Kapitel 21

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Sami saß auf dem Sofa und beobachtete Nathan, der sich mit einer Tasse Tee ans Fenster lehnte. Die Dunkelheit draußen schien sich in seinen Augen zu spiegeln. Sami wusste, dass da etwas war, etwas, das Nathan bedrückte. Doch jeder Versuch, eine Frage zu formulieren, blieb stecken. Die Stille zwischen ihnen fühlte sich schwer an.

„Ist alles in Ordnung?" Die Frage entkam ihm schließlich, leise und zögernd.

Nathan wandte ihm den Blick zu und lächelte schwach. „Ja... es ist nur... viel im Moment. Viel Druck." Er ließ den Blick wieder nach draußen gleiten.

Sami wusste, dass das nicht die ganze Wahrheit war, aber er entschied, nicht weiter nachzufragen. Stattdessen ließ er Nathan den Raum, den er offenbar brauchte.

Ein paar Minuten verstrichen, in denen sie beide in Gedanken versunken blieben. Schließlich war es Nathan, der die Stille brach: „Weißt du, Sami... manchmal frage ich mich, ob ich dem gerecht werde, was die Menschen in mir sehen. Sie sehen einen erfolgreichen Schriftsteller, jemanden, der all das geschafft hat, und doch..."

„...fühlst du dich manchmal wie ein Betrüger," vollendete Sami den Satz. Es war ein Gefühl, das er nur allzu gut kannte.

Nathan nickte und lächelte gequält. „Vielleicht." Er setzte sich zu Sami und sah ihm in die Augen. „Du verstehst das, oder? Dieses ständige Gefühl, nicht genug zu sein."

„Ja," antwortete Sami leise. „Aber ich denke, es hilft nicht, wenn man sich ständig selbst in Frage stellt." Er griff nach Nathans Hand. „Vielleicht müssen wir lernen, einfach da zu sein. Im Moment, wie du immer sagst."

Nathan drückte seine Hand, und ein Funken Wärme kehrte in seine Augen zurück. „Du hast recht." Dann fügte er hinzu: „Vielleicht ist das etwas, was wir gemeinsam lernen können."

Der Abend verging langsam, und sie sprachen über das kommende Wochenende, über ihre Pläne und über Kleinigkeiten. Sami fühlte sich leichter, als hätten sie einen stillen Pakt geschlossen, die Lasten der Vergangenheit zumindest für heute beiseitezulassen.

Am nächsten Morgen erwachte Sami allein im Bett. Ein Zettel auf dem Nachttisch ließ ihn schmunzeln: „Bin im Café. Treff mich später dort? N."

Er schlüpfte in seine Jacke und machte sich auf den Weg. Als er das Café betrat, bemerkte er, dass Nathan am Fenster saß und vertieft in ein Buch war. Das vertraute Bild von Nathan brachte ein Lächeln auf Samis Gesicht. Er setzte sich ihm gegenüber, und für einen Augenblick blieben sie einfach schweigend sitzen, ohne Worte.

„Danke, dass du heute Morgen gekommen bist," sagte Nathan schließlich. „Manchmal brauche ich diese stillen Momente, um mich selbst wiederzufinden."

Sami nickte. „Ich verstehe. Vielleicht sollten wir mehr von diesen Momenten haben."

Die beiden schwiegen eine Weile, dann begann Sami, von seiner Kindheit zu erzählen – von einem warmen Sommertag, an dem er zum ersten Mal das Gefühl hatte, frei zu sein, weit weg von den Erwartungen seiner Familie. Nathan hörte zu, seine Augen ruhten ruhig auf ihm, und Sami merkte, dass er zum ersten Mal das Bedürfnis verspürte, sich wirklich zu öffnen.

Whisper of the ScarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt