Kapitel 6

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Der Kuss endete nicht mit dem sanften, erwartungsvollen Moment, den Sami erhofft hatte. Stattdessen entstand eine seltsame Stille zwischen ihnen, als sie sich voneinander lösten. Sami spürte, wie der vertraute Druck in seiner Brust wieder anstieg, wie der Raum um sie herum wieder zu eng wurde. Die Wärme, die er gerade noch gespürt hatte, schien zu verfliegen. Ein kaltes, scharfes Gefühl breitete sich in ihm aus. Es war die Angst vor der Nähe, dem Verlust, und dem Schmerz, der ihm so oft bevorstand.

Er stand schnell auf, ohne nachzudenken. Dann drehte er sich ab, die Hände zitterten leicht. Die Stille zwischen ihnen wurde schwer und drückend. Als er sich umdrehte, sah er das Besorgte in Nathans Blick. Das unsichere Warten ließ ihn glauben, Sami würde jeden Moment weglaufen.

„Ich kann das nicht", sagte Sami leise, seine Stimme klang brüchig, als er den Blick abwandte. „Ich... ich dachte, ich könnte es, aber ich kann es einfach nicht."

Nathan stand ebenfalls auf, aber er machte keinen Schritt näher zu ihm. „Was meinst du? Was kannst du nicht, Sami?"

„Ich kann mich nicht einfach auf dich einlassen", sagte Sami. Seine Stimme war fester, als er erwartet hatte. „Ich habe immer das Gefühl, dass ich alles verliere, sobald ich einem anderen Menschen vertraue. Ich kann nicht glauben, dass du wirklich hier bist, dass du wirklich... bleibst. Ich habe immer das Gefühl, dass du irgendwann wieder gehen wirst."

„Sami", sagte Nathan ruhig, doch etwas in seiner Stimme klang angespannt. „Ich habe dir nichts versprochen. Ich bin nicht hier, um dich zu retten, aber ich bin hier, weil ich dich mag. Weil ich an dich glaube. "Ich will dir keinen Schmerz zufügen. Aber, wenn du ständig davon ausgehst, dass es passiert, wird es irgendwann so kommen."

Sami hörte, wie seine eigenen Worte wie ein schwerer Vorwurf in der Luft hingen. "Du sagst das so leicht", erwiderte er. Die Vorsicht von vorhin war weg. „Du kannst einfach an mich glauben, weil du nicht weißt, wie es sich anfühlt, immer wieder enttäuscht zu werden. Du kennst den Schmerz nicht. Er kommt, wenn du dich öffnest und dann allein dastehst. Wenn du dich selbst dabei verlierst."

„Sami, ich will dir doch nicht wehtun", sagte Nathan. Sein Ton klang nun angespannt. Das geduldige, fast zu sanfte Wesen von vorhin schien zu verblassen. „Aber du lässt mich keine andere Wahl. Du stellst dich selbst in den Weg. Du bist so mit deinen Ängsten beschäftigt, dass du gar nicht siehst, was hier zwischen uns ist."

„Du weißt nicht, wovon du redest", schnappte Sami zurück. „Du denkst, du kannst mich einfach heilen. Ein paar nette Worte werden alles richten." Aber du verstehst nicht, was für ein Chaos in mir ist. Du bist ein erfolgreicher Schriftsteller, du hast alles, du kannst dir alles aussuchen. Und ich bin... ich bin einfach kaputt, Nathan. Ich bin nicht die Person, die du denkst, dass ich sein könnte."

Nathan starrte ihn an. Seine Miene verhärtete sich. Dann sank er zusammen, als ob ein Teil von ihm die Härte von Samis Worten bereits gespürt hatte. „Und was soll das heißen, Sami? Dass du es nicht verdienst, geliebt zu werden? Dass du die Nähe von anderen Menschen nicht verdienst?"

Sami ballte die Fäuste, zitterte leicht. „Ja, vielleicht. Vielleicht habe ich es nicht verdient. Vielleicht ist es besser, wenn ich allein bin, so wie immer. Denn am Ende wirst du sowieso nur enttäuscht von mir sein. Ich kann mich nicht ändern, Nathan. Das bin ich. Und das wird nie anders sein."

Es war, als würde Nathan von den Worten getroffen, als würde er selbst einen Schlag spüren. Samis Stimme war voller Enttäuschung, Wut und Schmerz. Es war so laut, dass er die letzten Fetzen einer zerbrochenen Beziehung in der Luft zu sehen glaubte. Etwas war zerbrochen, aber er konnte es nicht ganz fassen, nicht begreifen.

„Sami, du übertreibst", sagte Nathan, jetzt leiser, aber scharf. „Ich habe dir doch gerade gesagt, dass ich hier bin, um dir zu helfen. Dass ich nicht zurückweiche. Aber du schubst mich weg, immer wieder. Ich habe dir kein Bild von dir gegeben, dass du nicht bist. Ich habe dir nicht versprochen, dass alles perfekt wird. Aber ich habe dir gesagt, dass ich hier bin. Dass ich dir helfen will, mit dem Schmerz umzugehen. Und du wehrst dich dagegen, wie ein kleines Kind, das nicht zugeben will, dass es doch ein Stück Vertrauen braucht."

Sami starrte ihn an, die Worte trafen ihn wie ein Schlag, und doch war da etwas in ihm, das gegen die Wut ankämpfte. Etwas, das sich nach der Nähe von Nathan sehnte, dass sich nach Verständnis und Berührung streckte. Doch der Zweifel war stärker. Er konnte nicht zulassen, dass er noch einmal auf jemanden setzte, der ihn enttäuschen würde.

„Vielleicht will ich das nicht", murmelte Sami, fast schon zu sich selbst. „Vielleicht will ich nicht mehr hoffen, dass es jemanden gibt, der mich versteht. Vielleicht ist es besser so."

Nathan trat einen Schritt zurück, seine Augen füllten sich mit etwas, das fast wie Traurigkeit wirkte. „Du verstehst nicht, Sami. Es geht nicht darum, dass du perfekt sein musst. Es geht darum, dass du es versuchst. Aber du schiebst mich immer weiter weg. Du baust Mauern um dich, so dick und hoch, dass du irgendwann gar nicht mehr erkennst, wer du wirklich bist."

Sami fühlte die Anklage in seinen Worten. „Ich kann nicht anders", flüsterte er, die Stimme zerbrochen. „Ich weiß nicht, wie man mit jemandem wie dir zusammen ist. Du bist so sicher, so... ich weiß nicht, was du von mir erwartest. Ich habe Angst, dass ich dir alles zerstöre."

„Du zerstörst nichts, Sami. "Du zerstörst nur dich selbst, wenn du diese Mauern weiterbaust." Nathan seufzte. In seinen Augen lag nun Enttäuschung und Sorge. „Aber ich kann nicht tun, was du nicht willst. Ich kann dir nicht helfen, wenn du dich nicht öffnen kannst."

Für einen Moment herrschte tiefe Stille. Sami sah auf den Boden. Ein Sturm aus Wut, Angst und Enttäuschung tobte in ihm. Dann hob er den Kopf und sah Nathan an.

"Vielleicht solltest du gehen", sagte er leise. Die Bitterkeit in seinen Worten traf ihn selbst. „Vielleicht ist es besser, wenn du einfach gehst."

Nathan zögerte einen Moment, und die Enttäuschung in seinen Augen war unverkennbar. Doch schließlich nickte er, langsam. Es war, als verstünde er den Schmerz, der so tief in Sami verwurzelt war, dass er ihn nicht mehr erreichen konnte.

„Ich werde gehen", sagte Nathan. Seine Stimme war ruhig. Doch, die Traurigkeit in ihm war nicht zu übersehen. „Aber du musst wissen, dass du nicht allein bist. Du bist es nie gewesen."

Sami sah ihm nach, als er sich langsam abwandte und durch die Tür ging. Die Stille erfüllte den Raum. Ein unbenennbares Gefühl blieb zurück. Es war ein stechender Schmerz und ein leises Verlangen, das in ihm brannte.

Whisper of the ScarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt