Hoffnung und Angst in ihm aufstieg.
„Nathan...", begann er, doch seine Stimme versagte.
Nathan sah ihn lange an, sein Blick durchdringend und unergründlich. Dann sprach er, ruhig und leise. „Sami, ich weiß nicht, wie oft ich noch versuchen kann, dir zu zeigen, dass ich es ernst meine. Ich habe dir gesagt, dass ich hier bin, und trotzdem schiebst du mich weg."
Sami senkte den Blick, die Scham brannte in ihm. „Ich... ich weiß nicht, was mit mir los ist, Nathan. Ich habe Angst. Angst, dass alles wieder kaputtgeht. Dass ich dich enttäusche."
Nathan trat einen Schritt näher, seine Stimme war fest, aber auch sanft. „Sami, ich bin nicht hier, weil ich von dir Perfektion erwarte. Ich bin hier, weil ich dich mag, genau so, wie du bist. Aber ich kann nicht ewig auf dich warten. "Du musst irgendwann entscheiden, ob du bereit bist, jemandem zu vertrauen."
Sami spürte, wie seine Augen brannten. Er wusste, dass Nathan recht hatte, und doch fühlte sich die Angst so überwältigend an, dass sie ihn lähmte. Doch als er in Nathans Augen sah, erkannte er die Enttäuschung und Traurigkeit in ihm. Die hatte er verursacht.
„Nathan... es tut mir leid. Ich... ich weiß nicht, wie ich das ändern soll. "Aber ich will es versuchen." Seine Stimme zitterte. Er wusste, es war das Ehrlichste, was er je gesagt hatte.
Nathan sah ihn einen Moment schweigend an, dann nickte er langsam. „Das ist alles, was ich verlange, Sami. Ein Versuch. Aber diesmal ernsthaft."
Sami schluckte schwer, aber er spürte, wie eine kleine, zaghafte Hoffnung in ihm aufkeimte. Vielleicht war es nicht zu spät. Vielleicht gab es eine Chance für sie beide.
Ohne ein weiteres Wort trat Nathan näher und zog Sami in eine Umarmung. Sami spürte die Wärme, die Vertrautheit. Sie bedeuteten ihm viel. Er schloss die Augen und ließ sich in diese Nähe fallen, ohne sie abzulehnen.
Die Dunkelheit der Nacht umhüllte sie. Doch, alles andere schien jetzt bedeutungslos.
DU LIEST GERADE
Whisper of the Scars
Romance⚠ Trigger Warnung ⚠ Diese Geschichte ist nichts für schwache Nerven. Sie entführt dich in die dunklen Abgründe der Seele, wo Schmerz, Sehnsucht und Angst ein gefährliches Spiel treiben. Inhalte, die dich triggern könnten: Tiefe emotionale Isolation...