Sami stand reglos vor dem Fenster, die Wärme von Nathans Umarmung noch immer auf seiner Haut. Der Morgen war still, nur das leise Summen der Stadt drang durch die Glasscheiben. Doch diese Ruhe hielt nicht lange.„Was ist das?" fragte Sami, als er den Umschlag auf dem Küchentresen bemerkte. Seine Stimme war leise, aber angespannt.
Nathan zuckte leicht zusammen, als hätte er vergessen, dass der Umschlag dort lag. „Das? Nichts Wichtiges." Er griff danach, doch Sami war schneller und hielt ihn fest.
„Nichts Wichtiges?" Sami öffnete den Umschlag und zog ein Dokument hervor – ein unterschriftsreifer Vertrag für eine Buchveröffentlichung. Nathans Name prangte darauf.
„Warum hast du mir nichts gesagt?" Samis Stimme zitterte, nicht vor Wut, sondern vor einer tiefergehenden Enttäuschung.
Nathan fuhr sich mit der Hand durchs Haar, sein Blick hart und abweisend. „Weil es nichts zur Sache tut. Es ist nur Arbeit."
„Nur Arbeit?" Sami legte die Papiere auf den Tresen, sein Blick scharf. „Alles, was du tust, beeinflusst uns beide, Nathan. Ich bin nicht nur eine Option, die du im Hintergrund hältst."
Nathan sah ihn einen Moment lang an, seine Augen kühl. „Vielleicht liegt das Problem darin, dass du immer glaubst, ich halte dich zurück. Vielleicht bist du derjenige, der nie wirklich in der Gegenwart lebt."
Die Diskussion kochte weiter, bis sie sich draußen wiederfanden, der Regen prasselte kalt auf Samis Haut. Die Dunkelheit der Nacht wurde von Blitzen zerrissen, die Straße glänzte nass unter den schwachen Lichtern der Laternen.
Nathan stand vor ihm, sein Gesicht verzerrt vor Wut und Enttäuschung. „Was willst du wirklich, Sami?" rief er, die Stimme laut genug, um das Dröhnen des Regens zu übertönen.
Sami ballte die Fäuste, seine Worte brachen heraus wie ein Dammbruch. „Ich will, dass du mich einbeziehst! Dass ich nicht ständig fühlen muss, als wäre ich derjenige, der um dich kämpfen muss, während du alles Wichtige vor mir versteckst!"
Nathan verzog das Gesicht, seine Stimme schnitt durch die Dunkelheit. „Du kämpfst um mich? Wirklich? Sami, das Einzige, was du tust, ist, mich auf Abstand zu halten! Und dann beschwerst du dich, wenn ich nicht mehr versuche, näher zu kommen."
Der Regen prasselte weiter, zog kalte Linien über ihre Gesichter. Blitze zuckten am Horizont und ließen die Spannung zwischen ihnen noch greifbarer erscheinen. Sami spürte, wie seine Kehle sich zuschnürte, doch er weigerte sich, zurückzuweichen.
„Ich halte dich nicht auf Abstand," schrie er, doch seine Stimme brach. „Ich weiß nur nicht, wie ich... wie ich das alles richtig machen soll."
Nathan atmete schwer, drehte sich plötzlich um und wandte Sami den Rücken zu. Er blieb stehen, das Wasser rann über seinen Mantel, doch er drehte sich nicht wieder zu ihm um.
„Wenn du immer nur wegläufst," rief Nathan mit einer Stimme, die vor Kälte und Schmerz zitterte, „dann mach das jetzt auch!"
Sami spürte, wie die Worte ihn durchbohrten. Es war nicht nur die Härte darin – es war die Enttäuschung. Die letzte Barriere, die fiel. Nathan ging, seine Schritte klangen dumpf auf dem nassen Asphalt, bis er in der Dunkelheit verschwand.
„Du bist derjenige, der gerade wegläuft, nicht ich!" schrie Sami hinterher, seine Stimme hallte durch die regennasse Straße. Doch Nathan blieb verschwunden.
Sami blieb zurück, durchnässt und zitternd. Der Regen schien seine Haut zu durchbohren, die Kälte drang bis in sein Innerstes. Die Tränen, die über seine Wangen liefen, vermischten sich mit dem Regen, und er stand da, regungslos, während der Sturm um ihn herumtobte.
Die Worte hallten in ihm nach – Nathans Stimme, die Härte, die Verletzung. Zum ersten Mal fühlte Sami, wie sein eigener Stolz und seine Angst ihn zurückgehalten hatten, wie sie Nathan immer weiter von ihm entfernt hatten. Er hatte nicht weggelaufen wollen – doch hatte er es nicht schon die ganze Zeit getan?
Er atmete tief durch, wischte sich über das Gesicht, doch es half nichts. Die Kälte in ihm blieb.
Es vergingen Minuten oder Stunden – Sami konnte es nicht sagen. Irgendwann trugen ihn seine Füße zurück zu Nathans Wohnung. Er hatte keinen Schlüssel, aber die Tür war nicht abgeschlossen. Das leise Knarzen des Holzes war das Einzige, was die Stille durchbrach, als er eintrat.
„Nathan?" rief er, seine Stimme war heiser, brüchig. Doch keine Antwort kam.
Er durchquerte den Flur, vorbei an den Büchern, die ordentlich gestapelt auf dem Regal standen, und öffnete schließlich die Tür zum Wohnzimmer. Dort fand er Nathan – regungslos auf der Couch liegend, die Augen geschlossen, das Gesicht entspannt, als würde er schlafen.
„Nathan!" rief Sami, sein Herz setzte einen Schlag aus. Er eilte zu ihm, schüttelte seine Schulter.
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Whisper of the Scars
Romance⚠ Trigger Warnung ⚠ Diese Geschichte ist nichts für schwache Nerven. Sie entführt dich in die dunklen Abgründe der Seele, wo Schmerz, Sehnsucht und Angst ein gefährliches Spiel treiben. Inhalte, die dich triggern könnten: Tiefe emotionale Isolation...