Kapitel 24

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Sami und Nathan hatten den unausgesprochenen Pakt zwischen ihnen akzeptiert. Es war kein Versprechen der Unverwüstlichkeit – nur eine schlichte Übereinkunft, es zu versuchen. In den folgenden Tagen schien sich eine leise Veränderung in ihrem Umgang miteinander einzuschleichen. Sami bemerkte, dass Nathan sich mehr bemühte, kleine Gesten der Nähe zuließ, ohne sofort wieder in sich zurückzuziehen.

Einige Wochen vergingen in dieser vorsichtigen Annäherung, die immer wieder von Rückschlägen und stillen Momenten geprägt war. Doch es war, als wäre ein neues Verständnis zwischen ihnen gewachsen, das selbst in den schwierigen Augenblicken Bestand hatte.

An einem kühlen Nachmittag schlug Nathan vor, gemeinsam in ein kleines Restaurant am Rande der Stadt zu gehen, von dem er Sami schon länger erzählen wollte. „Es ist ein besonderer Ort für mich," sagte Nathan, als sie ankamen. „Ein Ort, der mich beruhigt."

Sami betrachtete ihn neugierig, als sie sich an einen kleinen Tisch setzten, der eine Aussicht auf den leise plätschernden Fluss bot. Die Atmosphäre war entspannt und fast schon idyllisch, und für einen Moment wirkte Nathan so friedlich, dass Sami sich wünschte, er könnte diesen Ausdruck für immer in seinem Gesicht sehen.

Als die Kellnerin ihre Bestellung brachte, lehnte sich Nathan vor. „Ich wollte dir diesen Ort zeigen, weil... weil ich mich hier oft an einem Punkt meines Lebens wiederfand, an dem ich nicht weiterwusste."

Sami legte sein Besteck zur Seite und sah Nathan aufmerksam an. „Und jetzt? Weißt du, wohin du willst?"

Nathan schüttelte den Kopf, aber ein leichtes Lächeln spielte um seine Lippen. „Ich glaube, ich lerne es. Vielleicht ist das genug." Er hielt inne und sah Sami an, ernst und gleichzeitig voller Zuneigung. „Danke, dass du mich daran erinnerst."

Sami griff nach Nathans Hand und hielt sie fest. „Wir müssen uns nicht immer sicher sein," sagte er leise. „Manchmal reicht es, einfach nur da zu sein."

Nathan nickte, und in seinem Blick lag ein tiefer Friede, der Sami spüren ließ, dass sie hier an diesem Tisch mehr als nur eine Mahlzeit teilten. Sie teilten ein stilles Versprechen, den Weg zusammenzugehen – Schritt für Schritt, ohne Eile.

Nach dem Abendessen schlenderten sie am Fluss entlang, die Hände tief in die Taschen vergraben, eng nebeneinander. Die kalte Nachtluft wehte durch die Bäume, und die Laternen warfen lange, weiche Schatten auf den Boden. Sie sprachen über Bücher, über Filme, und Sami bemerkte, wie Nathan sich immer weiter öffnete.

„Ich hatte schon Angst, dass du ganz gehen würdest," sagte Sami schließlich, als sie stehen blieben und in die Dunkelheit hinausschauten. Die Worte kamen leise, als ob sie sich in der Luft auflösen könnten.

Nathan sah ihn an. „Es war knapp, das weiß ich. Aber jetzt... jetzt will ich bleiben."

Sami schloss die Augen und spürte eine Welle der Erleichterung durch sich hindurchgehen. Die nächsten Minuten vergingen in Schweigen. Es war ein stiller, vertrauter Moment, der keine Worte brauchte.

Die Wochen verstrichen, und obwohl nicht jeder Tag einfach war, fanden sie beide eine neue Beständigkeit. Sie gaben sich Mühe, suchten nach Wegen, die Verletzlichkeiten des anderen zu akzeptieren, ohne Druck, ohne zu viele Worte.

Doch es gab auch Tage, an denen die Zweifel zurückkamen. Eines Abends, als Nathan von der Arbeit kam, spürte Sami sofort die Spannung in seinem Gesicht. Nathan war stiller als sonst, und etwas in seiner Haltung verriet Sami, dass ihn etwas belastete.

„Was ist los?" fragte Sami vorsichtig, als Nathan die Tür hinter sich schloss.

Nathan schüttelte den Kopf, setzte sich und rieb sich die Stirn. „Ich weiß nicht. Es war einfach ein harter Tag."

Sami setzte sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Du kannst mit mir reden, Nathan."

Doch Nathan sah ihn nur flüchtig an, bevor er sich abwandte. „Es sind nur... viele Gedanken."

Sami spürte die Distanz, die sich langsam wieder zwischen ihnen aufzubauen schien. Doch diesmal entschied er sich, nicht in den Rückzug zu gehen. Stattdessen rückte er näher und griff nach Nathans Hand. „Dann lass uns gemeinsam durch die Gedanken gehen."

Nathan zögerte, sah ihm dann aber in die Augen und nickte schließlich. „Vielleicht... vielleicht ist das der Weg." Er legte seine Hand auf Samis und drückte sie, die Vertrautheit zwischen ihnen schien für einen Moment alles zu überbrücken.

Ein paar Tage später, als Sami von der Arbeit nach Hause kam, fand er einen Brief von Nathan auf dem Tisch. Zögernd nahm er ihn in die Hand und setzte sich. Die Worte waren kurz, aber kraftvoll.

„Sami, ich wollte dir nur sagen, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich das Gefühl habe, jemanden gefunden zu haben, bei dem ich mich nicht verstecken muss. Es wird Tage geben, an denen die Zweifel zurückkommen – aber du bist der Grund, warum ich bleiben will. Nathan."

Sami legte den Brief vorsichtig beiseite und spürte, wie ein tiefes Gefühl von Ruhe ihn erfüllte. Für das erste Mal seit langer Zeit fühlte er sich gesehen und akzeptiert.

Als Nathan an diesem Abend nach Hause kam, sagte Sami kein Wort. Stattdessen nahm er Nathans Hand und zog ihn an sich. Sie standen im stillen Raum, die Hände fest ineinander verschlungen, die Worte nicht mehr nötig.

In den darauffolgenden Wochen und Monaten verfestigte sich die Nähe zwischen ihnen, getragen von den leisen Momenten und den ungesagten Versprechen.

Whisper of the ScarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt