Kapitel 29

8 6 0
                                    

Nathan hielt inne, dann nickte er langsam. „Dann lass es mich auch spüren."

Sami öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Nathan hob die Hand, hielt ihn mit einem ruhigen, entschlossenen Blick auf. „Nicht jetzt. Zeig es mir, Sami. Mit Taten, nicht Worten."

Sami spürte, wie sich die Luft im Raum veränderte. Der Moment war nicht länger von Unsicherheit geprägt, sondern von einer fordernden Klarheit, die ihn gleichzeitig erschreckte und anzog. Nathan war ruhig, aber die Entschlossenheit in seinen Augen machte klar, dass dies kein weiteres Hin und Her sein würde.

„Gut," sagte Sami schließlich. Seine Stimme war fest, auch wenn sein Herz schneller schlug. „Aber das gilt auch für dich. Ich will, dass du ehrlich bist, Nathan. Keine Geheimnisse."

Ein Hauch eines Lächelns zog über Nathans Gesicht. „Abgemacht."

Noch am selben Abend saßen sie in Nathans Auto, diesmal auf dem Weg zu einer Lesung, die Nathan kurzfristig zugesagt hatte. Sami hatte protestiert, aber Nathan war nicht bereit gewesen, ihn allein zu lassen. „Es wird dir guttun, dich unter Menschen zu mischen," hatte er gesagt.

„Oder ich bekomme eine Panikattacke," hatte Sami trocken erwidert.

„Dann bin ich da," hatte Nathan entgegnet, ohne zu zögern.

Jetzt, im schwach beleuchteten Auto, herrschte eine angespannte Stille. Sami beobachtete die vorbeiziehenden Lichter der Stadt und kaute nervös auf seiner Unterlippe. Nathan warf ihm einen kurzen Blick zu. „Denk nicht so viel."

„Ich denke nicht," murmelte Sami, obwohl er genau das tat.

Nathan schüttelte den Kopf. „Lass es einfach auf dich zukommen. Niemand erwartet etwas von dir."

Sami presste die Lippen zusammen und schwieg. Aber als sie vor dem Veranstaltungsort hielten, spürte er, wie die Anspannung in ihm wuchs. Die Halle war größer, als er erwartet hatte, die Menge beängstigend lebendig. Er wollte protestieren, zurück ins Auto steigen, doch Nathan legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Ich bin hier," sagte er leise, aber eindringlich. „Du schaffst das."

Sami atmete tief durch und nickte. Gemeinsam traten sie ein.

Die Lesung verlief ohne Zwischenfälle, doch Sami spürte, wie die Blicke der Menschen ihn förmlich durchbohrten. Nathan schien das zu bemerken, denn er legte ihm nach der Lesung die Hand in den Nacken, eine beruhigende Geste, die Sami unerwartet guttat.

„Willst du noch bleiben oder gehen?" fragte Nathan, während sich die Gäste allmählich zerstreuten.

„Ich weiß nicht," antwortete Sami zögernd.

Bevor Nathan etwas erwidern konnte, trat ein Mann an sie heran – hochgewachsen, mit einem selbstbewussten Lächeln. „Nathan," begrüßte er ihn, „schön, dich hier zu sehen."

Sami fühlte, wie sich etwas in ihm zusammenzog, als Nathan sich umdrehte und den Mann mit einem Lächeln begrüßte. „Tom," sagte er, seine Stimme freundlich, aber distanziert. „Ich hatte nicht erwartet, dich hier zu treffen."

Tom warf Sami einen neugierigen Blick zu. „Und du bist?"

„Sami," antwortete er knapp, bevor Nathan etwas sagen konnte.

Tom schmunzelte, doch seine Augen wirkten prüfend. „Interessant. Wir sollten mal wieder reden, Nathan."

Nathan nickte, aber seine Haltung blieb neutral. „Vielleicht. Aber nicht heute."

Sami wusste nicht, warum, aber das kurze Gespräch hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Als sie die Halle verließen, spürte er, wie die Fragen in ihm brodelten, aber er hielt sie zurück – vorerst.

Zurück in Nathans Wohnung war die Stimmung gedrückt. Sami ließ sich auf die Couch fallen, während Nathan in die Küche ging, um Wasser zu holen. Als er zurückkam, stellte er das Glas vor Sami ab und setzte sich ihm gegenüber.

„Was ist los?" fragte Nathan, direkt, ohne Umschweife.

Sami zögerte, doch dann platzte es aus ihm heraus. „Wer war das?"

Nathan lehnte sich zurück, seine Augen verengt. „Tom. Ein alter Bekannter."

„Ein alter Bekannter?" wiederholte Sami, sein Tonfall schärfer, als er beabsichtigt hatte. „Das klang nach mehr."

Nathan seufzte und rieb sich über die Stirn. „Er war jemand, den ich vor langer Zeit gekannt habe. Es spielt keine Rolle mehr."

„Es spielt keine Rolle?" Sami spürte, wie die alte Unsicherheit in ihm aufstieg. „Warum hast du mir nie von ihm erzählt?"

„Weil es nichts zu erzählen gibt," sagte Nathan ruhig, aber seine Stimme hatte eine Kante. „Was willst du wirklich wissen, Sami?"

„Ich will wissen, ob ich dir vertrauen kann," antwortete Sami, ohne zu zögern.

Nathan sah ihn lange an, dann nickte langsam. „Ja. Aber das hier funktioniert nur, wenn du mir auch vertraust."

Sami hielt seinem Blick stand, die Worte Nathans hallten in ihm nach. Schließlich atmete er tief durch und nickte. „In Ordnung. Aber ich werde dich daran erinnern."

Nathan lächelte leicht, und die Spannung zwischen ihnen löste sich allmählich. „Das darfst du."

Am nächsten Morgen stand Sami früh auf, während Nathan noch schlief. Er ging zum Fenster und sah hinaus auf die Straße, die in goldenes Licht getaucht war. Die Nacht hatte ihn nicht vollständig losgelassen, aber etwas in ihm fühlte sich leichter an.

Nathan kam aus dem Schlafzimmer, das Haar zerzaust, und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Guten Morgen," sagte er, seine Stimme verschlafen.

„Morgen," antwortete Sami, und ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.

Nathan trat zu ihm, stellte sich hinter ihn und legte die Arme um ihn. „Ich glaube, das wird unser Tag."

Sami lehnte sich zurück in Nathans Umarmung und schloss die Augen. „Vielleicht hast du recht."

Whisper of the ScarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt