Kapitel 7

11 6 0
                                    

Als die Tür hinter Nathan ins Schloss fiel, fühlte Sami ein tiefes, beklemmendes Gefühl in seiner Brust. Die Luft war schwer, drückend, und die Stille in dem kleinen Café schien alles zu verschlucken, was in ihm schrie. Die Worte, die Blicke – alles hallte in ihm wider, als wäre es in die Wände eingraviert, unauslöschlich.

Er hätte ihn aufhalten können. Hätte ein Einfaches „Bleib" sagen können, und Nathan wäre geblieben. Aber er hatte nichts gesagt. Er hatte nur dagestanden, die Fäuste geballt. Die Wut und der Schmerz frassen ihn auf. Bis er den bitteren Geschmack der Enttäuschung fast körperlich spüren konnte.

Sami blieb noch lange an diesem Abend im Café. Er saß allein am Fenster, das Gesicht ins Dunkel gewandt. Er sah die regennassen Straßen, die schimmernden Lichter, die vorbeigehenden Menschen. Sie waren frei, sorglos, ohne die Last auf seinen Schultern.

Die folgenden Tage waren quälend ruhig. Nathan kam nicht mehr ins Café. Keine zufälligen Begegnungen, keine vorsichtigen Gespräche. Es war, als wäre er verschwunden, und ein Teil von Sami schmerzte bei dem Gedanken. Er hatte Nathan von sich gestoßen, wie so viele andere zuvor, und nun spürte er die Kälte, die zurückblieb, wenn jemand ging.

Jeden Abend, wenn er das Café abschloss, spürte Sami eine Leere, die er nicht in Worte fassen konnte. Er vergrub sich in Routinen. Er wollte die Unruhe in ihm betäuben. Doch sie kam immer wieder, wie eine nie heilende Wunde.

Sein Handy lag griffbereit neben ihm. Er starrte immer wieder auf das Display, in der Hoffnung auf eine Nachricht von Nathan. Doch das Display blieb dunkel, und das Schweigen fühlte sich wie ein Urteil an.

Eines Abends, als er das Café zusperrte, peitschte der kalte Wind ihm entgegen. Da stand plötzlich Nathan vor ihm. Er war blass, die Augen dunkel und ernst, und Sami spürte, wie sein Herz schneller schlug, als ihre Blicke sich trafen. Für einen Moment waren all die unausgesprochenen Worte und Gefühle ein Band, das sie umschloss.

„Nathan..." begann Sami, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken.

Nathan schwieg einen Moment und sah ihn nur an, bevor er leise sagte: „Warum hast du mich von dir gestoßen, Sami? Warum lässt du mich nicht an dich heran?"

Sami suchte nach Worten, aber alles, was ihm in den Sinn kam, fühlte sich falsch an. Schließlich senkte er den Blick und flüsterte: „, Weil ich Angst habe, dich zu enttäuschen. Weil ich nicht weiß, wie man das macht... jemanden nah an sich heranlässt."

„Sami, das weißt du doch gar nicht", sagte Nathan sanft, aber mit einer Spur von Enttäuschung in der Stimme. „Du gibst dir selbst gar keine Chance. Du lässt mich nicht einmal versuchen, da für dich zu sein."

Sami fühlte, wie die Tränen in seine Augen stiegen. Er zwang sich, stark zu bleiben und seine Fassade aufrechtzuerhalten. „Vielleicht... vielleicht wäre es einfacher, wenn du mich einfach vergessen würdest. Wenn du mich nicht sehen würdest, so wie ich bin. Kaputt und voller Narben. Du verdienst etwas Besseres."

Nathan schüttelte langsam den Kopf. „Das ist deine Angst, nicht meine, Sami. Ich sehe dich, so wie du bist – mit allem, was du in dir trägst, und ich gehe nicht weg. Es ist deine Entscheidung, ob du mich weiter fernhalten willst. Aber du solltest wissen, dass das nicht daran liegt, dass du mir nicht genug bist. Es liegt daran, dass du dich selbst nicht für genug hältst."

Die Worte trafen Sami, scharf und tief. Die Wahrheit darin war so klar, so schonungslos, dass es wehtat. Er fühlte, wie seine eigene Fassade bröckelte, wie die Mauern, die er um sich gebaut hatte, zu schwanken begannen. Der Gedanke, dass jemand bleiben wollte, war fast zu viel. Trotz allem, trotz seiner Fehler, trotz der Dunkelheit in ihm.

Er sah Nathan an, die Augen glasig, und sagte leise: „Ich weiß nicht, ob ich das kann, Nathan. Ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, um das zuzulassen."

Nathan trat näher, seine Stimme warm und ruhig. „Du musst nicht perfekt sein, Sami. Niemand erwartet das von dir. Aber wenn du immer davonläufst, wirst du nie herausfinden, was möglich ist."

Für einen Moment waren sie beide still. Sami spürte nur den Druck in seiner Brust, das stille Verlangen in ihm. Er wollte glauben, dass er es schaffen könnte. Doch die Zweifel, die Angst, die Unsicherheiten flüsterten ihm ins Ohr: Er war nicht genug, er verdiente es nicht.

Und dann, ohne weiter darüber nachzudenken, flüsterte er: „Ich will es versuchen, Nathan... aber ich habe Angst."

Nathan lächelte sanft. In seinen Augen funkelte es. Es war so tief und ehrlich, dass Sami das Gefühl hatte, er könnte darin versinken. „Es ist in Ordnung, Angst zu haben. Ich bin auch nicht perfekt. Aber wir können es zusammen versuchen, Schritt für Schritt."

Nathan streckte die Hand aus, vorsichtig, als wollte er Sami nicht bedrängen. Sami zögerte nur einen Moment, bevor er sie nahm. Ihre Hände verschränkten sich. Sami spürte eine beruhigende Wärme in ihm. Ein leises Versprechen lag wie ein schützender Mantel um ihn.

In diesem Moment verstand Sami, dass er keine Antworten brauchte. Gewissheit war nicht nötig. Alles, was zählte, war, dass er einen Schritt nach dem anderen ging. Er erlaubte sich, einen Weg zu finden – nicht allein, sondern mit jemandem an seiner Seite.

Whisper of the ScarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt